Bobby Gillespie - Cold War Kid

#TexasText/Jamal Tuschick Bobby Gillespie, „Tenement Kid“ - Bobby wächst in Springburn auf. In dem Glasgower Arbeiterbezirk stand - bis zur Abschaffung einschlägiger Regelungen - das städtische Armenhaus (Barnhill Poorhouse).

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Sehen Sie ferner https://jamaltuschick.de/index.php?article_id=4433

*

„Ich war ein Kind des Kalten Krieges.“

*

„Ich bin aufgewachsen an Orten, wo die Geister herumspukten.“

*

„Religion, Gewalt und Alkohol sind in Glasgow untrennbar miteinander verbunden.“

Proletarische Klassensolidität

Zur Welt kommt er im historischen Stadtkern von Glasgow. Schon als Baby nimmt Bobby auf den Armen seiner aktivistischen Eltern an Demonstrationen teil. Die Mutter verfertigt Transparente an ihrer Nähmaschine.

Bobby wächst in Springburn auf. In dem Arbeiterbezirk stand - bis zur Abschaffung einschlägiger Regelungen - das städtische Armenhaus (Barnhill Poorhouse). Eine „Atmosphäre von Flucht und Verlassenheit“ deprimiert die Bewohner:innen. Umgehend setzt der vielseitige Künstler die Einordnungsmarke ab.

„Eine einst lebende …siedlung wurde zerstört und durch eine Autobahn ersetzt.“

Bobby Gillespie, „Tenement Kid“, Autobiografie, aus dem Amerikanischen von Kristof Hahn, Heyne Hardcore, 24,-

Eine Reverenz

Paul Mason erzählt von seinem Vater, einem Arbeiter, der in seinem Milieu keine herausragende Stellung einnahm und mit der Kumpel-Akzeptanz über die Runden kam, die sich die Bergarbeiter im englischen Leigh gegenseitig einräumten. Der alten Mason hatte die Depression der 1930er Jahre als Kind erlebt und prophezeite 1980 als Großbritannien „in die Rezession schlitterte: Wenn eine weitere Depression kommt, werden die Rassenvorurteile zurückkehren“.

Der Journalist Mason benennt die Pfeiler seiner Herkunftskultur:

„Hass auf alles, was mit den Reichen zu tun hatte, Misstrauen gegenüber allem, was von draußen kam, und Ablehnung gegenüber all jenen, die dem marktwirtschaftlichen Denken Vorrang vor dem menschlichen Anstand gaben.“

Mit diesem Rahmenprogramm wartet Bobby Gillespies marxistischer Vater allenfalls auf den ersten Blick auf. Der Drucker mit einer Vergangenheit als Artillerist in Hongkong verehrt Che Guevara und Muhammad Ali. Robert Pollock Gillespie erklärt seinen in den frühen 1960er Jahren geborenen Söhnen die Legitimität des Black Panther Protests von Tommie Smith und John Carlos bei den Olympischen Spielen 1968. Er steht auf der Seite Nordvietnams. Seine Tätowierungen zeigen an, wie entfremdet er der proletarischen Klassensolidität ursprünglich war. Der Sohn beschreibt seinen Vater als einen prekär geborenen und sozialisierten Außenseiter, der ins Facharbeiter:innenmilieu aufgestiegen war.

Die sozialen Koordinaten lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Robert Pollocks Eltern besaßen nie eine eigene Wohnung. Die Armut reichte bis in die Mangelernährung. Die Gillespies der nächsten Generation leben in einer Mietskaserneneigentumseinraumwohnung. So steht es geschrieben.

„Wir wohnten im dritten Stock einer Mietskaserne in einer Einzimmerwohnung … die meine Eltern für 100 Pfund gekauft hatten.“

Die Familie schläft in einem Zimmer. Die beengten Verhältnisse haben einen eigenen Soundtrack. Es „(läuft) immer Musik“. Robert Pollock leitet einen Folk-Club, in dem Matt McGinn, Hamish Imlach und Billy Connolly zum ersten Mal auf einer Bühne stehen.

Zuhause hört frau/man Blues, Joan Baez, Bob Dylan, Hank Williams und die Dubliners.

„Es gibt Leute, die denken, Fußball sei eine Frage von Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich kann Ihnen versichern, dass es noch sehr viel ernster ist.“ Bill Shankly

Gillespie erzählt von heimlichen, unheimlichen und offiziellen Demarkationslinien. Alle Unterscheidungen in seinen Kindheitsräumen sind territorial. Nach den topografischen Begriffen der Glasgower Jugend bestimmen lauter Trennlinien Zugehörigkeit und Gegnerschaft. Da die Kinder auf Bobbys Straßenseite Celtic Glasgow-Fans sind, erübrigt sich jede weitere Frage. Bobby entwickelt seine Fußball-Liebe und -Leidenschaft in der Hochzeit des Clubs. Mit ihrem Kapitän Billy McNeill gewinnt Celtic 1967 in Lissabon den Europapokal der Landesmeister - und erreicht auch noch andere magische Marken.

„Jenes Endspiel … war ein Kampf Licht gegen Finsternis.“

Die Spieler stammen aus der Gegend von Glasgow. Der zum besten schottischen Trainer aller Zeiten gewählte Jock Stein vertritt „die Philosophie von Fußball als einer Form von Sozialismus“.

Gillespie stimmt das hohe Lied der starken proletarischen Gemeinschaft an. Dazu bald mehr.

Aus der Ankündigung

Aus einfachen Verhältnissen in Glasgow stammend („Tenement“ ist der Ausdruck für die dortigen Mietskasernen), wird Bobby von seinem Vater früh mit Beat-Literatur, revolutionärem Gedankengut und Popmusik in Kontakt gebracht. In den 70er-Jahren entdeckt er die Welt der Rock- und Punkmusik, in die er tief eintaucht. Als Mitglied von stilprägenden Bands wie The Jesus and Mary Chain und vor allem Primal Scream prägt er den Zeitgeist. Hits wie »Movin on Up« oder »Loaded« füllen bis heute jeden Tanzboden, das Album Screamadelica gilt als einer der Klassiker der Popmusik. Sein Buch ist eine einzige farbenprächtige Liebeserklärung an die Popkultur in all ihren Facetten.

»Wenn man den Geist des Rock'n'Roll in einer Person verkörpern könnte, dann wäre es Bobby Gillespie. Sein Buch zeugt nicht nur von einem abenteuerlichen Leben, sondern auch von der wunderbaren Arbeiterklassenkultur, die es hervorgebracht hat. Ich hatte das Gefühl, Tränen der Freude zu vergießen, als ich es las, aber auch der Wut über das, was uns angetan wurde.« Irvine Welsh

Zum Autor

Robert ‚Bobby‘ Gillespie, geboren 1961, ist ein schottischer Musiker, Singer-Songwriter und Multi-Instrumentalist. Er ist vor allem als Leadsänger, Gründungsmitglied und Haupttexter der Indierock-Band Primal Scream bekannt. Mitte der 1980er Jahre war er auch Schlagzeuger für The Jesus and Mary Chain. Mit Jenny Beth (Savages) veröffentlichte er 2021 ein Duett-Album.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden