„Sarrazin war ein Rammbock“

Rechtsradikalismus Christian Fuchs und Paul Middelhoff legen in ihrer Analyse „Das Netzwerk der Neuen Rechten“ die Quellen neurechter Strategien frei

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

„Sarrazin war ein Rammbock“

Foto: Johannes Eisele/AFP/Getty Images

Das Gehirn der neuen Rechten - „Die AfD ist für (Dieter) Stein nicht nur Gegenstand seiner Berichterstattung. Sie ist seine politische Hoffnung auf ein anderes Deutschland.“ Christian Fuchs und Paul Middelhoff legen in ihrer Analyse „Das Netzwerk der Neuen Rechten“ die Quellen neurechter Strategien frei. Fortsetzung meiner Besprechung vom 24.09.

In seinem Schlüsselroman „Zornfried“ nimmt der Berliner Autor Jörg-Uwe Albig Maß an der 2008 von Götz Kubitschek gegründeten „Konservativ-Subversiven-Aktion“ (KSA). Der neurechte Verleger, Vordenker und Anführer einer „Kommunikationsguerilla“ fiel mit Aktionen linker Provenienz auf. Er störte Gegner*innenveranstaltungen und nutzte die Bühnen der anderen für seine Zwecke.

In Albigs Verfremdung historischer Vorgänge verbreitet der Erzähler als Berichterstatter seit Jahr und Tag gebetsmühlenhaft zivilgesellschaftliche Widerstandsformeln. In seiner Umgebung sind sich alle einig und gleiten gemeinsam über die Wehret-den-Anfängen-Schiene, während von dem „schwarzen Ritter“ Kubitschek geschulte Aktivist*innen Antonio Gramscis Theorie rund um die Dämonie der „kulturellen Hegemonie“ Taten folgen lassen.

Eingebetteter Medieninhalt

Als der neurechte Dichter Storm Linné eine Veranstaltung im Geist der antifaschistischen Zivilgesellschaft zu seiner Bühne zu machen versucht, weckt er auch das Interesse eines Frankfurter Feuilletonisten, der mit der Erwartung des Üblichen seine Anwesenheit als eine den Gestörten ehrende Geste verstanden wissen will. Der freischwebend-linksdrehende Haltungsjournalist Jan Brock strebt die Gegneranalyse im persönlichen Austausch mit Linné an. Das erzählt Jörg-Uwe Albig in seinem Roman „Zornfried“.

Jörg-Uwe Albig, „Zornfried“, Roman, Klett-Cotta 161 Seiten, 20,-

Fast alle vorpolitischen Positionen sind ungeschützt und können von Meinungsfürsten sowie mit schierem Fleiß übernommen werden. Solche invasiven Seitenweg-Ermächtigungen bestimmen Kurse der Neuen Rechten. Der Sammelbegriff evoziert eine Geschlossenheit, der Christian Fuchs und Paul Middelhoff in ihrer Analyse „Das Netzwerk der Neuen Rechten“ auf den Grund zu gehen versuchen, ohne indes dem Gegner auf den Leim zu kriechen.

Danger in the air/ honeypot is everywhere.

Fuchs/Middelhoff schildern den Aufstieg eines Schüler*innenzeitungsredakteurs zum relevanten Akteur im neurechten Milieu. Ein beliebter Rekrutierungshort scheinen Burschenschaften zu sein.

Christian Fuchs/Paul Middelhoff, „Das Netzwerk der neuen Rechten“, Rowohlt, 283 Seiten, 16.99 Euro

Dammbrechend sei Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ gewesen. Es habe die von Kubitschek und seinem Kreis diskutierte Tabubruch-Themen ent-exotisiert.

„Sarrazin war ein Rammbock.“

Er bereitet der Idee vom längst um sich greifenden, zumal in deutschen Großstädten endemischen, von Hans Magnus Enzensberger in „Aussichten auf den Bürgerkrieg“ sogenannten „molekularen Bürgerkrieg“ den Boden. Als frühes Anzeichen erkannt wird eine Zunahme des herumfliegenden Mülls sowie die Intensivierung des Gestanks im Umkreis sämtlicher urbaner Pissecken. Die Gefährder*innen kommen von innen und von außen. Die Zwingen der Gewalt erwürgen den Bürger in seiner zivilen Verfassung. Froh darf sein, wer morgens auf dem Weg zum Bäcker nicht erschossen wurde, so dass er von seinem Glück berichten kann. Mich erinnert das an Wondrascheks „Früher begann der Tag mit einer Schusswunde“. Lange ist es her.

Fuchs/Middelhoff weiter über den Spiritus Rector der neurechten Bewegung:

„Kubitschek schwebt keine Reform des Landes vor, sondern eine Restauration.“

Er begrüßt eine Gesellschaft, in der altgermanische Namen Moden stiften und „Männerchöre altertümliche Volkslieder singen“.

Als Gehirn der Rechten apostrophieren Fuchs/Middelhoff Dieter Stein, Gründer und Geschäftsführer der Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Die Journalisten beobachteten Stein als Gesprächspartner des AfD-Vorstandes.

„Die AfD ist für Stein nicht nur Gegenstand seiner Berichterstattung. Sie ist seine politische Hoffnung auf ein anderes Deutschland.“

Seit Anfang der Nullerjahre steigt die Auflage des Periodikums, die AfD-Gründungsphase euphorisierte die Redaktion.

Hier noch einmal der erste Teil meiner Besprechung

Intellektuelle Partisanen

„Vor der Übernahme der Staatsgewalt steht die Eroberung der Kultur.“ Christian Fuchs und Paul Middelhoff legen in ihrer Analyse „Das Netzwerk der Neuen Rechten“ die Quellen neurechter Strategien frei.

Eingebetteter Medieninhalt

Fast alle vorpolitischen Positionen sind ungeschützt und können von Meinungsfürsten sowie mit schierem Fleiß übernommen werden. Solche invasiven Seitenweg-Ermächtigungen bestimmen Kurse der Neuen Rechten. Der Sammelbegriff evoziert eine Geschlossenheit, die es nicht gibt. Was an der neurechten Praxis intelligent ist oder auch nur funktioniert, hat eine linke oder eine links-parallele Vorgeschichte. Parallel verlief die Entwicklung der Nouvelle Droite, die sich in der Regie von Alain de Benoist auf einer Linie der Faschismusmodernisierung ausdifferenzierte.

Die neue Rechte erscheint als Plagiat. Linke Protestformate werden mit rechten Inhalten gefüllt. Das geschieht mit Besetzungen von geistigen und physischen Freiräumen. Die Infiltration gegnerischer Kunst- und Kulturdomänen weist darüber hinaus. Das Konzept der kulturellen Hegemonie stammt zwar von dem Marxisten Antonio Gramsci, lässt sich aber als bürgerliche Errungenschaft besser begreifen. Kultur bezähmt die Staatsgewalt und bestimmt den zivilgesellschaftlichen Konsens. Das Konzept formuliert implizit einen Einwand gegen den Primat der Staatsräson.

Nun bilden „völkische Antisemiten, Radikallibertäre, Rechtspopulisten, ultrakonservative Marktliberale, Nationalrevolutionäre, Muslim-Hasser, soziale Nationalisten, Nationalkonservative, paneuropäisch-soziale Kapitalismuskritiker und weiße Suprematisten“ eine inner- und eine außerparlamentarische Opposition. Das stellen Christian Fuchs und Paul Middelhoff in ihrer Analyse der Neuen Rechten fest. An der Feststellung lässt sich nicht rütteln. Sie ist längst zu einem Allgemeinplatz der Berliner Republik geworden.

Bemerkenswert ist der „große Binnenpluralismus“ der Bewegung. Fuchs und Middelhoff datieren den Ursprung der neuen Rechten in Übernahme einer Einschätzung von Volker Weiß auf das Jahr 1950. Damals erschien eine Sammlung von Schriften, deren Autoren Hitler von rechts kritisiert hatten. Herausgeber war der Schweizer Publizist Armin Mohler. Unter den Autoren heraus ragten Ernst Jünger und Carl Schmitt. Schmitt, so Fuchs und Middelhoff, postulierte bereits die Okkupation des „Vorraums der Macht durch ein Elitennetzwerk“.

„Intellektuelle Partisanen sollten den Feind …reizen.“

Mohler verfolgte rehabilitierende Absichten. Er wollte die Protagonisten einer „konservativen Revolution … vom Stigma des Nationalsozialismus befreien“.

Aus der Ankündigung

Für das Buch sind sie durch Deutschland und Europa gereist und haben die wichtigsten Protagonisten der Szene getroffen. Sie waren geheimen Spendern in der Schweiz auf der Spur und mit einem AfD-Politiker in Serbien unterwegs. Sie hatten Zutritt zum Haus der Identitären Bewegung, waren auf einem Festival der Guerilla-Aktivisten und und trafen den Chef von Deutschlands erfolgreichster Hetzseite zum Gespräch in dessen Küche. Während der Recherchen wurden sie bedroht, angelogen und gerieten in den Shitstorms einer rechten Trollarmee.

Aufstieg der Milieubegriffe

Heute scheint man sich kaum noch um die Reputation der Altvorderen zu kümmern, deren Kanonisierung in unpolitischen Sphären voranschreitet. Fuchs und Middelhoff erkennen in der „Diskursverschiebung“ das effektivste Streitmittel der Neuen Rechten. Man überlässt Schlagwörter den schmalen Verbreitungswegen in Szene-Periodika und -Zirkeln sowie auf Protestbühnen. Da reichern sie das Sediment toxisch an, bevor sie aufsteigen. Der schlagkräftigste Milieubegriff ist „der große Austausch“ aka „die Umvolkung“. Umvolkung“ ist das Zauberwort der Neuen Rechten. Es weist die Mitglieder einer bedrängten Mehrheit aus; einer Mehrheit, so will es die rechte Fama, mit dem Repräsentationspotential einer Minderheit. Aus dem Mosaik der graswurzelnden rechten Diversität sickert das Panikvokabular in die Mehrheitsgesellschaft. Die Mitte wird mit Panik penetriert. Die Resonanz in den etablierten Medien spiegelt die Machtverhältnisse; die der forcierte Optimismus identitärer Vordenker taktisch verschweigt. So schreibt Martin Sellner:

„Vom Cicero über Die Achse des Guten bis hin zur Jungen Freiheit findet über viele Pfade ein reger Ideenschmuggel ins Zentrum der Meinungsmacht statt.“

Ich glaube, das Gegenteil trifft es eher. Ist es nicht vielmehr so, dass der neurechte Kulturkampf von Linken hochgefahren wird und massive Virulenzverstärkung im linken Diskurs erhält?

Bald mehr.

Christian Fuchs/Paul Middelhoff, „Das Netzwerk der neuen Rechten“, Rowohlt, 283 Seiten, 16.99 Euro

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden