Habsburger Herrenstil - Frei nach Wanda Sacher-Masoch

#TexasText/Jamal Tuschick „Manche Stunde saßen wir damals zusammen, und manches erzählte sie mir aus ihrem Leben, während ich über das meine schwieg.“ Wanda von Sacher-Masoch über das Wesen einer Sommerfrische-Bekanntschaft

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Habsburger Herrenstil

„In jedem Augenblick tauchen wir in ein Feld undifferenzierter Materie ein, aus der unsere Sinne Informationsfetzen sammeln.“ Rick Rubin, „kreativ. Die kunst zu sein“

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„Manche Stunde saßen wir damals zusammen, und manches erzählte sie mir aus ihrem Leben, während ich über das meine schwieg.“ Wanda von Sacher-Masoch über das Wesen einer Sommerfrische-Bekanntschaft

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„Der wilde Junge ist ein kühnes Weib geworden. Das Märchen ist vollkommen.“ Leopold von Sacher-Masoch, „Der Emissär. Eine galizische Geschichte“

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„Von Masoch muss gesagt werden, dass nie jemand mit mehr Dezenz so weit gegangen ist.“ Gilles Deleuze.

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„Der Künstler … ist in einen kosmischen Zeitplan eingebunden.“ Rick Rubin

Kultivierte Niedertracht

1876 verbringt die Familie ihre Sommerferien in Frohnleiten. Die obersteirische Kurstadt liegt zwischen Bruck, wo die Sacher-Masochs zurzeit leben, und Graz, wo Aurora als Tochter eines württembergischen Militärbeamten, und Leopold als Sohn des landeshauptstädtischen Polizeichefs aufwuchsen, direkt an der Mur in einem hochalpinen Durchbruchstal. Die Kombination von genretypischem Panorama, provinzieller Urbanität und komfortabler Erreichbarkeit mit der Eisenbahn macht Frohnleiten zu einem touristischen Ziel ersten Ranges.

Die Sacher-Masochs logieren in einem aufgegebenen Forsthaus an einem lichten Waldsaum. In der Exklave erlaubt sich Aurora barfüßige Spaziergänge. Ihre Erscheinung im letzten Moment vor Tau und Tag nimmt den korsettlosen Jugendstil vorweg. Sie weicht von der Jägerspur ab ins Unterholz, um einer Fährte zu folgen. Da bemerkt sie einen vermoosten Metallring. Ein innerer Anruf befiehlt ihr innezuhalten. Aurora nimmt das Ding aus dem Gras. Sie erkennt nicht, was der Erzähler längst weiß. Sie ist auf einen Schatz eisenzeitlicher Grabbeigaben gestoßen.

Ahnungslos erlebt Aurora den Augenblick wenigstens als Waldkirchenoffenbarung, wenn nicht sogar als schamanische Illumination. Sie wähnt sich im Einklang mit den Elementen, und fühlt sich fortgespült von den Beschwerlichkeiten des Ehealltags mit einem Mann, der im geilen Wahn sein Genie zu erkennen glaubt.

Erotische Spielfelderweiterung

„Wenn ich, (Leopolds) Drängen … nachgebend, in einer dekolletierten Pelzjacke im Kurhaus Billard spielte, mein Haar in zwei Zöpfen geflochten über den Rücken hängend trug, Zigaretten rauchte, mir den Hof machen ließ und leichtfertige Manieren annahm, war ich wohl mit Gleichmut gewappnet.“

Der Waldmoment erlöst Aurora vom Regime der Zumutungen. Der Habsburger Herrenstil ist eine Einöde. Von Schmissen skarifizierte, zum Schmäh verdammte, Zigarren rauchende, ewig beschickerte Kommiss- und Likörköpfe verstehen Leopolds zwanghafte Spielfelderweiterungen als Einladungen zur Niedertracht.

Da poussieren lauter Casinoton-Leierkästen. Nicht wenige schimpfen sich Ritter. Doch erschöpft sich die Ritterlichkeit in einer steifhohlen Militärattitüde.

Andere werden Gürtelketten, Scheiden, Pfeilspitzen und Fibeln aus dem Brandgräberfeld kratzen. Die Artefakte sind kaum fünfzehnhundert Jahre älter als jener Markt, den ein Graf von Pfannberg 1280 am linken Ufer der Mur zum Zentrum seiner wirtschaftlichen Interessen machte. Ein Wiesenhang gab dem Flecken seinen ursprünglichsten Namen - Vreyliten. Von da nach Frohnleiten ist es phonetisch nicht weit.

An einem anderen Morgen kommt es in einem Licht- und Farn-Dom wie aus der Vorzeit zum Gipfeltreffen. Da begegnet sich die talentierte Melancholie in der Gestalt der kaum bekleideten Aurora und eines von A. als „prächtig“ klassifizierten Dichters. Ich rede von Ferdinand von Saar.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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