Perverser Altruismus

Ängst Konferenz Thomas Meinecke hasst Horst Seehofer.

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Thomas Meinecke vor dem Ballhaus

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Perverser Altruismus

Die Schriftstellerin Olga Flor spricht von einer „geradezu sexuell aufgeladenen Begeisterung“ für politische Anführer, die sich in neoliberalistisch Ausgeweideten breitmacht. Seelisch Prekäre träumen vom Abstieg der Anderen. Flor leitet die Arbeitsgruppe „Wie die Sprache nicht verlieren? Literarische Strategien gegen rechtes Denken und Sprechen“. Die Teilnehmer verbreiten elaborierte Ratlosigkeit. Sie strapazieren die bürgerlichen Begriffe von Bildung zur Immunisierung gegen rechts. Sie wähnen sich in einer Blase, Thomas Meinecke sagt: „Wir schreiben die Bücher füreinander.“

Eine Forderung lautet: Die Gruppengrenze ins Außen zu verschieben. Wie wird aus der Bubble eine Bewegung?

Meinecke hasst Seehofer, der wie eine Romanfigur der Vergangenheit als „geschlossenes autonomes männliches Subjekt“ auftritt und so alles ignoriert, was man inzwischen über die Herstellung von Geschlechtern weiß.

Was vermag Literatur?

Darf man einer rassistischen Erzählstimme folgen, wenn sie sich nur als vom Autor geschieden darstellt? Müssen jetzt alle in die Tretmühlen des Realismus?

Die Installation von Schriftstellern als Gewissen der Nation nach dem II. Weltkrieg produzierte Hohlformen und führte im Fall von Günter Grass auch zu einer Entlarvung alter Lügen in der alten Bundesrepublik.

Welche Stimme führe ich ein und welche Welt lasse ich zu? Wir sind nun wieder politisch. Die Zeit von „Sprache, was sonst“ und „Ich bin definitiv ins Heft umgezogen“ ist vorbei. Es kommen die Kollektive und Kollaborationen, der sozialistische Realismus im neuen Gewand und …

Erzählstrategien seien gesellschaftlich irrelevant, glauben manche. Andere geben zu bedenken, dass ihre Bücher in Schulen gelesen werden. Das ist doch relevant. Was wäre relevanter? Die Autor*innen prägen den Nachwuchs. Man dürfe die Reichweite von Literatur nicht klein reden.

Thomas Arzt erzählt von einem Auftritt mit Blaskapelle in seiner Heimatgemeinde. Er habe Nachdenklichkeit erzeugt und das Wahlverhalten wenigstens in einem Fall konkret beeinflusst.

Es gibt keine realistische Literatur im deutschsprachigen Raum, sagt jemand.

Wie soll man schreiben?

Eine Position umreißt sich so: Wer Emotionen filtert, um überlegen dazustehen, bedient sich einer durchsichtigen Verschleierungstechnik. Das privilegierte Ich streicht mit Abgrenzungen Distinktionsgewinne ein. Es soll vom hohen Ross der Sachlichkeit steigen und sich bewusst der eigenen Verletzlichkeit aussetzen. Plötzlich kreist das Gespräch wieder um jenen Typus, der sich europaweit als Führernatur im Kulturkampf inszeniert. Er zeigt sich als Verführer und zelebriert seine Arroganz. Seine Ich-Erzählung, so Flor, sei Fantasy Formaten nachgebildet. Man könne sich auf die Figur in ihrer Eindeutigkeit verlassen.

Die Eindeutigkeit ist ihre Fama. So funktioniert die Figur und so sammelt sie Stimmen. Dass Wähler*innen Entscheidungen um den Preis des eigenen Niedergangs treffen, entspricht einem perversen Altruismus. Man glaubt, etwas schaffen oder erhalten zu müssen, dass einen besser repräsentiert als man sich selbst repräsentieren kann. Eine Wir-Auffassung des zersetzten Selbst verspricht Ferien vom Ich. Das erklärt den Erfolg von Trump. Man selbst fällt zwar, aber die Bedrängten, denen man sich zurechnet, die sozialen Angehörigen, bleiben im Wettbewerb.

Wird fortgesetzt.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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