Erschöpfte Dämonen - Frei nach Wanda von Sacher-Masoch

#TexasText/Jamal Tuschick Aurora weist das Ansinnen eines theatralisch vor dem Gatten vollzogenen Ehebruchs als Zumutung von sich

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„Nun hielt (Leopold) sein Versprechen, und was er in den nächsten Jahren schrieb, war frei von Pelzen, Peitschen und Grausamkeiten.“ Wanda von Sacher-Masoch

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„Ich dachte, wie mein Eingehen auf die Marotten meines Mannes diesen nicht verhindert hatten, mir ... untreu zu sein, und wie oft die klügsten Reden von der Wahrheit am weitesten entfernt sind.“ W. v. SM

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„Mit Schrecken musste ich erkennen, dass ich meine stärksten Hoffnungen auf Irrtümern gebaut hatte. Seine große Liebe zu mir, die Liebe zu seinen Kindern, sein häuslicher Sinn - Irrtümer. Nichts würde ihn halten, wenn ihm fern von uns Befriedigung seiner Phantasien winkte.“ W. v. SM

Der perfekte Grieche

Während Leopold von Sacher-Masoch in seinem Fetischfeuilleton „Venus im Pelz“ einem Extremismus der Phantasie frönt, unterliegt er in der Realität eines eher kargen Daseins banalen Bindungen. Da peitscht ihn die Erwerbsnot. Sämtlicher Kalamitäten zum Trotz führen Aurora und L. (von 1873 - 1877 in Bruck an der Mur) ein offenes Haus. Gern gesehen ist Baron Ferdinand von Staudenheim. Unverhohlen macht er Aurora den Hof. Er weiß über L. Bescheid. Dessen Vorlieben schließen Candaulismus nicht aus. Ich verwende Begriffe der Gründerzeit, in Umlauf gebracht zumal von dem Gerichtsmediziner Richard von Krafft-Ebing in dem Grundlagenwerk „Psychopathia sexualis“.

Staudenheim küsst Aurora vor den Augen ihres Mannes.

„Ich blickte (L.) an. Er schien nicht nur belustigt, sondern ganz freudig erregt. … Staudenheim … hatte dasselbe bemerkt und sagte: ‚Du weißt, ich bin gleich bereit, wieder anzufangen, wenn es dir ein besonderes Vergnügen macht.‘“

Provinzcasanova

Aurora weist das Ansinnen eines theatralisch vor dem Gatten vollzogenen Ehebruchs als Zumutung von sich. Während L. sie aufdringlich darum bittet, Staudenheim als Liebhaber in einer Cuckold-Konstellation in Betracht zu ziehen. Ihm schwebt ferner der „schönste Mann“ von Bruck als Erfüllungsgehilfe seines voyeuristischen Begehrens vor.

Der Provinzcasanova, obwohl „nur“ Förster, erscheint aristokratischer als die höchsten Würdenträger:innen vor Ort. Aurora schildert den Waldmann als herzlosen Wüstling. Sie findet ihn sogar hassenswert.

L. erkennt in dem aufgetakelten Schrat den perfekten „Griechen“. Sein Ideal, die penetrant besungene Venus im Pelz, degradiert Leopolds Alter Ego Severin aka Gregor, indem sie ihn zum Zeugen des Geschlechtsvergnügens mit einem Griechen macht. Die literarische Phantasie soll Wirklichkeit werden, um die schriftstellerische Produktivität anzukurbeln.

Wir reden hier über eine Verkopplung von Passion und Pression. Leopolds Einkünfte beschränken sich auf Honorare. Fällt ihm am Schreibtisch nichts ein, verdient er nichts. Trocken bis fast auf den Grund, wringt er seine Obsessionen aus. Er beschwört erschöpfte Dämonen. Der profane Alltag kränkt den Fulminaten. Einem Kritiker, der eine Venus im Pelz in steter Reichweite des Autors wähnt, widerspricht er:

„Wäre diese Frau … in meinem Leben, dann wäre sie nicht in meinen Büchern.“

Wie soll er ein großes Publikum unterhalten, wenn ihn selbst doch nichts unterhält. Anders gesagt, Aurora erfüllt ihre Aufgaben als Domina nicht zufriedenstellend. L. setzt sie massiv unter Druck. Er deutet ihre Verweigerungen als Verstöße gegen die Gattenpflichten.

„Du meinst wohl, ich könnte Novellen schreiben, wie du Strümpfe strickst? Ich brauche zu meinen Arbeiten Stimmungen, Anregung. Was mich anregt, weißt du. Wenn du willst, dass ich für dich und deine Kinder Brot verdiene, dann kannst du doch auch etwas dazu tun.“

Aurora fügt sich. Geschlagen greift sie zur Peitsche.

„Nun hielt (Leopold) sein Versprechen, und was er in den nächsten Jahren schrieb, war frei von Pelzen, Peitschen und Grausamkeiten.“

Aurora fährt nach Graz, um da, wie ihr aufgetragen, einen Griechen an Land zu ziehen. Sie hält es keine achtundvierzig Stunden in der Ferne aus. Mit rasenden Zahnschmerzen eilt sie nach Hause.

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In ihren Aufzeichnungen würdigt die Autorin zunächst L. als ritterlichen Steigbügelhalter. Leopolds galoppierende, sprich manische Zugänglichkeit beendete eine lange „Nacht“ des deklassierten Seins für Aurora und ihre mit ans Licht gezogene Mutter. Beinah vor den Kopf gestoßen fühlt sich die (donnernd) Verehrte, weil sie ihre Dankbarkeit nicht so zeigen kann, wie es ihrer Art entspricht.

Alles geschieht wie auf dem Theater.

Im Gegenzug für seine Großzügigkeit verlangt L. von Aurora die kostümierte Entgegennahme dramatischer Huldbekundungen. Er drängt sie in eine Rolle, in der sie keine Erfüllung findet. Das verstimmt sie noch lange nicht. Erst als L. vor ihren Augen mit einer Cousine flirtet, droht sie mit dem Ehe-Aus.

„Ich dachte, wie mein Eingehen auf die Marotten meines Mannes diesen nicht verhindert hatten, mir … untreu zu sein, und wie oft die klügsten Reden von der Wahrheit am weitesten entfernt sind.“

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„Mit Schrecken musste ich erkennen, dass ich meine stärksten Hoffnungen auf Irrtümern gebaut hatte. Seine große Liebe zu mir, die Liebe zu seinen Kindern, sein häuslicher Sinn - Irrtümer. Nichts würde ihn halten, wenn ihm fern von uns Befriedigung seiner Phantasien winkte.“

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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