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Deutsch-Israelische ... Überleben als Mission - Etgar Keret erzählt im Deutschen Theater beiläufig auch von den Holocaust-Survivors Mutter & Vater

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Zu Kohlzeiten kam es in der Bonner Republik einmal zur medialen Verklappung auf Saudi-Arabien gerichteter Exporterwartungen deutscher Büchsenmacher und ihrer Spanner in den Parteien. Am Tag der Meldung traf Chaim Herzog zu einem Trauerakt in Bergen-Belsen ein, mit dem üblichen Präsidialbegleittext von der besonderen Verantwortung. Jemand erwähnte den Widerspruch zwischen der Verantwortung und einer deutschen Armierung Saudi-Arabiens. Der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit stieg ins Nassforsche: “Rüstungslieferungen nach Saudi-Arabien sind vernünftig.” Robert Leicht konstatierte: “Dem Nebeneinander von eindrucksvollen Gesten und peinlichen Pannen werden wir im Deutsch-Israelischen Verhältnis nicht entrinnen.”

Daran dachte ich beim Auftakt der seit 2005 vom Goethe Institut und von der Heinrich-Böll-Stiftung veranstalteten Deutsch-Israelischen Kulturtage im Deutschen Theater Berlin. https://www.boell.de/de/im-neuland-deutsch-israelische-literaturtage-2016

Während Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, so leise wie unerbittlich Deutschland weiter in der bedingungslosen Verantwortung ließ, bewarb der für die Böll-Stiftung sprechende Ralf Fücks eine kritische Sicht auf Israel im Ja-aber-Format. Fücks verkörperte den zum Gewissensschalter vorgedrungenen, harte Wahrheiten keinem vorenthaltenden Zeitgenossen. Wie wenig Zustimmung die Schranke der Ablehnung durchbrach, schien ihn zu wundern. Ihm folgten Keret, Kuperberg, Kehlmann auf die Bühne. Etgar Keret hat den Witz ungebügelter Siebzigerjahrserienamerikaner und die Dreifaltigkeit eines Shar-Pei-Welpen. Neben dem konfirmand’esk wirkenden Daniel Kehlmann erschien er wie Columbo als Stagehand. Den beiden zur Seite saß Shelly Kupferberg und hatte es leicht mit den Autoren des Abends. Hinter mir unruhte Maxim Biller, der den Harmonie-Crotchshot gewiss für eine vertane Gelegenheit hielt.

“Was ist ein säkularer Jude?” fragte Keret. Der Judenstaat variiert nicht den Vatikan. Um dem Begreifen Beine zu machen, reihte Keret die Frage ein: “Was ist ein säkularer Christ? Was ein säkularer Moslem?”

Der auf den Kopf getroffene Nagel schlug keine Funken. Kerets jüngstes Buch, “Die sieben guten Jahre. Mein Leben als Vater und Sohn”, liegt in Farsi vor, doch nicht auf Hebräisch. Israel sei zu klein, das Buch dem Autor zu familiär, um es den Tratsch der Nachbarschaft anreichern zu lassen. Als Konterbande passieren die Erzählungen aber täglich die Grenze zwischen Afghanistan und dem Iran. Es gibt offizielle Einwände gegen den Titel im Iran. Was will man mehr?

Keret erzählt die Geburt seines Sohnes und den Tod des Vaters. Die Geburt fiel mit einer Terrorattacke zusammen, sie war schwer, sechs Stunden Kampf, dann “fällt ein Zwerg, dem ein Kabel aus dem Bauchnabel hängt, aus der Vagina meiner Frau”. Lev gefällt sich als Prachtbaby, die in Israel eintreffenden Raketen werden auch immer besser. Auf einem Heimweg lässt man die Federballschläger rücksichtslos auf der Rückbank verwaisen, nur um sich in Sicherheit zu bringen, das Ehepaar im Sandwichmodus mit Lev als Pastrami. Der Lustgewinn schlägt die Angst um Längen (soweit es Lev betrifft).

Keret macht aus dem alltäglichen Horror einer Gesellschaft im Ausnahmezustand Grotesken. Seine Mutter hielt ihn übrigens für einen exilierten polnischen Schriftsteller. Ein ganzer Roman steckt in der Heimweh-Strophe. In äußerster Anspannung gibt jedes Gefühl nach, oft staunt man wohin.

Kehlmann hat die Keretgeschichten ins Deutsche gebracht, im Deutschen Theater tat er sich mit einem Dramenauszug hervor. Sein Zweipersonenstück “Weihnachtsgeschichte” ist einem Wiener Theater dann doch nicht auf den Bühnenleib geschrieben; der Direktor monierte Sparsamkeit beim Personal. Lieber hätte er zehn Schauspieler hinzugezogen, um ein Kabinettstück um Macht und Ohnmacht den Wienern zuzumuten. Eine Automobile wird von einem Polizisten angehalten und schon steht ihr Geschlechtsleben zur Debatte. Fraglich ist, ob der Polizist nicht längst zum Büttel obskurer Mächte geworden ist und als Verteidiger der Alpenfestung Österreich nur noch Atavismen halluziniert.

Etgar Keret, “Die sieben guten Jahre - Mein Leben als Vater und Sohn”, aus dem Englischen von Daniel Kehlmann, S. Fischer Verlag, 226 Seiten, 19, 99,-

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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