Geträumte Alpen - Von der Eiszeit zum Brühwürfel - Die Stasi verhaftete auch im Ausland

#TexasText/Jamal Tuschick „Etwas in die Konsequenz treiben, bis man danach nur noch weiße Seiten abliefern kann.“ Heiner Müller

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ost-Julia und West-Romeo - Superlover aus dem Westen - Was zuvor geschah

Bei einem Treffen des Weltbundes der Demokratischen Jugend (WBDJ) gerät der auf DDR-Literatur spezialisierte Germanist und durchdrungene Sozialist Till Teichmann in das Visier der Staatssicherheit. Seine Anwerbung erweist sich als Kinderspiel. Erzählt man die Geschichte andersherum, geht sie so: In den 1980er Jahren infiltriert der CIA-Agent TT den DDR-Kulturbetrieb. Teichmann ist der leibliche Sohn einer IRA-Killerin und eines NSA-Agenten. Marian O’Reilly und Wayne Raymond berührten sich nur in einem Frankfurter Augenblick. Marian war damals mit dem Sponti-Beau und Chef in spe des Hauses Teichmann liiert. Bei einem Schusswechsel fand sie den Tod. Der millionenschwere Salonkommunist … Dazu bald mehr.

Teichmann schläft beruflich mit einer hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiterin. Die leidenschaftliche Tschekistin und promovierte Psychologin Inge Schneider verkehrt nicht genauso professionell mit dem West-Romeo. Bis über beide Ohren ist sie in den (in Texas geborenen und in Frankfurt am Main aufgewachsenen) Superlover aus dem Westen verliebt. Inge unterwandert gemeinsam mit ihrem (echten) Ehemann Klaus, genannt ‚Nico‘, die Pankower Kunst- und Kulturszene. Das Ehepaar I. und K. Schneider, wohnhaft in der Dimitroffstraße, unterhält einen der exklusivsten Ostberliner Salons. Die nachfolgende Szene spielt am Küchentisch der Schneiders. In der Hauptrolle sehen Sie Heiner Müller, wie er knarzt und qualmt.

Sehen Sie ferner https://jamaltuschick.de/index.php?article_id=4525

und

https://jamaltuschick.de/index.php?article_id=4478

und

https://jamaltuschick.de/index.php?article_id=4524

„Theater verarbeitet die Allgemeinplätze der Epoche.“ August Strindberg

*

„Etwas in die Konsequenz treiben, bis man danach nur noch weiße Seiten abliefern kann.“ Heiner Müller

*

„Was auf der Bühne gesagt wurde, kann man nicht mehr zurücknehmen.“ HM

*

„Wer einen mageren Leib hat, trägt gern ein ausgestopftes Wams, und denen, welchen die Materie schwindet, schwellen die Worte.“ Michel de Montaigne

*

„Die Jugend wählt immer den leichtesten Weg der Auflehnung.“ Gertrude Stein

*

„Aus Mangel an Ruhe läuft unsere Zivilisation in eine neue Barbarei aus.“ Friedrich Nietzsche

*

„Der Gedanke der Willensfreiheit ist zu schön, als dass wir ganz darauf verzichten sollten.“ Wolfgang von Goethe

Die Natur ist sozialistisch

Der junge Heiner Müller schreibt Gedichte, wenn ihm für dramatische Arbeiten der Atem fehlt. Die poetische Produktion hat eine gymnastische Funktion. Müller als Akrobat Schön. Er turnt auf der Grammatikmatte. Er exekutiert Streck- und Dehnübungen. - Aufschwünge und pointierte Abgänge. Das alles stets vor dem Hintergrund eines antiken Prospekts wie vor geträumten Alpen.

„Antike Rituale zu verstehen, ist … ungefähr so, als wollte man als Taubstummer Klavierspielen lernen.“ Gabriel Zuchtriegel

Im Übrigen sind Müllers Verhältnisse prekär. Er ist ein asoziales Element im Arbeiter- und Bauernstaat. Schnorrer und Fremdgänger. Wie Joyce in der Gestalt des Stephen Dedalus: ist Müller der exemplarische Sohn seines Landes. Wenn Joyce schreibt, die Signatur Irlands sei der zerbrochene Spiegel einer Magd, dann schreibt Müller: „Die Bundesrepublik kann als Ganzes nicht explodieren, weil sie kein Ganzes ist … Durch die Unlösbarkeit der Probleme kriegt (das Leben in der DDR) einen organischen Charakter.“

Das wäre ein Sieg der sozialistischen Natur. In Müllers Biografie toben sich die Widersprüche des real existierenden Sozialismus aus. Die Widersprüche zerreißen den Staat, Müller machen sie titanisch. Den erkennungsdienstlichen Behandlungen seiner Kunst widersetzt er sich mit Texten, die sämtliche DDR-Behörden locker überleben werden.

Er wiederholt Improvisationen im Grundriss einer an Shakespeare geknüpften Antike-Betrachtung. Müller schreibt: „Zusammen sieht man etwas nur, wenn es auseinander präsentiert wird.“
Er zerlegt die Bedingungen des Theaters: „Die Besucher in Bayreuth sind schon durch die Höhe der Eintrittspreise zu jedem Gefühl bereit.“
Ein Gesetz des Theaters: „Was im ersten Jahr Provokation ist, ist im zweiten Jahr Repräsentation und im dritten die Erfüllung. Theater lebt von Verspätung.“
Eine Variation: „Theater ist generell nicht innovativ. Theatertriumphe sind Arbeiten, die nicht wirklich neu sind, erfolgreich ist das alte Neue.“

Repräsentation ist ein Schlüsselbegriff: Repräsentation führt zu Selektion. Folglich ist (bürgerliche) Repräsentation eine Lokomotive auf Gleisen, die in Auschwitz enden. Darunter macht es Müller nie und wenn er noch so pleite ist und ihm weiter nichts zur Verfügung steht als Deputat-Schnaps. Den kriegt der wegen einer Müllersache relegierte B.K. Tragelehn zu seiner Bewährung. Müller nimmt den Schnaps und überlässt Tragelehn die Werktätigkeit. Viel später springt das heraus: „Welches Grab schützt mich vor meiner Jugend.“

Die emotionalen Ladungen gibt Müller oft als Zitate auf. Brecht, Shakespeare, aber auch Wagner: „Die Revolution interessiert mich erst wieder, wenn Paris in Flammen steht.“ So überliefert sich die Reaktion auf einen Theaterfehlschlag im egomanischen Groß/Grußwort.

Es gibt Absetzbewegungen: „Im keltischen Nebel“ findet Müller nichts brauchbar, „erst die Renaissance (trennte) die Kulturräume“. Womit wir wieder bei der Pest sind - als einer Ouvertüre der globalen Veranstaltung Moderne. Das bricht sich dann an Müllers Vorliebe für das Deutsche. Ihn interessiert „der gotische Brecht“.

Thermoneutral Player

Ich achte darauf, wie Heiner auf Inge reagiert. Ich werde nicht schlau aus ihm. Er sagt ungefähr in meine Richtung: „Was auf der Bühne gesagt wurde, lässt sich nicht mehr zurücknehmen.“

In Westdeutschland ist es egal, was auf dem Theater gesagt wird. Ich verkneife mir die Antwort, leicht benommen von der Idee, selbst auf der großen Weltbühne zu stehen. Heiner und ich schreiben Geschichte. Ich fühle mich überlegen, weil ich nicht nur schreiben, sondern auch schießen, schwimmen, reiten, Karate und Gong-fu kann. Ich schiebe kurz das Mantra meiner Meisterin dazwischen:

Once your evolutionary intelligence is unlocked, you are connected to the universe. Suddenly you understand what this means: all of the body’s reactions have a genetic root that goes back billions of years.

Almost all genetic variants have their origins in evolutionary events long before our journey starts. And this is where epigenetics begins. If you understand that, you can rebuild yourself massively. I hear an echo of the Big Bang in my innerspace.

There are no limits. There are levels, go beyond them. If you ignore this, you will fall into imbalance.

We have information which are older than humanity. That alone makes life a celebration. If you realize this, you will understand what great opportunities you have in relation to all thermoneutral players.

Auch Heiner ist bloß ein Thermoneutraler, obwohl er mehr auf der hohen Westgeldkante hat als Honecker. Inge zeigt sich Heiner so nachgiebig wie ein Küken in der Hand des Schlachters. Kontraintuitiv bis auf die Knochen, will sie vom Meister etwas über „Mauser“ in Erfahrung bringen.

Heiner tut Inges Interesse ab. Das ist Feuilleton. Das (Interesse) geht von Inhalten aus, da kommst du nicht an die Form. Heiner beendet die milde Abfuhr mit einem dramatischen Rauchzeichen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden