Kühler Schick

Feminismus/Literatur Einblicke in eine vor hundert Jahren neue Freiheit liefert „Aufbruch der Frauen“ – eine von B. Ebersbach herausgegebene Anthologie vermutlich lange vergriffener Texte

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Die Kapitäninnen der französischen und englischen Frauschaft, Carmen Pomies (l.) und Florrie Redford (r.) im Jahr 1925 in London
Die Kapitäninnen der französischen und englischen Frauschaft, Carmen Pomies (l.) und Florrie Redford (r.) im Jahr 1925 in London

Foto: MacGregor/Topical Press Agency/Hulton Archive/Getty Images

Die berufstätige Frau erschien in den 1920er Jahren plötzlich als Ideal. Das eigene Einkommen veränderte weibliche Lebensstile. Frauen wurden im öffentlichen Raum sichtbar(er). Man sah sie in Geschäften, eben auch in ihren eigenen. „Ungeniert (begannen sie) ihre Sexualität auszuleben.“ Einblicke in die neue Freiheit liefert „Aufbruch der Frauen“ – eine von Brigitte Ebersbach herausgegebene Anthologie vermutlich lange vergriffener Texte.

And when I lose, I want to go out fighting with my very last breath. Kimberlé Crenshaw

Die Weimarer Verfassung von 1919 legte „den rechtlichen Grundstein für die Gleichstellung von Frauen“. Es ging zumal um das Wahlrecht und um Bildungszugänge. Diese Themen wurden sofort in der Literatur verhandelt. Sie stifteten ein Genre - und eine neusachliche Ästhetik, die ohne ältere Vorbilder auskommen musste. Frauen beanspruchten zum ersten Mal einen Subjektstatus sowie die Deutungshoheit über ihr Leben. Sie sagten aus, wer sie waren.

Die berufstätige Frau erschien als Ideal von der Handlungsreisenden bis zur Stenotypistin. Das eigene Einkommen veränderte den Lebensstil auf der basalen Ebene. Frauen wurden im öffentlichen Raum sichtbar(er). Man sah sie in Geschäften, eben auch in ihren eigenen. „Ungeniert“, so steht es im Vorwort, begannen sie „ihre Sexualität auszuleben.“

Einblicke in die neue Freiheit liefert eine von Brigitte Ebersbach herausgegebene und auch herausgebrachte, soeben erschienene Anthologie vermutlich lange vergriffener Texte.

Brigitte Ebersbach, Herausgeberin, „Aufbruch der Frauen“, ebersbach & simon, 144 Seiten, 18,-

Im ersten Aufsatz räsoniert Vicki Baum über „Backfische“. Die Schriftsteller memoriert Stationen der eigenen Erziehung zur Ergänzung ihrer zum Zeitpunkt der ersten Publikation ultraprogressiven Ansichten. Man erkennt gleich den Willen zum kühlen Schick. Spürbar wird eine Lust am unsentimental-kantig-klarkonturierten Design. Ruth Landshoff-Yorck fährt auf einem anderen Dampfer. Sie schreibt über jene fatale Höflichkeit, die es Umschwärmten in der Konsequenz einer tadellosen Erziehung leider nicht gestattet, unerfreulich-hartnäckige Verehrer akkurat in ihre Schranken zu weisen. Weiter geht es mit Frauen in Nachtlokalen und einem vielversprechenden „Timbre“ später sowie früher Stunden. Paula von Reznicek rät: „Macht mit, solange ihr hübsch, frisch und fröhlich ausseht, aber verschwindet heimlich und leise, wenn ihr euch zwingen müsst, Spaß zu haben.“

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Breitseiten der Skepsis

In dieser Revue vergangener Glanztage dreht sich die Spindel der Relevanz um Esprit und Verve. Man hört förmlich die Erziehung zur lebhaften Anteilnahme. Bloß nicht langweilen. Die Autorinnen wollten sich der neuen Freiheit gewachsen zeigen. Schließlich mussten sie sich am Markt behaupten. Während sie sich in unerprobten Teilhabe- und Aushandlungsprozessen gesellschaftlich nach der Decke streckten und neue Rollenbilder kreierten, formulierten die Herren der Kulturteile altmeisterlich ihre Erwartungen.

„Anders wird sie sein, die Frau von morgen … denn sie hat eine ungeheure Entwicklung zu vollenden: die endgültige Befreiung von der männlichen einseitigen Moral.“

So äußerte sich Stefan Zweig 1929. Dem Epochenton entsprach das nicht. Autoren faselten und phantasierten von emanzipatorischen Weiblichkeitsverlusten. Man vernahm in einem Feuilleton, das noch viel dichter an den bürgerlichen Quellen siedelte und als Kunde der bürgerlichen Emanzipation (vom Feudalismus und dessen ruinierten Erben) immer noch verlässlich Auskunft gab, den Lärm von Breitseiten der Skepsis.

Richard Huelsenbeck unterschied die moderne von der traditionellen Frau, deren Habitus zwar im Industriezeitalter entstanden war, aber doch von den vorindustriellen Maßstäben der Hand- und Hausarbeit bestimmt wurde. Von hinten durch die Faust ins Auge gab Huelsenbeck der Idee Raum, ohne Industrialisierung keine Frauenemanzipation. Insofern erschien sie ihm als Wurmfortsatz ständischer Ermächtigung. Wie Foucault Jahrzehnte später eine Tendenz zur Verflachung von Hierarchien als Ökonomisierungsprozess durchschaute, so erkannte Huelsenbeck in der Frauenemanzipation die Bereitstellung einer Armee engagierter Verbraucherinnen.

Im Emanzipationsdiskurs erschien „die Frau von morgen instinktvoll und klug“. Ihr oblag es, „die guten von den bösen Komponenten der neuen Sachlichkeit“ zu scheiden. Max Brod fand sein Ideal in der Kombination einer Schönschrift der Wirklichkeit mit männlicher Tüchtigkeit. Letztlich war das Verbesserungspornografie im Geist nicht transpirierender Multifunktionalität. Die emanzipierte Frau nahm selbstverständlich einen Platz in der städtischen Öffentlichkeit ein und fungierte als Antagonistin der von archaischen Arbeitszwängen Unterworfenen. Die Emanzipation fand ihre Symbole auf den Fließbändern der Automatisierung. Irmgard Keun und Marieluise Fleißer vertreten die sozialkritische Fraktion. Keun schildert einen tristen Zahltag. Doris, ihre Erzählerin, empfängt einhundertzwanzig Mark. Davon muss sie dem Vater siebzig überlassen. Er wird sie versaufen. So hält er es, seit er arbeitslos ist. Fleißers Frieda tritt als Vertreterin „gegen lauter Männer an, die (ihre) Konkurrenten sind“.

„Man muss den Kaufmann … hypnotisieren.“

Ich habe das schon einmal in meiner Besprechung einer Art Gegenrede zu dem in Rede stehenden Titel geschrieben, siehe „Wie Männer sich die Frau von morgen wünschen - Ein Plädoyer“, herausgegeben von Barbara Sichtermann, Ebersbach & Simon, 144 Seiten, 18,-

Die zivilrechtliche Stellung der neuen Frau in einer Demokratie der Patriarchen wurde kaum betrachtet. Da, wo das bürgerliche Subjekt verankert ist, im Recht, guckte keiner hin. Man rezensierte Frisuren und Röcke, flanierte auf den Magistralen der akuten Moderne und wünschte sich (als Mann) „eine weibliche Wirklichkeit“.

Aus der Ankündigung

In den 1920-Jahren schien auf einmal alles möglich für Frauen: Sie befreiten sich vom Korsett, schnitten die alten Zöpfe ab und nahmen sich die Vorrechte der Männer – die ‚neue Frau‘ war geboren. Die literarische Bühne eroberte sie zuerst in Romanen von Irmgard Keun, Vicki Baum und Gabriele Tergit, sowie in Zeitschriften wie Die Dame oder Elegante Welt. Aus diesem reichen Fundus hat die Herausgeberin eine erlesene Textsammlung zusammengestellt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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