Migrantische Transformationen

Gesellschaft Die Soziologin Cornelia Koppetsch konstatiert in ihrer Analyse über „Die Gesellschaft des Zorns“ den Erfolg des Rechtspopulismus im globalen Zeitalter

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Pegida
Pegida

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Die Soziologin Cornelia Koppetsch konstatiert in ihrer Analyse „Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter“ den Erfolg rechter Protestbewegungen, die „Abschottung gegenüber universalisierbaren Wertebezügen fordern“.

Alle sind sich einig. Integrationsbemühungen lösen den Affektstau auf der Gegenschräge des Fortschritts nicht auf. Einschlägige Anstrengungen haben oft keine Auswirkungen auf Stereotype. Die migrantische Figur des Anderen steuert Aushandlungs- und Anerkennungsprozesse selbst da, wo ihre Akteure ununterscheidbar vom mehrheitsgesellschaftlichen Normenvokabular agieren.

Dies geschieht im Rahmen von Strategien zur strukturellen Vermeidung einer Pluralisierung gesellschaftlicher Räume, in denen es anderenfalls mehrere hegemoniale (unter Hochdruck rivalisierende) Positionen gäbe. Ein Beispiel bietet die Abwehr „der Legitimität kultureller Anerkennung“ über die Religionsfrage (Naika Foroutan).

„Das Konzept der nationalen Identität schließt Gruppen und Einzelne aus dem kollektiven Narrativ aus.“ Naika Foroutan

Foroutan bezieht sich auf Untersuchungen, die in der Feststellung kulminierten, „die Information muslimisch reicht aus, um signifikant negative Einstellungen zu erzeugen“. Die muslimisch kodierten Migrant*innen werden zu Zielscheiben „reduktionalistischer Angriffe“.

Es geht um institutionalisierte Reduktion von Ambivalenz. „Die Unvereinbarkeit mit dem Eigenen“ hält als Begründung dauernd her. Cornelia Koppetsch macht genau da weiter. Sie analysiert die Kraftfelder, auf denen sich „der Primat … völkischer Partikulargemeinschaften“ als widerstandsfähig erweist. Die von den Auguren der Kommentarspalten ständig dem Untergang anheimgestellte AfD rauscht an den Weissagungen vorbei in die Parlamente und überwindet die Bollwerke ihrer Ächtung in einer Praxis des widerlegenden Unterlaufens von Standards, die sich auf einer Linie „modernisierungstheoretischer Gesellschaftserzählungen“ Flanken bildend herausgeschält haben.

Koppetsch weist daraufhin, dass die AfD in ihrem Namen einen Schlüsselbegriff der linken Gegengesellschaft aufgenommen hat. Die Alternativbewegung war eine Versammlung von Ökos und Müslis: in Opposition zu den bewahrenden Kräften der alten Bundesrepublik. In der aktuellen Diskussion über die „Bürgerlichkeit“ der AfD wiederholen sich nur die Luftspiegelungen und lunaren Effekte, die von der Partei zur Täuschung des Gegners eingesetzt werden. Daran interessant ist eine Antizipation. Die AfD-Gründer wussten, dass „Alternative“ im Windschatten „transnationaler Wertschöpfungsketten“ paradox als ein Begriff der abgehängten Mitte wahrgenommen wird.

„Bedrohte Mehrheiten sind die stärkste Kraft in der europäischen Politik“. Ivan Krăstev

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Aus der Ankündigung

Was noch in den 1990er Jahren undenkbar war, ist mittlerweile Alltag: Ganze Bevölkerungsgruppen verlassen den Boden der gemeinsamen Wirklichkeit, kehren etablierten politischen Narrativen zornig den Rücken oder bestreiten gar die Gültigkeit wissenschaftlichen Wissens. Der Aufstieg des Rechtspopulismus markiert nach Dekaden der Konsenskultur eine erneute Politisierung der Gesellschaft. Gängige Erklärungen für die Entstehung des Rechtspopulismus ziehen die Ereignisse der Fluchtmigration von 2015 oder vorgebliche Persönlichkeitsdefizite seiner Anhänger als Ursachen heran. Cornelia Koppetsch dagegen sieht die Gründe in dem bislang unbewältigten Epochenbruch der Globalisierung. Wirtschaftliche, politische oder kulturelle Grenzöffnungen werden als Kontrollverlust erlebt und wecken bisweilen ein unrealistisches Verlangen nach der Wiederherstellung der alten nationalgesellschaftlichen Ordnung. Konservative Wirtschafts- und Kultureliten sowie Gruppen aus Mittel- und Unterschicht, die auf unterschiedliche Weise durch Globalisierung deklassiert werden, bilden dabei eine klassenübergreifende Protestbewegung gegen die globale Öffnung der Gesellschaft.

Geografie der Macht

Vor langer Zeit nannte Bodo Morshäuser Berlin die Stadt, in der die Dinge kurz vor ihrem Eintreffen schon einmal (wie) zur Probe stattfinden. Koppetsch haut soziologisch in diese Kerbe. Sie spricht von „sozialräumlicher Polarisierung“. Von Amsterdam bis … „ballt sich der gesellschaftliche Wandel“. Die Metropolen „transzendieren die klassische Sozialstruktur“. Da konzentrieren sich die hochlebenden Höchstleister*innen mit ihrer low life crowd für die Tresendienste und Müllbeseitigungskampagnen.

Koppetsch beschreibt die „aufgewerteten … Großstädte (als) „Bühnen des neuen multikulturellen Urbanismus, der die Stadt als Ort kultureller Diversität … zelebriert“, während vor den städtischen Toren „die Entleerung und Verödung ganzer Landstriche“ dazu einlädt, sich ausgeladen zu fühlen. Koppetsch hütet sich davor, Ostdeutschland als politische Brache zu apostrophieren, lieber hält sie sich an la France périphérique. Das sind sowohl literarisch als auch akademisch gründlich erschlossene Katastrophengebiete. Da leben keine „postnationalen Kosmopoliten“. Die migrantischen Transformationen erzeugen in den (von der ursprünglichen Bevölkerung) aufgegebenen Regionen eine „demografische Melancholie“. In diesen Reservaten des grassierenden Mangels gedeiht kein Verständnis für Lebensentwürfe, die von einem transnationalen „Verkehrs- und Transaktionsraum“ ausgehen und deren Protagonisten den Designvorschriften einer „globalen Oberschicht“ genügen müssen, um sich selbst zu genügen.

Koppetsch stellt deutlich heraus, dass die Zukunftskohorten den Wunsch nach einer Rückkehr ins Industriezeitalter auslösen. Die geografisch Abgehängten treffen sich an den Emotionslagerfeuern, von denen am Anfang der Besprechung die Rede ist. Als Wähler*innen wendet sich diese Klientel affektiv gegen die Beschleunigten. Das Ressentiment unterscheidet nicht zwischen postnationalen Globalist*innen und Migrant*innen. Wer glaubt, der Rechtspopulismus habe sich weitgehend erledigt und würde sich mit Widersprüchlichkeit im politischen Alltag den Rest geben, der ignoriert Millionen, die keine größeren Erwartungen haben, als im revanchistischen Ausschluss anderer in eine Art Kompensationsgenuss zu gelangen. Wenigstens Deutscher. Wenigstens Franzose. Hauptsache kein Geflüchteter. Hauptsache weiß. Hauptsache kein Muslim. Ich bin eine arme Sau. Aber diese Säue sind noch ärmer. Regression bestimmt den Kurs. Wo es mehr nicht braucht, um bindend zu wirken, spielt es überhaupt keine Rolle, was eine Politikerin sagt. Die wahlentscheidenden Versprechen wurden immer schon vorher abgegeben. Sie stecken in der alternativen Attitüde.

Bald mehr.

Info

Cornelia Koppetsch, „Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter“, Transcript Verlag, 281 Seiten, 20,-

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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