Banale Bindungen - Frei nach Wanda von Sacher-Masoch

#TexasText/Jamal Tuschick Während Leopold von Sacher-Masoch in seinem Fetischfeuilleton „Venus im Pelz“ einem Extremismus der Phantasie frönt, unterliegt er in der Realität eines eher kargen Daseins banalen Bindungen. Da peitscht ihn die Erwerbsnot.

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„Jetzt legte ich die ganze Kraft meiner Seele in den einen heißen Wunsch, dieses Kind möge in nichts seinem Vater gleichen.“ Wanda von Sacher-Masoch

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„Ich hatte die Ehre, die Frau Generalin ins Hochamt zu begleiten. Wir kleideten uns der ernsten Feier gemäß in starrende schwarze Seide und zogen, bewundert und angestaunt von allen Gassen, nach der Kirche.“ W. v. SM

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„Das Röcheln war so grauenhaft anzuhören und wollte kein Ende nehmen. Warum sterben die Menschen nicht wie sie geboren werden, ohne es zu wissen?“ W. v. SM

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„Schade, dass das heutige Italien keinen Titian oder Raphael hat … indes vielleicht ersetzt die Liebe das Genie.“

So spricht die jung verwitwete, von ihrem eigenen Antlitz entzückte Wanda von D. in Leopold von Sacher-Masochs Schmachtfetzen „Venus im Pelz“. Severin von K. erlag Wandas Schönheit bis zur vollständigen Selbstauslieferung. Es existiert nicht bloß ein Sklavenvertrag, sondern auch noch ein Wisch mit Severins Unterschrift:

„Seit Jahren des Daseins und seiner Täuschungen überdrüssig, habe ich meinem wertlosen Leben freiwillig ein Ende gemacht.“

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In Leopolds erotischer Sphäre dreht sich die größte Spindel um die Ausstattung. Der Renaissancekamin und die klassische Lektüre gehören zum physischen und psychischen Interieur. Der Schriftsteller L. agiert wie ein Schaufensterdekorateur, der in dicken Socken durch die Auslage wuselt. Eine marmorweiße Venus lässt er sagen: „Ja, Sie waren ganz verliebt in diese Toilette.“

Der Sklave schreibt seiner Herrin jedes Achselzucken vor. Auf Leopolds Algolagnie-Parcours wechselt Wanda - wie in einer Schmierenkomödie - drei Mal den Pelz.

Sie muss ihn zufriedenstellen. Er belehrt sie. Kunstgeschichtlich beschlagen, fällt es L. nicht schwer, die Kreuzungen zu eruieren, auf denen profane Motive mit ihrer Überhöhung in Einklang gebracht werden. Ich weiche von Leopolds Aufzeichnungen ab und nehme mir die größte Freiheit in meiner Schilderung. Ein venezianischer Maler der frühen Neuzeit entledigte sich einer Auftragsarbeit, indem er die Tochter eines Granden porträtierte. Er wertete die Pubertierende mit einem antiken Arrangement auf. Er füllte das Bild mit einer olympischen Gottheit, die der Debütantin einen Spiegel vorhielt. Die angehende Dame der Gesellschaft, warum sie nicht Ginevra nennen, prüfte ihre Reize „mit kaltem Behagen“.

Die Darstellung bleibt auf ewig „eine gemalte Schmeichelei“. Doch beweist sie förmlich, wie bewusst die Porträtierte sich ihres Ranges war. Das Bewusstsein der eigenen Bedeutung affiziert L. Er stattet seine Ginevra aus, hüllt sie in Pelz und erschleicht die Preisgabe einer auf den höchsten Ton gestimmten Eigenliebe. Wie weit weg ist das von jenem amerikanischen Platzhalter, den Adorno in seinem Aufsatz „Prolog zum Fernsehen“ zum Kronzeugen der kulturindustriellen Verderblichkeit macht:

„Alles erscheint, als gehöre es ihm, weil er selbst sich nicht gehört … Die bedrohlich erkaltete Welt kommt zutraulich zu ihm.“

Ich drücke auf die Neustarttaste. Lassen Sie es uns einmal so versuchen:

Aller erscheint, als gehöre es ihr, weil sie selbst sich nicht gehört … Die bedrohlich erkaltete Welt kommt zutraulich zu ihr.

Leopold bestimmt seinen Stellvertreter Severin von Kusiemski zum maßlosen Bedränger der - dem Exzess zunächst abholden - Witwe Wanda von Dunajew. S. treibt W. über ihre Linien. Sie fürchtet, frivol zu werden. Endlich findet sie sich bereit zu sagen: „Meine Gunst hast du als Gnade anzusehen.“

Da erscheint ein Fürst auf der Bildfläche. W. zeigt sich dem Granden gegenüber aufgeschlossen. Rächt sie sich nun für Leopolds Herumgeholze in ihrem Leben? Leopolds Einwände gegen den heißen Flirt kontert W. kühl:

„Du hast es so gewollt. War es meine Idee oder die deine? Habe ich dich dazu verführt oder hast du meine Einbildung erhitzt?“

Fortan tritt Severin als Wandas Diener Gregor auf. Der Name wurde ihm vorgeschrieben. Jede Vertraulichkeit mit seiner Herrin ist ihm untersagt, es sei denn, die Gnädige Frau wünscht es. L. hetzt S. als Lakai in einer Livree durch Europa. Sie setzt ihm furchtbar zu. Ab und an gewährt sie ihm noch ein Stündchen der Liebe.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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