Stalinismus als Ornament

Deutsch-Israelische LT „Araber können kämpfen und verlieren, und dann wiederkommen und erneut kämpfen. Israel kann nur einmal verlieren.“ Golda Meir

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Im Gespräch von Mensch zu Mensch - Shelly Kupferberg zwischen Christian Römer (links) und Frank Riede

Eingebetteter Medieninhalt

Aus dem Mann neben mir brach es heraus: „Wir waren Stalinisten. Bei uns hingen Bilder von Stalin und Tito an den Wänden.“

Er sah mich so an, als müsste ich ihn nach dieser Offenbarung für den Teufel halten. Wild stach er die Luft mit altersschwachen Fingern. Seinem Überdruck bot sich kein Ventil im Erstaunen des Zeitgenossen. Mein Nachbar hatte während der Runde mit Ashkenazy und Würger Anstalten gemacht, sich einzuschalten. Er war ein Veteran der „Hashomer Hatzair”. Das Wir bezog sich auf die sozialistischen Pfadfinder. Der Mann kannte sich aus in Ashkenazys Romanwelt. Er hatte die Desillusionierung der Gläubigen erlebt, die zu Gläubigern eines bankrotten Ideals geworden waren.

Den ganzen Tag schon waren der Ernüchterung Girlanden geflochten und Beispiele für seelische und staatliche Korruption angeführt worden. Das Widerstandswunder Israel tauchte als literarischer Gegenstand nicht auf. Immerhin fand Yishai-Levi im Gespräch mit Aydemir über Geschlechtergerechtigkeit, dass die Frauen in Israel gut dastünden, wenn auch die zähe Gegenwart hinter dem furiosen Start herhinke. Die Schriftstellerin beschrieb Emanzipationsverlangsamungen in paradoxen Prozessen zwischen realer Teilhabe weiblicher Israelis am gesellschaftlichen Ganzen und in europäischen Enklaven frisch gehaltenen Strömungen der Rückständigkeit. Iris Böhm las aus Yishai-Levis Roman „Die Schönheitskönigin von Jerusalem“, der als „sephardische Version von Amos Oz’ Geschichte von Liebe und Finsternis bezeichnet wurde. Darin geht es um „vererbte Familienkatastrophen“, wie Shelly Kupferberg sagte. Was zu hören war, kam aus der Perspektive einer ungeliebten Tochter. Gabriela stellt zunächst fest:

„Meine Mutter hat es nicht geschafft, eine ältere Frau zu werden.“

Die Beerdigung wird zum Aufmarsch. Das Prestige der Verstorbenen spricht sich in den Gesten der Trauernden aus. Gabriela meldet das Versäumnis einer rechtzeitigen Aussöhnung. Ihr Friedenswunsch kommt zu spät. Mit Gabriela soll ein Familienfluch enden. Deshalb verweigert sie die Mutterschaft.

In Aydemirs literarischer Gegenrede Ellbogen erlebt eine Siebzehnjährige die fortgeschrittene Migration im Widerstand zu den Erwartungen. Sie ist kein Opfer zumindest nach ihrem Selbstverständnis. Meine Besprechung: http://faustkultur.de/3006-0-Tuschick-TEXTLAND-Fatma-Aydemir-Ellbogen.html#.WtRn84huZPY

Aydemir sieht Deutschland als gespaltene Gesellschaft, in der „die AfD zum Albtraum der Altparteien“ geworden ist. Nach ihren Erfahrungen haben auch genug Autochthone Probleme mit Deutschland, um in der Konsequenz „einen Mangel an Heimat“ nicht unbedingt als Mangel zu empfinden. Aydemir betonte die Notwendigkeit eines offensiven Feminismus. Yishai-Levi widerstand der totalen Zustimmung. Ihr kam es darauf an, klarzumachen, wie fortschrittlich Israel einmal war. Inzwischen „kommen immer weniger Frauen in hohe Ämter“. Gleich mehr.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden