Deutsch ist keine Option

Kathrine Talbot In „Wie die Queen. Die deutsch-jüdische Geschichte einer sehr britischen Schriftstellerin“ erzählt Christoph Ribbat die Biografie von Kathrine Talbot

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Im Vorgriff auf ein dauerhaftes Exil weicht die Elevin 1935 in die Schweiz aus. Sie besucht die École internationale de Genève. Nach einer Verschärfung von Devisenbestimmungen muss Ilse Eva Louise Groß, die als Kathrine Talbot* zu literarischem Ruhm gelangen wird, die Schule abbrechen. Sie flieht nach England, wo sie sich zunächst als Haushaltshilfe verdingt. Ihre ältere Schwester und die Eltern zählen zu den Ermordeten des Holocausts.

*Kathrine Talbot (geboren 1921 in Frankfurt am Main. Gestorben 2006 in Midhurst) war das Pseudonym von Ilse (verh.) Barker.

1940 gerät Ilse als Enemy Alien** in die britische Deportationsmühle.

**„Winston Churchill ordnete an, alle in den möglichen Invasionszonen Großbritanniens lebenden Deutschen und Österreicher unterschiedslos als Enemy Aliens zu internieren.“ Quelle

*

Ilse unterstützt eine Initiative zur Unabhängigkeit Indiens. Sie arbeitet für die Psychoanalytikerin Kate Friedländer. Sie schreibt erste Erzählungen und verwendet das Pseudonym Kathrine Pittock. „Ihr Englisch ist simpel und klar. Auf Deutsch zu schreiben ist keine Option.“

Christoph Ribbat, „Wie die Queen. Die deutsch-jüdische Geschichte einer sehr britischen Schriftstellerin“, Insel, 24,-

Im Sommer 1946 lässt sie sich von Geoffrey Pittock-Buss scheiden. Die Zeremonie ist eine Farce in gegenseitigem Einvernehmen. Die britischen Rechtsregister erfassen die avantgardistische Ehe nicht, die Ilse und Geoffrey in aller Freundschaft beenden.

Christoph Ribbat erwähnt ein Ereignis, dass im Sturm der Nachkriegsgegenwart untergegangen ist. Die kälteste Periode, die je in England aufgezeichnet wurde, löst im Februar 1947 eine Energiekrise aus. „Die Turmuhr von Big Ben bleibt im Frost stehen.“ Im Frühjahr folgen „die schlimmsten Überschwemmungen der britischen Geschichte“.

Ilse lebt mit Rationierungen im Spektrum zwischen Gas und Papier. Ich stelle mir vor, wie sie in die Literatur flüchtet. Jeder Text bietet einen Ausweg. Ilse will endlich einen Roman schreiben. Sie kündigt ihren Job als Sekretärin, verkauft den geerbten Schmuck, bis auf „den Smaragdring der Mutter“ und verzieht sich in ein Fischernest an der Südküste der Grafschaft Cornwall.

Ilse lässt sich in Mevagissey nieder.

Hingerissene Wahrnehmung

Der Biograf lässt manches in der Schwebe. Er zeichnet Ilse als Schemen im Nebel der Möglichkeiten. Sie könnte vertrauten Umgang mit den Dorfbewohnerinnen (gehabt) haben. Fest steht, dass sie die Nähe anderer Literatinnen und Literaten sucht. Erwähnung finden zuerst Louis Adeane und William Sydney Graham.

Zur Stimmung. Cornwall 1947 - 1948 pt 1: Mevagissey and Newlyn

In Mevagissey trifft Ilse den von T.S. Eliot und W.B. Yeats zum Genie erklärten George Barker. Der Hochdotierte kommt aus New York und hat auch schon in Tokio gelebt. Das Feuilleton rechnet Barker den New Apocalyptics zu. In Ilses hingerissener Wahrnehmung changiert er zwischen „griechischem Gott (am Strand) und irischem Arbeiter (im Pub)“.

Von den fünfzehn Kindern, die George B. in die Welt setzt, sind bereits sieben gezeugt, als er Ilse in dem archaisch-entlegenen Küstenweiler begegnet.

Mevagissey liefert dem Spielfilm Johnny Frenchman einen Schauplatz.

George tritt im Doppelpack gemeinsam mit seinem einäugigen Malerbruder Kit (1916 - 1988) auf. Das Handicap geht auf ein Fechtduell mit George zurück. Kit macht das Rennen bei Ilse. Die beiden heiraten 1948 in London.

Ihr erstes gemeinsames Bett stammt vom Schrottplatz. Ilses erster, 1952 von einem New Yorker Verlag veröffentlichter Roman, „Fire in the Sun“, spielt mit den Stimmungen Cornwalls. Ein Mann verführt die Heldin Veronika mit History-Channel-Budenzauber zwischen magischen „Steinkreisen der Druiden … (und) aus dem Marschland aufsteigenden Reihern“. Er vergisst die Moorleichen im Marschland. Auch so bringt er es dahin, dass sich Veronika „so stark (fühlt) wie noch nie“.

Ilse und Kit verlassen das bis zum schieren Elend verarmte England. In New York begegnen sie der Malerin Virginia Admiral. Deren Sohn heißt Robert De Niro nach seinem Vater, dem Maler Robert De Niro, Sr.

Aus der Ankündigung

Ilse Groß ist vierzehn, als sie allein aus Deutschland flieht. Und sieben Jahren nach Kriegsende erlebt sie ihren Durchbruch als englischsprachige Schriftstellerin. Ihr Pseudonym: Kathrine Talbot.

Wie die Queen erzählt von einer Frau, die in Großbritannien deportiert, interniert, gefeiert und geliebt wird. Jahrzehntelang kämpft sie damit, ihre deutsch-jüdische Familiengeschichte in Literatur zu verwandeln. Als es ihr gelingt, ist es fast schon zu spät.

Zum Autor

Christoph Ribbat lehrt am Institut für Anglistik/Amerikanistik der Universität Paderborn. Sein Buch Im Restaurant stand auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse und wurde in vierzehn Sprachen übersetzt. Zuletzt erschien bei Suhrkamp Die Atemlehrerin: Wie Carola Spitz aus Berlin floh und die Achtsamkeit nach New York mitnahm.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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