Bernward Vesper - Gravitätischer Verlierer

#TexasText/Jamal Tuschick Vom unerreichbaren Vater zum omnipotenten Baader ... „Die Reise“ beginnt Bernward Vesper 1969. In der Gegenwart des Romans, der Fragment blieb, bemerkt Vesper latenten Faschismus in der Verbohrtheit der Betrachter seiner langen Haare

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Die Rückkehr der Wolfsbarsche

Bevor das Mittelmeer zum Massengrab wurde, gab es vor Lampedusa keine Wolfsbarsche mehr. Die Rückkehr des Branzino, sein starkes Aufkommen in Küstennähe, zeigt an, was auf Lampedusa keinem entgehen kann: dass ein paar Kilometer vor dem europäischen Festland Menschen ertrinken und diese Ernte einige Kreisläufe beschleunigt.

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„Es hat etwas verwirrend Zärtliches an sich, Wunden zu versorgen, die man selbst verursacht hat.“ Amaryllis Fox

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„Du wirst Knochen sein Staub kein Erinnern.“ Heiner Müller

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“Everybody has a reason to begin again.” Bruce Springsteen

Phonetische Pappnasen

Die Hitze reißt sämtliche Fenster auf, und eine Frau schreit: „So kommst du mir nicht ins Bett.“ Das macht der August aus den Menschen in Berlin, dabei könnte das Leben im Sommer so schön sein. So mit leichter Hand zubereitet, könnte es sein, so wie ein Essen aus Resten, gewürzt vom Zauber restloser Verwertung. Steckt darin nicht auch eine Metapher für die zweite Lebenshälfte? Da ist ein Speak Easy für Literatur, ein Hinterzimmer für Geistreiche. Thomas Kapielski, Charlottenburger von Geburt und Nasenflötist aus Passion, liest aus Neue sezessionistische Heizkörperverkleidungen.

„Noch vor Anbruch der Nüchternheit bleicht Morgengraun die Schwärze” heißt es. Bald nimmt „Zuversicht” die „Gestalt von Milchreis an“.

„Alles, was je war, ging bis eben vorbei (auf dieser) … nie vollendeten Weltenbaustelle.“

Kapielski fragt:

„Was will das Verhängnis?” Es will sich vollenden. Viel fraglicher ist, wie viel Nächstenliebe darin steckt, seinem Kanarienvogel die Mandeln entfernen zu lassen.

Doch wer an Gott glaubt, der hat ihn in jeder Rolltreppe.

In „hauptamtlicher Entrückung“ reist das Alter Ego auch Frankfurt am Main und trinkt da Apfelwein im Dauth-Schneider, obwohl es lieber im Fichtekränzi einkehren würde. Darüber könnte man lange reden, wenn auch nicht mehr mit Michael Rudolf, der zum Zeitpunkt der Kapielski‘schen „Reise“, siehe bei passender Gelegenheit Bernward Vesper, noch dabei war - und bestimmt keinen Apfelwein getrunken hat, als Brauer von Beruf. Na gut, „wir haben die RAF überlebt, wir werden auch BIO überleben”, in diesem Sinne trägt alles und jede zur Heiterkeit bei, einschließlich jener Person, die mir persönlich anvertraut: „Ostbraut hin oder her, wir haben doch auch nur zwei Brüste und ein‘ Popo.”

Sie nannten ihn den Irren von Triangel* - Bernward Vesper bemühte sich um die Veröffentlichung der Schriften seines nationalsozialistischen Vaters, während er zugleich „Schriftsteller gegen den Atomtod“ mobilisierte. Gudrun Ensslin gab es damals auch noch als Braut in Weiß.
*Triangel gehört zu Sassenburg im Kreis Gifhorn

Gravitätischer Verlierer

Gudrun Ensslin wollte ihre Doktorarbeit über Hans Henny Jahn in Berlin schreiben. Doch dann kam Andreas Baader und drehte ihr Leben auf links. Bernward Vesper protestierte. Wie angepasst er blieb, bemerkte er nicht.

Immer wieder scheiterte der Versuch, am Beispiel von Bernward Vesper den Riss zu kartografieren, der die Nachkriegswestdeutschen charakterisierte. Man strapazierte den Topos der Seelenlandschaft.

Bernward Vesper (1938 - 1971) gab die Ordnung seines Lebens so an: „Der eine Teil ist an meinen Vater gebunden, der andere beginnt mit seinem Tod.“

Will Vesper (1882 - 1962) war Leiter der NS- Reichsschrifttumskammer. Nach dem Krieg bemühte er sich, ganz gravitätischer Verlierer, um zügige Fortsetzung der großbürgerlichen Existenz. Der Sohn erinnert eine niedersächsisch-ländliche Kindheit.

Es gab ein aufbrausendes Programm der Restauration. Nicht wenige Akteure der Zeitgeschichten begingen frohgemut den Boulevard des sowohl-als-auch. Die Fortsetzung des Nationalsozialismus mit bundesrepublikanischen Mitteln manövrierte die meisten nicht automatisch an einen gesellschaftlichen Rand. Der Spielraum ergab sich aus dem Kalten Krieg. Der Feind definierte das Sagbare. Deshalb setzten sich Sozialdemokraten, die in die DDR fuhren, mitunter härteren Vorwürfen aus als Autoren vom Schlag des alten Vespers.

Kosmischer Provinzialismus

Bernward Vesper beginnt seine publizistische Laufbahn mit der Edition des nationalsozialistischen Werks seines Vaters. Er tummelt sich auf der rechten Republikseite. Er studiert bei Walter Jens und begegnet der Pfarrerstochter Gudrun Ensslin; am Sonntagsmittagtisch erklärt sich Ensslins Vater zum Widerstandskämpfer. Insofern erscheint er als Antagonist zu Vespers Vater, diesem avancierten Bauernsohn, der Hitler im Gedicht verherrlicht und seinen Sohn dem Führer geschenkt hatte. In Dresden hatte er ein Loblied auf die Bücherverbrennung gesungen.

Gudrun und Bernward streben aus ihren Provinzen nach Berlin. Sie verloben sich, 1967 wird der gemeinsame Sohn Felix geboren. Im selben Jahr radikalisiert sich Ensslin, angefeuert von Andreas Baader. Der Verlobte bleibt als kleinbürgerlicher Hase auf der Strecke des lustvollen Extremismus. Daraufhin bricht Vesper mit sich selbst und fängt mit der Welt zu hadern an. Er macht sich die Vorwürfe, die ihm gemacht werden. Ensslin verlässt ihn und das Kind. Der Revolutionärin bleiben noch zehn Jahre. Vespers Spanne ist kürzer.

Vespers „Reise“ kursiert bald als „Vermächtnis einer ganzen Generation“.

Ein Mann fährt heim. Auf der Strecke von Jugoslawien nach Deutschland überlässt er den Beifahrersitz seines Volvos einem amerikanischen Sonntagsmaler. Man bekifft die Lage. In München nimmt der Reisende LSD, während „die Nebel der Isarwiesen“ steigen. Stoned sickert er in die Boheme. Am fahlen Morgen besucht er Uschi Obermeier. Rainer Langhans kommt dazu. Vesper ist nicht willkommen.
Der Autor gibt die Ordnung seiner Geschichte unordentlich an: „Der eine Teil ist an meinen Vater gebunden, der andere beginnt mit seinem Tod.“

Er erinnert eine ländlich-niedersächsische Kindheit. Mit dem inkorporierten, bis zum Tod herrenmenschlichen Vater kam der Sohn nicht klar. Für die Kombattant:innen der RAF und ihre Unterstützer:innen ist er ein heillos in seine bürgerlichen Widersprüche Verstrickter.

LSD-Erlebnisse überliefert Vesper in kryptisch-kuriosen Bemerkungen.
„LSD reißt den Schleier von der Wirklichkeit.“
Vesper memoriert nicht nur zur Begründung der Abwehr „den Faschismus der Seele“ seines Vaters. Der Dreck ist in ihm, er wird ihn nicht los. Der Alte hat ihn geimpft, das weiß der Flagellant: „Und am Abend schloss ich mich ins Badezimmer ein und schlug mich mit dem Ledergürtel.“
Am 28. März 1963 zeigen Gudrun Ensslins Eltern die Verlobung ihrer Tochter mit B.V. an: ein Ereignis im Kurparksaal.
Das Paar treibt im linken Lager Prominententourismus. Gleichzeitig bemüht sich Vesper um eine Edition des diskreditierten väterlichen Œuvres.

Vom unerreichbaren Vater zum omnipotenten Baader … „Die Reise“ beginnt er Neunundsechzig. In der Gegenwart des Romans, der Fragment blieb, bemerkt Vesper latenten Faschismus in der Verbohrtheit der Betrachter seiner langen Haare. Er sieht sich umstellt von „Vegetables“. Säureköpfe und Agitierte sind hingegen (gute) „Typen“. Im Klub der Kommunard:innen kommt Vesper zu „Menschen“. In den Formulierungen schlummern umgemünzte Wertungen. Kein kritischer Reflex sichert dieses Denken, obwohl sonst alles zerlegt wird.
Trotz „theoretischer Schwierigkeiten mit dem bewaffneten Kampf“ trumpft Vesper mit dem Gewaltjoker. Sechs Jahre nach seinem Selbstmord erschien die „Reise“ zunächst mit der Fama eines maßlosen Textes. Heute weiß man, dass der Verleger Jörg Schröder das Buch in die vorliegende Form brachte. Der Zugriff rechtfertigt nicht den einzigen Einwand gegen die von Kritiker:innen behauptete und von Vespers Offenbarungsdruck scheinbar bestätigte anti-artistische „Authentizität“ der „Reise“. Der verbreiteten Rezeptionsphantasie vom triebhaft-unkontrollierten Auswurf stehen Einlassungen von Henner Voss entgegen. Vespers zeitweiliger Wohngenosse legte dar, dass Vesper biografische Peinlichkeiten verschwieg und auf Effekt schrieb. Vesper wollte Literatur hervorbringen. Er meldete dem Verleger ein wichtiges Werk. Im Deutschen Herbst, Monate nach Erscheinen der „Reise“, tropften erste Kritiken. Sie lösten eine publizistische Flut aus. Vesper bot als durchgeknallter APO-Kopf eine Projektionsfläche für politische Frustrationen der Generationsgenoss:innen. Man verstand das Buch als ein zwischen Theorie, Impetus und Poesie in allen Farben der Revolte leuchtende Abrechnung mit dem Terrorismus: dessen 77er-Virulenz in der Gegenwart von heute eine Vergegenwärtigung verlangt.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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