Macht und Mathematik

Der Leopard Giuseppe Tomasi di Lampedusa, Herzog von Palma und Montechiaro, schrieb in den 1950er Jahren einen Bestseller, dessen Veröffentlichung er nicht mehr erlebte

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Die Villa Montalbo Boscogrande wurde von Luchino Visconti ausgewählt, um dort einige Szenen für den Film "Il Gattopardo" zu drehen
Die Villa Montalbo Boscogrande wurde von Luchino Visconti ausgewählt, um dort einige Szenen für den Film "Il Gattopardo" zu drehen

Foto: Samuele Piazza/ Wikimedia Commons

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Er erfreut sich bester Gesundheit. Zur Vitalität gesellt sich Intelligenz. Der Fürst kombiniert astronomische Interessen mit der Konfination aller Unbequemlichkeiten. Er ist der Erste seines (von der im Titel bereits aufgegriffenen Raubtierheraldik geschmückten) Geschlechts, der das Finanzgeschehen begreift, das seine Haushalte entfalten. Seine Vorgänger waren einfältige Despoten. Don Fabrizio Corbera, Fürst von Salina, erscheint wenigstens im Vergleich mit älteren Leoparden als brillanter Tyrann. Er unterhält ein Stadthaus in Palermo und diverse sizilianische Landsitze. Er pendelt mit Gefolge.

Giuseppe Tomasi di Lampedusa, „Der Leopard“, Roman, Deutsch von Burkhart Kroeber, 398 Seiten, Piper, 24,-

Der Fürst geriert sich als geistiger und geistlicher Führer in der Verkörperung überbordender Anachronismen. Im ersten Tableau wirft er sich auf dem Balkon seines Ranges in die Brust. Dies geschieht 1860 am Vorabend eines weit großartigeren Auftritts. Giuseppe Garibaldi rumort in den Kulissen. Das Risorgimento, die nationalstaatliche Vereinigung der italienischen Fürstentümer, entfaltet seinen Furor wider den separatistischen Neigungen provinziell-irrlichtender Potentaten.

Giuseppe Tomasi di Lampedusa, Herzog von Palma und Montechiaro (1896 – 1957), schrieb in den 1950er Jahren ohne Vorlauf einen Bestseller, dessen Veröffentlichung er nicht mehr erlebte. Nun soll Burkhart Kroeber dem „Leoparden“ als Übersetzer so zu Leibe gerückt sein wie einst Hans Wollschläger dem „Ulysses“. Ich fand das Werk auch schon in einer früheren Übersetzung großartig. Das Romanpanorama wird ohnehin von Luchino Viscontis Filmbildern aus dem Jahr 1963 und der Präsenz von Claudia Cardinale und Burt Lancaster bestimmt. Da steckt inzwischen ein biografischer Grundstock im Material.

Tomasi weist den Leser ein wie einen Blinden. Er liefert ihm eine Geruchsoffenbarung auf jenem schmalen Grat, der keinen Unterschied zwischen Leben und Tod mehr kennt. Die Opulenz zwischen Fülle und Fäulnis steigt dem Fürsten nach der Andacht auf einem Spaziergang in die Nase. Selbstverständlich bleibt er auf seinem Grund, den er, das ist dann schon Metaphorik, historisch gar nicht so einfach verlassen kann als Mächtiger der Königreiche beider Sizilien, zu denen, nach einem Papstwort von 1265, Neapel gehört. Gleichzeitig wird ihm der Teppich unter den Füßen weggezogen. Seine Entmachtung entspricht einem Akt der Konstitution eines italienischen Königreichs über viele Grenzen hinweg. Das Regime der Renaissance in der Vielzahl seiner florentinischen und venezianischen Erscheinungen endet gerade: auch im Garten des Fürsten, wo Rosen vulgär riechen und obszön aussehen infolge einer geradezu verbotenen Fruchtbarkeit des Bodens. „Schamlos“ nennt Tomasi den Duft. Er ist so schamlos wie das Leben - und der Tod, der sich einschleicht in Gestalt eines von Rebellen getroffenen Infanteristen. Zum Sterben zog sich der Soldat auf das fürstliche Anwesen zurück. Seine Leiche stinkt mit den Blumen um die Wette. Die Unterscheidung des einen vom anderen bedarf der kräftigsten Hinweise. Die Entdeckung des für Salinas Interessen Gefallenen und der Abtransport reihen sich als Gipfel der Pietätslosigkeit aneinander.

Kein Wert kommt dem Leben eines gemeinen Mannes zu. In der Geburtslotterie hat er die erste Niete gezogen und auf dem Schlachtfeld die letzte. Tomasi betrachtet den irdischen Verkehr, er schwelgt in den Farben der herausgekleckerten Eingeweide. Er vergisst nicht zu erwähnen, dass einer vom Fünften Jägerbataillon im grünen Rock die Unverfrorenheit besaß, unter Don Fabrizios Zitronen ins Gras zu beißen.

Tomasis Held beginnt ein Selbstgespräch über die Ordnung, kurz bevor sein Schöpfer dem Leser die Ordnung zeigt – als eine hochtrabend verkommene Angelegenheit. Dazu bald mehr.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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