Schwadronierende Symbole

Antisemitismus Nichts hätte absurder sein können. Die Täter taxierten die Kosten des Holocausts selbst und fanden sich großzügig. Das belegt einmal mehr, dass Verbrechen ab einer ...

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Zweifellos wurden die „Wiedergutmachungszahlungen“ an Israel in Deutschland auch als „moralischer Ablass“ verstanden und nicht allein als Regress materieller Verluste. Daran erinnert Wolf Iro in seinem Essay „Nach Israel kommen“. Der Autor kam nach Israel als Leiter des Goethe Instituts in Tel Aviv. Das ist ein diplomatischer Auftrag. Iro plädiert für Empathie. Seinen Standpunkt formuliert er auf einer Gegenschräge zu Jakob Augsteins robuster Israelkritik. Iro beschreibt Augstein als Empathieverweigerer.

Wolf Iro, „Nach Israel kommen“, Verlag Klaus Wagenbach, 124 Seiten, 16,-

Er beschwört seine Leser*innen: „Angesichts des allmählichen Verschwindens der Generation der Zeitzeugen, vor allem aber auch angesichts eines lauter und unverhohlener sich gebärdenden Antisemitismus in Deutschland und der Wahlerfolge einer rechtsextremen Partei bei den Bundestagswahlen 2017 ist die Frage des Erinnerns von besonderer Dringlichkeit.“

Die Idee, man könne den Holocaust auf einem Parcours aus Sühneakten hinter sich lassen, war so verlockend, dass die deutschen Interpreten der bilateralen Verabredungen über die Wälle der israelischen Abwehr gingen und einen Exkulpationskurs einschlugen, der sich als herrschende Meinung gebärdete.

Die Gründungsgeneration um David Ben-Gurion hatte keine Wiedergutmachung im Sinn, als der Zahlungsverkehr in Gang kam. Die Pioniere hielten Wiedergutmachung selbstverständlich für ausgeschlossen. Trotzdem behauptete sich die Erwartung, Deutschland könne sich freikaufen und seine Schuld wie einen Haufen Schutt abtragen. Aus dieser Regression ergaben sich die historischen Titel so wie ganze Schulbuchtexte. Nach der offiziellen deutschen Lesart baute die Bundesrepublik in der Beweiserbringung guten Willens gegenüber Israel Schuld ab.

Nichts hätte absurder sein können. Die Täter taxierten die Kosten des Holocausts selbst und fanden sich großzügig. Das belegt einmal mehr, dass Verbrechen ab einer bestimmten Größenordnung die Souveränität von Staaten gewinnen. Als Wiedergutmacher*in guckt man von unten nach oben. Man arrangiert und komponiert das Opferandenken und lässt Virtuosen auf Geigen spielen, die in Auschwitz herhalten mussten. Man macht Symbolpolitik und schwadroniert.

Wo nichts angemessen ist, triumphiert das Unangemessene. Einen Gipfel des Unsäglichen erreichte eine deutsche Schriftstellerin, die, eingeladen vom Goethe Institut, auf einem Podium in Tel Aviv kategorisch feststellte: Gaza ist „ein Ghetto“.

Iro erklärt den psychologischen Schlick, die Entlastungsstrategie; den Relativierungsfuror. Er erwähnt Philipp Jenningers Rede vom 10. November 1988 im Bundestag. Ich habe mir die eben angehört. Jenninger spricht „von Ereignissen vor fünfzig Jahren in diesem Land“ als sei eine außerirdische Macht über Deutschland hereingebrochen und habe da alles in Abstraktion verwandelt. Man darf nicht vergessen, dass zum Ende des XX. Jahrhunderts nicht viel fehlte, um einen bereits gesellschaftsfähigen Geschichtsrevisionismus als staatstragende Kraft zu etablieren.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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