Das tote Glück der Vergangenheit - Frei nach Wanda Sacher-Masoch

#TexasText/Jamal Tuschick Aurora bedenkt das „tote Glück“ der Vergangenheit; „das ganze sinnlose Spiel des Daseins“. Sie begeht „stille abgelegene Täler“ in einem gravitationslosen Damals.

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Tätige Muse

Das ist die Quintessenz: Der Pelz und die Peitsche verleihen Aurora keine Macht. Sie ist bloß Erfüllungsgehilfin eines Kolossalphantasten, dessen Ruhm die Epoche überstrahlt. Er hält ihr mangelndes Engagement vor. Aurora ist ihm nicht genug behilflich. Sie verweigert jeden „energischen“ Liebhaber, mit dem sie L. in einer Inszenierung effektvoll betrügen soll. Sie versagt in der Rolle einer tätigen Muse. Leopolds obsessives Dauerfeuer zerstört die Leichtigkeit ihres Seins. Aurora erlebt ihren Alltag als Strapaze.

Endlich verlässt Aurora ihren Mann für einen Liebhaber. Das illegale Paar setzt sich nach Paris ab. Der Neue kann Leopold von Sacher-Masoch nicht das Wasser reichen. Schon macht das kleine Licht Ausflüchte. An einen grandiosen Spinner gewöhnt, erscheint Aurora das aktuelle Programm erbärmlich.

Das tote Glück der Vergangenheit

Drei Jahre vor ihrer Scheidung (im Jahr 1886) brennt Aurora mit Jacob (Armand) Rosenthal alias Jacques Saint-Cère nach Paris durch.

„Nun schwammen wir ganz in den Wogen des Pariser Lebens.“

Aurora beschwört Armands Hingabe. Er verehrt sie als „Prinzesserl“. Die Beschwörungen klingen bald hohl. Die Verehrung leiert. Die schematisch Angebetete sehnt sich nach Ruhe im Trubel. Armand geht oft allein aus. Angeblich vertrödelt er Stunden in der Redaktion oder bei Diners mit seinem Chef Francis Magnard. Aurora zweifelt leise an Arnauds Worten. Sie ist zu erschöpft für Streit.

„Aber es war jedenfalls eine gute Form für sein Ausbleiben - und ich forschte nicht weiter, ich hütete mich wohl, nach jener dunklen Seite hinzublicken, die es im Leben jedes Mannes gibt.“

Das ist die Quintessenz: Der Pelz und die Peitsche haben Aurora keine Macht verliehen. Sie war die Erfüllungsgehilfin eines Kolossalphantasten, dessen Ruhm die Epoche überstrahlt; während Aurora sich in einem Souterrain der Verhältnisse nach der Decke streckt. Arnaud kann Leopold von Sacher-Masoch nicht das Wasser reichen. Schon macht das kleine Licht Ausflüchte. An einen grandiosen Spinner gewöhnt, erscheint Aurora das Programm ihres Liebhabers jämmerlich.

Nun leidet Aurora an Schlaflosigkeit. In Sommernächten lauscht sie am Fenster „auf das Leben, das da draußen … ohne Licht im Dunkel sitzend, wurde mir mein Fenster zur einsamen Insel“.

„Um besser zu sehen, schloss ich die Augen.“

Aurora bedenkt das „tote Glück“ der Vergangenheit; „das ganze sinnlose Spiel des Daseins“. Sie begeht „stille abgelegene Täler“ in einem gravitationslosen Damals.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist eine Wiener Bäckerei. „Wenn nach Mitternacht die Theater endeten und es still auf den Boulevards geworden war, dann krochen im Schatten der Häuser die, die die Scham am Tage zurückhielt, heran, kauerten sich an die Kellerfenster hin, aus denen der warme Geruch des Brotes kam, und atmeten ihn ein.“

Aurora erinnern die Szenen an die Armut ihrer Jugend. Nach der Scheidung ihrer Eltern war sie gemeinsam mit der mittellosen Mutter aus einer Mittelschichtswolke in die Armut der Tagelöhner:innen gefallen.

Armand versorgt Aurora mit „Taschengeld“. Selbständigkeit ist nicht in Sicht.

Armand avanciert zum Berlinkorrespondenten des Figaro. Da trifft er, so sagt es Aurora, Paul Lindau, den „Hausjournalisten der Bismarcks“. Ich glaube, sie verwechselt den Kritikerpapst Paul mit seinem Bruder Rudolf Lindau. Beide sind u.a. Schriftsteller, aber nur Rudolf arbeitet im Zentralbüro des Reichskanzlers, und zwar im Rang eines Wirklichen Legationsrats.

Alle Abende verbringt Armand im Theater. Fleißig zählt er Premierentitel auf. Aurora versichert er, eine bedeutende Person zu sein, die überall vorgelassen wird, und mit dem französischen Botschafter Jules Gabriel Herbette (wie ein Gesandter) gemeinsam auftritt. Er verkehrt mit Herbert von Bismarck (1849 -1904), dem ältesten Sohn Otto von Bismarcks. Arnaud begegnet sogar dem deutschen Kaiser, der ihm außerordentlich imponiert.

Die Überschwänglichkeit ist dahin, als Armand wieder in Paris aufkreuzt. Er erklärt sich umständlich. Eine alte Sache habe ihn eingeholt, „Schulden, die ihm auf den Rücken gefallen“. Nun soll er sich in den Kolonien rehabilitieren. Aurora durchschaut das Ganze als Schmierenkomödie. Doch was nutzt es? Sie ist auf einen Hochstapler hereingefallen. Ihre Existenz ist futsch.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

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