Mörderische Amme

Literatur/Rassismus Robert Jones, Jr., „Die Propheten“ - „Eine mit Heimtücke gespickte Ruhe“ geht von dem einigermaßen perversen Hausherrn Paul Halifax aus

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Maggie schläft auf der Veranda auf einer Strohschütte. Der halboffene Raum dient vor allem als Zwinger. Die scharf gemachten Hunde sind in ihrer Freizeit winselnde Schosstiere. Sie dienen dem Zweck, Sklavinnen und Sklaven davon abzuhalten, den weißen Herrschaftsraum eigenmächtig zu verlassen.

Robert Jones, Jr., „Die Propheten“, aus dem amerikanischen Englisch von Simone Jakob, dtv, 543 Seiten, 26,-

„Empty“ heißt Maggies Ort der Verdamnis irgendwo in Mississippi. Ihre Stellung im Plantagengefüge entbehrt der vermeintlich naheliegenden Eindeutigkeit. Kaum eine Schwarze kommt ihren ‚Eigentümern‘ ständig so nah wie Maggie. Die aus Georgia gebürtige ‚Haussklavin‘ steht mit den intimen Gewohnheiten der Familie Halifax auf vertrautestem Fuß. Man erleichtert sich vor ihr wie vor einem Pferd im Stall. Da gibt es keine Schamgrenze. Deshalb weiß Maggie, dass die Herausgeputzten für Reinlichkeit wenig übrighaben. Als könnte sie nichts beflecken.

„Eine mit Heimtücke gespickte Ruhe“ geht von dem einigermaßen perversen Hausherrn Paul aus. Seine Frau Ruth verliert sich mitunter in einer Bösartigkeit, von der sie vielleicht gar nichts wüsste, lägen die Verhältnisse anders. Die unbeschränkte Macht wirkt wie ein Gift.

Eine Hochkultur sei ohne Sklavinnen und Sklaven nicht zu haben. Das ist der Standpunkt des Südens. Diese Ansicht teilen Paul und Ruth Hallifax mit von Inzucht verzeichneten Rednecks und anderen Nebenfiguren am Saum ihrer verschissenen Prächtigkeit. Sie führen Mesopotamien, Griechenland und Rom an. Sie sprechen von Prädestination und Destination. Sie bewegen sich in einer angelsächsischen Gesellschaft, in der von 1627 bis 1863 offiziell Sklavinnen und Sklaven gehalten werden. Sie spielen Evolution. Sie sind Menschenzüchter:innen.

Auf „Empty“ gibt es einen Schuppen zur Erzeugung von Sklavinnen- und Sklavennachwuchs, selbstverständlich nach den Paarungserwartungen von Paul.
Die Plantagen-Baronie trägt sich als Gottes unumstrittene Stellvertreter:innen auf Erden vor.

Unumstritten, können Sie sich das vorstellen? Was es bedeutet, unumstritten zu sein? Es geht nicht allein um Segregation für die Herrenmenschen. Sie wähnen sich über allen. Für sie wäre unsere Gegenwart bloß eine Flaute. Sie behielten das ganze Sklavinnen- und Sklaven-Equipment in ihrem Vorrat. Sie glauben, dass sie oder ihre Nachkommen dazu bestimmt sind, das Jüngste Gericht abzuhalten.

In diesem Allmachtrausch fragt sich Paul, ob er es dem Sklaven Amos erlauben kann, als Prediger mäßigend auf die Schwarze Plantagengemeinde einzuwirken. Fraglich erscheint ihm, ob Amos selbst eine Seele besitzt.

„Aus jedem Winkel des (Herrenhauses) quillt Groll.“ Paul ist ein einfallsreicher Menschenschinder, Ruth hält gut mit. Die als „Milchkuh“ verwendete Maggie rächt sich, indem sie ihre Brustwarzen mit Nachtschattenblüten kontaminiert. Die mörderische Amme mischt „Schlangengift in … gesüßten Tee“. „Mit dem Absatz zermalmtes Glas“ setzt sie Speisen zu.

Der weiße Gott sagt Maggie nichts. Nach ihren Begriffen taktiert im Himmel der Weißen ein „Trickbetrüger … ein Gott aus zweiter Hand“.

Maggie erhält Warnungen im Traum.

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Der Autor beschreibt das queere Liebesleben zweier Adoleszenten. Samuel und Isaiah, „der eine Schwarz, der andere Blauschwarz“, irrlichtern in Pauls ‚Zuchtkonzept‘. Ihre - als Gipfel urwüchsiger Unschuld - geschilderte Romanze verwirrt den Plantagenbetrieb. Die sexuelle Autonomie wirkt dysfunktionalisierend.

Samuel und Isaiah besitzen eine Freiheit, von der sie keine Begriffe haben. Paul tritt an die Stelle seiner „Zuchthengste“ und zeugt in einem Vergewaltigungsakt seinen Sohn Salomon. Einer der vielen unerwarteten Volten im Roman ergibt aus dem Umstand, dass Amos nur deshalb den unterwürfigen Christen mimt, um die Vergewaltigte vor weiteren Übergriffen zu schützen.

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Robert Jones, Jr. orchestriert sein Werk mit christlichen und animistischen Chorfiguren. Die titelstiftenden Propheten treten als glorreiche Sieben auf. Es gibt jenseitige Kommunikationswege. Der afrikanische Ursprung der Missbrauchten gewinnt die Dimensionen eines mythischen Gravitationsfeldes.

Erhabene Existenz

Timothy, der einzige legitime, da weiße Halifax-Erbe, avanciert zur Schlüsselfigur. Seine erhabene Existenz ist ein Dreh- und Angelpunkt des Romans. Als einziger überlebt er Maggies Giftanschläge auf den Nachwuchs ihrer „Besitzer“, die sie mit ihren Hunden zusammen „halten“. Der hochbegabte Maler ist ein Renegat im Reich des Allmächtigen. Timothy sympathisiert mit den Abolitionist:innen. Er klinkt sich in den queeren Plantagenreigen ein. Er denkt sich seinen Teil zu den blonden, blauäugigen Schwarze, deren Lächeln er sieht, wenn er sich im Spiegel lächeln sieht.

Die PoC-Halbgeschwister bleiben dem Joch der Sklaverei vollständig unterworfen. Besonders drastisch wirkt das im Fall des fast weißen Adam, dem „Kutschen-N…“ seines leiblichen Vaters.

Das Motiv wiederholt eine Grundkonstellation inTa-Nehisi Coates‘ Roman „Der Wassertänzer“, aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben, Karl Blessing Verlag, 544 Seiten, 24,-

Timothy heißt da Maynard. Er ist der legitime Spross und Erbe eines Tabakbarons. Die Plantage, Lockless in Virginia, könnte nicht größer sein. „Abertausend Morgen“ gehören Maynard schon so gut wie. Es ist aber sein Halbbruder Hiram, der in der Landschaft die Übergänge zu einer anderen Welt erkundet und sich der Poesie des Augenblicks ergibt. Hiram geht das Herz auf beim Anblick „goldener Pfirsiche, im Sommerwind wogender Weizenfelder und mit gelbseidiger Hoffnung gekrönter Maisstängel“. Er schwärmt für die Geometrie von Gärten voller Flieder und Maiglöckchen. Er ist das Genie als Sklave. Ungeachtet der für ihn ungünstigen Herrschaftsverhältnisse gelingt es Hiram, brüderliche Empfindungen für den „Narren, faulen Apfel (und) meilenweit vom Stamm gefallenen Maynard aufzubringen. Er begreift sogar, dass die Sklaverei vielmehr Maynards Verhängnis ist als sein eigenes.

Natürlich ist das nur die halbe Miete der Entschlüsselung komplizierter Verhältnisse. Es gibt auch Tage, an denen sich Hiram fragt, mit welchem Recht Maynard „im Luxus haust“.

Hiram hat rechtzeitig gelernt, sich die Schuhe selbst zuzubinden und den Erscheinungen des Magischen nicht mit dem Aberglauben einer Groschenvernunft zu kommen. Trotzdem sitzt er schließlich auf dem Kutschbock im Regen, während sein dämlicher Verwandter im Fahrgastraum vor einer Sexarbeiterin mit seiner Potenz prahlt.

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Robert Jones, Jr. variiert neben der Geschwister-Konstellation auch den Anderswelt-Erzählzauber.

Aus der Ankündigung

Ein herausragender Roman über eine homosexuelle Liebe unter Sklaven vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg und den Verlust des afrikanischen Erbes

Als sie sich auf der Baumwollplantage zum ersten Mal begegnen, ist Isaiah fünf Jahre alt, halb verdurstet und Samuel reicht ihm eine Kelle Wasser. Man hat Isaiah Vater und Mutter entrissen, Samuel kennt seine Eltern nicht. Die jungen Sklaven leben im Stall bei den Tieren, um die sie sich fortan kümmern. Samuel und Isaiah finden zueinander, doch ihre Liebe wird beargwöhnt und benutzt. Irgendwann ist die Katastrophe unvermeidbar. Robert Jones, Jr. lässt Unterdrückte und Unterdrücker erzählen: eine Geschichte von Entwurzelung und dem Kampf um Würde – und von Menschlichkeit, die dem Terror trotzt und ihre subversive Kraft entfaltet.

„Eine Hommage an James Baldwin.“ The New York Times

Zum Autor

Robert Jones, Jr., ist ein in New York lebender Schriftsteller. Als @sonofbaldwin engagiert er sich seit 2008 für Anti-Diskriminierung und soziale Gerechtigkeit auf Social Media und hat knapp 300.000 Follower. ›Die Propheten‹ ist sein erster Roman und steht auf der Shortlist für den National Book Award 2021.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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