Im Brustton der Verzagtheit - Frei nach Wanda Sacher-Masoch

#TexasText/Jamal Tuschick L. möchte „die Geschichte aus einer gemeinen Untreue zu einem poetischen Erlebnis gestalten“.

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„Sie gaben dem täglichen Nichts seinen Glanz, indem sie sich davon erzählten. Und dann war es doch kein Nichts mehr, es waren ihre Geschichten.“ Angelika Overath

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„Ich weiß nicht mehr, wie es kam, dass ich und (Anna) wieder allein nach Bertholdstein fuhren und Leopold uns erst den nächsten Tag nachfolgte.“

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Aurora und ihre Freundin Anna-Catherine Strebinger genießen zum zweiten Mal die pikante Gastfreundschaft des weitgereisten und hoch aufgestiegenen polnischen Grafen Ladislaus Koszielski, der nach Jahrzehnten im militärischen und diplomatischen Dienst eines Sultans als Sultan von eigenen Gnaden - mit einer sagenhaften Prachtentfaltung - in der Steiermark auf Schloss Bertholdstein residiert. Während Aurora in dem osmanisch kostümierten Grandseigneur einen veritablen Mistkerl erkennt, und sich (allerdings nur im ersten Durchgang) vor der dämonisch dimensionierten Persönlichkeit in Acht nimmt, strebt die auf mächtige Mistkerle fliegende Anna maximale Machtnähe an.

Im Brustton der Verzagtheit

Nun will Aurora mitspielen.

„Diesmal sollte mir Sefer Pascha nicht entgehen.“

Aurora reist mit ihrer „unfehlbaren“ Hermelinsamtjacke an.

„Die Jacke würde ihre Schuldigkeit tun.“

Aurora und Anna dinieren allein mit dem polnischen Pascha. Er hat einen ganzen Abend für den Besuch freigeschaufelt. Er bemüht sich um Aurora mehr als um Anna, die cool bleibt.

„Auf mich schaute sie freundlich und lieb, auf den Pascha spöttisch, und wenn ich je glaubte, dass sie mir gut sei, so war es in diesem Augenblick.“

In dieser Nacht teilen sich die Frauen ein Bett. Es geschieht dann noch ein Unfall. Davon später mehr.

Am nächsten Tag kreuzt L. auf. Der Pascha zieht den Stargast zum Begrüßungsplausch auf den Schlosshof unter die Linde. Gastgeber und Gast stammen nach aktuellen Geografie-Begriffen aus Polen. Heute wäre L. Ukrainer. Doch im Jetzt von Damals haben Ladislaus und Leopold eine gemeinsame Heimat.

Während die Männer schwadronieren, erkunden Aurora und Anna das Gelände. Sie besteigen den Schlossberg und genießen eine Aussicht auf Schloss Trauttmansdorff.

Der Namenspatron Herrand von Trautmansdorf begründete die steierische Linie der Ministerialen-Dynastie im frühen 14. Jahrhundert. Zu seiner Zeit stand an der Stelle des Schlosses die Burg Neu-Gleichenberg der Herren von Walsee.

Die Territorialfürsten hatten kurz zuvor beinah an Ort und Stelle ein Fort der Herren von Wildon übernommen. Die Riegerburg aka Burg Alt-Gleichenberg stand auf der linken Bergrückenseite des Klausenbachs.

Die Walseer kamen den Herren von Wildon nach. Das Geschlecht hatte zunächst dem böhmischen König gedient. Die Wildoner zählten zu den Verlierer:innen bei der Niederschlagung der steirischen Adelsverschwörung von 1268. Nach dem Strafverlust ihrer wirtschaftlichen Basis schlugen sie sich auf die Seite von Rudolf von Habsburg (1218 -1291). Im Verlauf immer neuer Fehden mussten die Wildoner dann die Burg Alt-Gleichenberg schon als geschliffenes Bollwerk an die Walseer abtreten. Die neuen Territorialfürsten bauten ihr eigenes Fort ab 1312 am rechten Klausenbachufer. In den folgenden Jahrhunderten ergab sich eine Transformation der Trutz- und Wehrarchitektur zum schieren Repräsentations- und Prachtbau. Dies vollzog sich von 1581 bis 1945 durchgängig in der Regie der Gräfinnen und Grafen Trauttmansdorff.

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Anna und das Ehepaar Sacher-Masoch reisen in bester Stimmung ab. Sefer Pascha bringt den Besuch zur Bahn und verspricht, bald in Graz Hof zu halten. Dann will er L. mit Agenor Maria Adam Graf Gołuchowski bekannt machen.

L. kann es sich nicht verkneifen, den nicht vollzogenen Beischlaf seiner Frau mit dem ihm ideal passend erscheinenden Pascha zu monieren. Er nölt vor sich hin und spinnt so seinen Plan fort.

Als nächstes fasst L. den Besitzer einer Zuckerfabrik als „energischen“ Liebhaber seiner Frau ins Auge. Die Rede ist von Bruno Bauer, Husar der Reserve. Auch diese Konstellation zerschlägt sich.

Damit wir uns richtig verstehen, L. möchte „die Geschichte aus einer gemeinen Untreue zu einem poetischen Erlebnis gestalten“. Dieser Entwurf überfordert die Schmierenkomödianten und Knallchargen in den königlich-kaiserlichen Kulissen. Sie kennen nur das Casino-Gedöns, den Café-Schmäh, die Billardsaal-Vendetta und Kasernenhof-Ranküne.

Am Ende soll es ein alter Freund der Familie richten. Das klappt wieder nicht. Erschöpft von dem Spagat zwischen Pfandhausalltag und Prominentenstatus nimmt sich das Ehepaar im Februar 1880 eine Auszeit in Budapest. Da lebt Leopolds Schwester. In Ungarn trifft L. eine Welle der Verehrung.

„Mit seinen Judengeschichten (hatte er) ganz Israel erobert, und jetzt reklamierte dieses seinen Schriftsteller. Am liebsten hätte es ihn selbst zum Juden gemacht.“

Das schmeichelt und ärgert L. zu gleichen Teilen.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

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