Paulus sagt: „Um die Hurerei zu vermeiden, habe ein Jeder sein Weib.“
Es geht in der christlichen Ehe nicht jedem antiken Autor um den Fortpflanzungsbetrieb, sondern einigen viel mehr um Zucht und Unzucht. Die Versuchung ist der große Widersacher, nicht der Tod. Verführung ist die wahre Gewalt, sagt Schiller. Jetzt wissen wir warum.
Das Christentum dreht sich nicht um den Tod und nicht um die Geburt. Es verhandelt das Verhältnis des Gläubigen zu Gott.
Schließlich könnte Gott jederzeit so viele Kinder ins Leben schmeißen wie er will. Im vierten und letzten Band beschreibt Michel Foucault beinah am Ende seiner Erforschung von „Sexualität und Wahrheit“ das Projekt des Christentums als eine post-antike Verbesserung des Menschen in Glauben & Verzicht. Foucault zeigt, dass die Ökonomisierung der Sexualität, die sich bis in den Regelvollzug fortsetzt, nicht erst vom Christentum ausgelöst wurde, sondern vorher da war. Die apostolischen Einlassungen basieren auf Milieuübereinkünften in einer nicht christlichen Welt. Am Anfang vom Ende einer langen Strecke des Begreifens zeigt Foucault, dass die Kirchenväter zu Anfang der christlichen Zeitrechnung stoische Leitsätze kopierten. Er durchforstet die Reglements von Taufe, Sünde und Buße in der Gemeinschaft der Gläubigen. „Die Vielseitigkeit und Unbeständigkeit“ des Menschen verlangen Regulation. Über die Vereinfachung gelangt man zur Askese. Die Antwort auf alle Unwägbarkeiten lautet Erziehung. Sie findet statt in Klöstern, die als Wissenshochburgen fungieren.
Michel Foucault, „Die Geständnisse des Fleisches. Sexualität und Wahrheit“, Band 4., herausgegeben von Frédéric Gros, aus dem Französischen von Andrea Hemminger, Suhrkamp, 557 Seiten, 36,-
Die Zeugung hängt schon deshalb nicht an der Frau und der Ehe, weil Adams Zeugung von beiden nicht abhing. Gott brauchte keine Frau und er musste niemandes Gatten sein, um zeugen zu können.
Kinder bezeugen die Auferstehung. Anders gesagt, es gibt lange keine biologischen Erklärungen, die alles auf die Fortpflanzung reduzieren.
Allein deshalb lohnt es sich, Foucault zu lesen. Er schärft den Blick. Die Zeugung gehört zu den paradiesischen Umständen, (Gott schüttelt Adam aus dem Gelenk) die Ehe aber zum Sündenfall. Sie ist eine Kalamität und gehört zur Knechtschaft des aus dem Paradies vertriebenen Menschen. Die Ehe unterliegt thematisch der Sterblichkeit, die Zeugung der Unsterblichkeit. Eine weitere Einschränkung ergibt sich aus der „Ökonomisierung der Wollust“. Man lebt sich im Rahmen der Ehe aus/Wie auf einer Eisbahn dreht man Kreise in der Gleichheit der Ansprüche. Der Mann darf sich der Frau so wenig verweigern wie sie sich ihm. Das hebt die allgemeine Ungleichheit situativ auf.
„Wenn der Mann die Mitgift seiner Frau als sein Eigentum betrachten kann, dann gründet sich dies auf die Ansicht, dass ihr der Körper ihres Mannes gehört.“
Das sagt die Quelle, auf die sich Foucault stützt. Ich habe es vermieden, Namen abtropfen zu lassen, die den Wenigstens etwas sagen. Ständig bemüht Foucault Johannes Chrysostomos und Johannes Cassianus.
Foucault erklärt, warum und wie die Wollust eingesperrt wurde. Das führt zweifellos auf mehr Allgemeinplätze als seine Einlassungen zur Ehe. In gewisser Weise ist die christliche Ehe eine Fortsetzung der klösterlichen Gemeinschaft im Geist der Enthaltsamkeit, soweit es die Ethik und die Spiritualität betrifft. Alle Prozesse sind geklärt und transformiert, weder das Trieberlebnis noch die Zeugung gewinnen in der Summe eine herausragende Bedeutung.
Anders gesagt, die Wollust wird in der Ehe so gehandhabt wie die Enthaltsamkeit im Kloster. Manchen erscheint die Ehe so verächtlich wie der Ehebruch. Das beschäftigt die Autoren, die Foucault strapaziert, mehr als die Fortpflanzung. Das aber bedeutet, dass sie der Sexualität ein eigenes Recht einräumen, ein Fach im Regal des Lebens.
Ich schließe mit einem Gedanken von Augustinus, den Foucault endlich zu seinem wichtigsten Gewährsmann macht: „Aber jeder Freund der Weisheit … würde lieber … ohne Lust Kinder erzeugen.“
Wann hat das zum letzten Mal jemand gedacht?
Kommentare 14
„Aber jeder Freund der Weisheit … würde lieber … ohne Lust Kinder erzeugen.“
Weil? Jemand weise genug, mir das zu erklären?
"Ich habe es vermieden, Namen abtropfen zu lassen, die den Wenigstens etwas sagen."
Dann lassen Sie mal "abtropfen" für die wenigen, denen es etwas sagt.
"Ich schließe mit einem Gedanken von Augustinus, den Foucault endlich zu seinem wichtigsten Gewährsmann macht: „Aber jeder Freund der Weisheit … würde lieber … ohne Lust Kinder erzeugen.“ Wann hat das zum letzten Mal jemand gedacht?
Da schimmert eine christliche, lustfeindliche (Sexual-) Moral durch, die schon seit Paulus ihren unseligen Einfluss in den gesellschaftlichen Moralvorstellungen hinterlassen hat. Die Ehe betrachtete er als notwendiges Übel, als "Arznei gegen die Hurerei" Also am besten noch die bis in die 60er Jahre "empfohlene" Stellung für Christen einnehmen und es schnell hinter sich bringen, wobei die Jungfrauengeburt doch gleich die bessere Lösung wäre. Weisheit versus Lust steht also nicht im Fokus, sondern eine verquere Gottesvorstellung, die daraus Verhaltensweisen fantasiert.
Wie muss man wohl "aufgestellt" sein, um Weisheit ohne Lust bei der Zeugung zu denken? Hätte man zu dieser Zeit bereits das Wissen der Psychiatrie gekannt, wäre Augustinus wohl ein Fall für die Couch geworden. Wobei "Sexualität" laut Arnold Ira Davidson wohl erst mit dieser Wissenschaft ein sprachlicher Gegenstand wurde, also vorher nicht gedacht werden konnte. Was sich auch aus den naiv, realistischen Darstellungen Jesu in der mittelalterlichen Malerei ersehen lässt, wo Jesus von den Künstlern noch ganz explizit männlich abgebildet wurden, um die Männlichkeit (Gottmenschlichkeit) zu betonen.
*****!
Wenn auch nur eine Petitesse, ein amuse-gueule, zum großen und nie virulenteren Themenkreis der Lust, des Sexes, des Konsums, des Hedonismus, der industriellen Massenkultur u. Ästhetik-Industrie in Verbindung mit Bildung (auch der Empfindungen/Ästhetiken) und Erziehung.
Vergl. Verdinglichungen der KT bis in die Pseudonymen-Wahl der C-Prominenz, "Thea Dorn", in der Folge der marxistischen Orientierung der späten, - kaum noch so zu bezeichnenden 'KT'/Habermas -, der einzig der späte Horkheimer sich entzog u. viele andere Gründe der Idolisierung/Idolatrie der späten "Konsumkritik", Kritik der Ökonomisierung der Lüste usw. in der KT.Für dergleichen, wie sich im Seenot/Würde-Blog in den Kommentaren zu Adorno rezeptiv andeutet, hat es sogar Adorno viel zu sehr gerade auch bei sich selbt mit den ökonomisiert-industrialisierten Lustformen u. -Ästhetiken buchstäblich krachen lassen. Sehr zum Leidwesen seiner Frau Margarete. Siehe auch das ND-Dossier zur DdA.
Mehr ist in der Kürze der Zeit seit Erscheinen (auf Deutsch) wohl nicht machbar/zu erwarten und jetzt auch nicht so überraschend:ZUNÄCHST liest man ja stets das Bekannte aus dem eventuellen Neuen. Aber bitte dranbleiben!
These: Erst der (relative) "Hedonismus" stärkt die Subjekte darin, die Kraft aufbringen zu können, dem Schlechten der Welt auch ins Auge sehen zu können, ihm standzuhalten, darauf zuzugehen ...
mit"Dda"ist nicht der dachverband dt.avifaunisten gemeint.
-->"dialektik der aufklärung"
wer das leichter zugängliche (antiquarisch aber nicht veraltete)
"eunuchen für das himmelreich. kath. kirche und sexualität"(1988)
von uta ranke-heinemann liest/las, wird foucault
als nach-zügler eines standard-werks sehen.
"wer das leichter zugängliche (antiquarisch aber nicht veraltete) "eunuchen für das himmelreich. kath. kirche und sexualität"(1988)von uta ranke-heinemann liest/las, wird foucault als nach-zügler eines standard-werks sehen" ...
... was aber genealogisch-historisch falsch ist: die Arbeiten zu diesem Band liegen etwa 2-10 Jahre vor F.s Tod 1984.
Und inhaltlich war URH, - wenngleich z. T. klug und kenntnisreich -, selbst nun auch 1988 nicht gerade Avantgarde, was die Kritik an Kirche u. z. T. Religion(en), den Lustverhältnissen usw. anging.
Wie von mir bereits oben angedeutet (zuerst wird Bekanntes augenfällig), ist es gut möglich, dass dieser Band zu einigen relevanteren Korrekturen u. evtl. sogar anderen Blickrichtungen auf den Themenkreis führt. Ein, zwei Punkte im Artikel geben zu dieser Spekulation Anlaß, sind aber - hoffentlich: noch - zu unausgeführt, um darüber schon zu reden.
Danke für's Hinterherräumen hins. der Abkz'en!
Die Ehe IST der Sündenfall. Und sie ist das Fundament des Patriarchats.
„Aber jeder Freund der Weisheit … würde lieber … ohne Lust Kinder erzeugen.“
Vielleich ist ja die Zeugung geistiger Kinder gemeint?
"Die Ehe betrachtete er als notwendiges Übel, als "Arznei gegen die Hurerei""
Wenn ich mich richtig erinnere, war die Ehe in der Antike Privileg der Freien. Musste man nicht Land besitzen, um einen Ehevertrag schließen zu können? Inwieweit bei diesen Ehen Liebe und Lust überhaupt eine Rolle spielten, ist die Frage. Für Lust und Liebe braucht(e)man die Ehe nicht.
:-)
die spezielle lust, die sich auf die genitalien bezieht,
steht in der kirchlichen kritik nicht nur für die sexualität,
sondern für die libido, die sich auf alles andere
als auf die religiöse verehrung im kirchen-rahmen richtet.
auch das kosten von früchten vom "baum der erkenntnis"
ist solch eine verdammens-werte entgleisung
und wird mit paradies-entzug bestraft!
wer die göttliche/kirchliche herrschaft stört,
die auf dogmen/dekaloge/verfolgungen setzt,
die gemeinde/umma/volks-gemeinschaft im zaum zu halten,
ist des teufels und wird deshalb auch im hier-seits
schon zum abschuß freigegeben
(wenn es die kirchliche macht erlaubt).
ansonsten ist universale(nicht-ab-wegige) liebe angesagt.
- die letzte zeile soll nicht meine hoffnung ausdrücken,sondern
die botschaft,die zahn-los-gewordenenen kirchen übrig bleibt.
- ansonsten haben Sie mich durch Ihre zitat-auslegung
zu meiner attacke auf kirchliche/bekenntnis-bezogene institutionen
und ihrer betriebenen trieb-ökonomie
(einem geschäfts-modell mit lang-zeitlicher konjunktur),
nur in versuchung gebracht. :-)
„Aber jeder Freund der Weisheit … würde lieber … ohne Lust Kinder erzeugen.“ - und ohne für die Lust lebenslang zur Verantwortung gezogen zu werden. Das ist heute zwar möglich, aber aus dem Dilemma des sozialbedürftigen Individuums kommt man trotzdem nicht heraus. Das ist die Bioordnung unserer Form des Lebens. Vernunft wäre darin nicht die Enthaltsamkeit, sondern die Annahme des Konnexes von Lust und Arbeit (Mühe), der Arbeit an der Lust und der Lust in der Arbeit. Das gilt nicht nur für die Sexualität, sondern generell für die Subsistenzmittel des Lebens.
O.k., da mir keiner meine Frage (Erstkommentar) beantworten wollte/konnte, hab` ich mich selbst auf die Erklärungssuche begeben, und nachfolgendes gefunden:
«Anders als seine theologisierenden Zeitgenossen nimmt Augustinus an, dass es bereits im Paradies Geschlechtsverkehr gab. Warum hätte Gott, so Augustinus sinngemäß, Adam sonst eine Frau zur Seite gestellt – und nicht einfach einen Kompagnon oder Helfer, der ihm beim Bestellen der Felder zur Hand geht? Allerdings bedurfte der Sex im Paradies keiner libido: Nicht blind vor Begierde wurde sexuell agiert, sondern wie ein „besonnene[r] Handwerker, der sich seiner Hände zu bedienen weiß. Ars sexualis.“ (S. 443, Hervheb. im Orig.). Die Erregung war steuerbar, sie war dem Willen unterworfen.
Das änderte sich mit dem Sündenfall. Mit der Auflehnung gegen Gott kam die Unwillkürlichkeit in die Begierde. Augustinus zufolge spiegeln die unbeherrschten Regungen und physischen Reaktionen beim Sex die Auflehnung des Menschen gegen seinen Schöpfer. Damit erweist sich der Sex als libidinisiert und die libido als eine Regung, in der sich das Subjekt von Gott abwendet (S. 455), wobei diese sexuelle Energie – wenig überraschend – von vornherein phallisch gedacht ist.»
Quelle:
https://www.soziopolis.de/lesen/buecher/artikel/ohne-begehren/
Oder hier:
«Der lustbefrachtete Geschlechtsakt ist sündhaft, die Gottebenbildlichkeit des Menschen besteht nur, solange er nicht seiner Geschlechtlichkeit unterliegt (..."ubi sexus nullus est")»
https://www.mittelalter-lexikon.de/wiki/Augustinus,_Aurelius
Der Herr Tuschik schliesst seinen Beitrag mit Verweis auf Focault’s vermeintlichen «Gewährsmann» Augustinus (welcher in Wahrheit von diesem ja nur als einer der Auslöser einer sexualfeindlichen, Neurotiker hervorbringenden «Zivilisationsleistung» herangezogen wurde), mit der Frage:
»Wann hat das zuletzt jemand gedacht?»
So, als wäre an dieser Geisteshaltung tatsächlich irgend etwas heroisch oder erstrebenswert
Schlimm genug, dass das vor 1600 Jahren ERSTMALS gedacht und als Lehrmeinung aufgeschrieben wurde.
Mit all den bekannten Folgen.
«Augustinus fürchtete um den Verstand, den Verlust der Beherrschung»
(Darauf bezüglicher) Quellenverweis? Oder nur Interpretation/Annahme?
«So sah Augustinus († 430) in der Sexualität der Menschen eine Strafe Gottes für Adam und Evas Sünde im Paradies und vertrat die Auffassung, daß das Kind durch die bei jedem Zeugungsakt vorhandene Lust automatisch mit der Erbsünde befleckt würde.
Seiner Meinung nach unterschied sich die Ehe im Paradies grundsätzlich von der Ehe nach dem Sündenfall. Denn der Zweck der Paradiesehe war einzig und allein die Erzeugung von Nachkommen. Der notwendige Geschlechtsakt geschah dabei angeblich ohne Lustgefühl, da die Geschlechtsorgane im Paradies völlig dem Willen unterworfen waren.
"Warum sollte es unglaubhaft erscheinen, daß die Beschaffenheit der ersten menschlichen Körper von der Art gewesen ist, daß die Menschen mit dem Wink über die Geschlechtsorgane verfügten, mit dem man über Füße verfügt, wenn man spazierengeht, so daß weder mit Liebesglut gezeugt noch unter Schmerzen geboren würde?" (in: Georg Denzler, ebenda, S. 44/45)
Dieses Zitat des «grossen Kirchenvaters» sagt eigentlich alles.
augustinus war 10 jahre "hörer" des --->manichäismus.(wiki),
deren "auserwählte" sich der geschlechtlichkeit gänzlich zu entziehen hatten.