John Williams - Psychologisches Interieur

#TexasText/Jamal Tuschick John Williams, „Augustus“ - In einer Vorbemerkung reklamiert der Autor für sein Werk die literarische Wahrheit in Abgrenzung zur historischen Wahrheit

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Ärmliche Wahrheit

„Ich wünschte mir, alle meine Feinde wären so unfähig.“ John Williams‘ Caesar über den Konsul Lucius Marcius Philippus, dem Ziehvater Octavians.

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„Ich habe die Welt erobert, und nirgendwo ist man sicher.“ Caesar

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„Wir genießen unsere Fertigkeiten und bewundern das Geschick der … (anderen).“ John Williams

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„Bisher glaubte die Welt an den Heldensinn einer Lucretia, eines Gaius Mucius Scaevola, und ließ sich dadurch erwärmen und begeistern. Jetzt aber kommt die historische Kritik und sagt, dass jene Personen nie gelebt haben, sondern als Fiktionen und Fabeln anzusehen sind, die der große Sinn der Römer erdichtete. Was sollen wir aber mit einer so ärmlichen Wahrheit!

Und wenn die Römer groß genug waren, so etwas zu erdichten so sollten wir wenigstens groß genug sein, daran zu glauben.“ Goethe im Gespräch mit Johann Peter Eckermann

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„Ich machte vor einiger Zeit, eben bei jenen Unterhandlungen mit Buchhändlern, einen Fehler, und es tat mir leid, dass ich ihn gemacht hatte. Jetzt aber haben sich die Umstände so geändert, dass ich einen großen Fehler begangen haben würde, wenn ich jenen nicht gemacht hätte. Dergleichen wiederholt sich im Leben häufig, und Weltmenschen, welche dieses wissen, sieht man daher mit einer großen Frechheit und Dreistigkeit zu Werke gehen.“ Goethe im Gespräch mit Eckermann

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„Die Menschen sind Gedanken der Erde.“ Ludwig Börne

Psychologisches Interieur

In einer Vorbemerkung reklamiert der Autor für sein Werk die literarische Wahrheit in Abgrenzung zur historischen Wahrheit. John Williams (1922 -1994) besteht darauf, der Wirkung nicht alles geopfert zu haben. Als abschreckendes Gegenbeispiel weist er einen Chronisten aus, der in einer Selbstanzeige dem Effekt zuliebe sogar „Pompeius die Schlacht von Pharsalos“ gewinnen lassen würde. Das Beispiel verdient deshalb Beachtung, weil die Auseinandersetzung Epoche machte. Achtundvierzig Jahre vor dem Start der christlichen Zeitrechnung begegneten sich in Thessalien Streitkräfte der Bürgerkriegsgegner Gaius Iulius Caesar und Gnaeus Pompeius Magnus. Caesars Sieg (aus einer inferioren Position) entschied den Ausgang des Bürgerkriegs und folglich den Fortgang der Geschichte. Die sich (auf mythische Anfänge berufende, demnach ein halbes Jahrtausend währende) Römische Republik endete - einen historischen Wimpernschlag später - mit Octavians Inthronisierung.

John Williams, „Augustus“, Roman, aus dem Englischen von Bernhard Robben, dtv, 12.90 Euro

Williams Augustus-Erzählung setzt ein zu der Zeit als Caesar, die Weichen für das römische Kaiserreich stellte. Der Großonkel und Adoptivvater des dereinst zum Augustus ausgerufenen Octavian wendet sich an seine Nichte Atia, die Mutter des ersten römischen Kaisers.

Williams schildert Caesar als charmanten und gewandten Weltmann, der sein gewinnendes Wesen wie ein Schauspieler sein Repertoire einsetzt. Er bleibt kalt, auch sich selbst gegenüber. Als Onkel preist Caesar Ausbildung und Disziplin. Er warnt vor den Gefahren des Müßiggangs und den Schlichen der Schmeichler:innen.

Williams‘ Caesar verkörpert die Tugenden der Macht wie zu Demonstrationszwecken. Er trägt sie vor sich her.

Caesar weiß sich von Feinden umstellt, und wünscht sie sich so unfähig wie im Einzelnen Atias zweiten Gatten, den Konsul Lucius Marcius Philippus.

Im nächsten Durchgang herrscht Octavian. Nun haben dessen nobilitierten Streiter das Wort. Sie reden wie Caesar. Ihre Sachlichkeit gehört den blutigsten Gegenständen. Sie bleiben förmlich in allen Darstellungen von Brutalität und Hinterlist. Darin spricht sich der Geschichtsbegriff ihres texanischen Schöpfers aus. Die Vorstellungen eines Nachfahren von Pionieren ergeben sich im Einklang mit dem psychologischen Interieur und den Kolportagen der Hollywood-Sandalenriemen.

Seelische Statur

„Die Griechen sind interessant und ganz toll wichtig, weil sie eine solche Menge von großen Einzelnen haben. Wie war das möglich?“ Das fragt Nietzsche

„Was den alten Griechen zu sagen erlaubt war, will uns zu sagen nicht mehr anstehen, und was Shakespeares kräftigen Mitmenschen durchaus anmutete, kann der Engländer von 1820 nicht mehr ertragen, so dass in der neuesten Zeit ein Family-Shakespeare ein gefühltes Bedürfnis wird.“

Das bemerkt Goethe 1824. Auch Williams unterstellt seinen Römer:innen eine - die Gegenwärtigen überragende - seelische Statur. Sie betrachten sich in einem die Welt umspannenden Zusammenhang. Ihre Existenzen sind fest verbunden mit den Geschicken des Imperiums. Ob Toga oder Tunika, Stola oder Palla - Sie selbst erscheinen als Nabel und Quellen, wenn auch wie in einer Operette.

Der Kaiser als junger Mann

Erinnerungsschübe fungieren als Rückblenden. Sie überliefern den Aufstieg Octavians vom Gefolgsmann seines Großonkels zum Mächtigsten der Welt. Der legendär uneigennützige Augustus-Vertraute Gaius Cilnius Maecenas, von seinem Familiennamen leitet sich das Wort Mäzen ab, memoriert jenes Entwicklungsstadium, in dem sein Freund noch ein Knabe neben anderen war. Der Kaiser als junger Mann wirkte auf Cilnius Maecenas „wie ein unbedarfter Jüngling“. Zum Anführer schien ihm alles zu fehlen. Doch ließ er sich drillen und bewies seine militärische Zähigkeit ohne einen Zug ins Derbe.

„Wir belagerten einen Feind, der sich ausruhen und den Bauch vollschlagen konnte, während wir vorgaben, ihn auszuhungern.“ Caesar in einem Brief

Beim Training erreicht Octavian die Nachricht vom gewaltsamen Tod seines Mentors. Der Debütant reagiert gelassen. Zum ersten Mal zeigt sich sein Format.

Niemand weiß, wer nun der Feind ist. Dazu bald mehr.

Aus der Ankündigung

Octavius, Großneffe und Adoptivsohn von Julius Caesar, später Kaiser Augustus: Williams schildert das Wirken und Leben dieses außergewöhnlichen Mannes so plastisch, so mitreißend, als würden sich die Geschehnisse in unseren Tagen ereignen. Fiktive Briefe und Notizen, Erinnerungen und Senatsprotokolle lassen die Person eines Herrschers lebendig werden, dem das Schicksal Macht und Reichtum in vorher ungekanntem Ausmaß zuspielte. Aber er, der sich zum Gott erheben ließ, sieht am Ende, von Frau und Tochter entfremdet, dem Tod so ungeschützt entgegen wie jeder Mensch – als das »arme Geschöpf, das er nun einmal ist«.

Zum Autor

John Edward Williams wuchs im Nordosten von Texas auf. Er besuchte das örtliche College und arbeitete dann als Journalist. 1942 meldete er sich widerstrebend, jedoch als Freiwilliger zu den United States Army Air Forces und schrieb in der Zeit seines Einsatzes in Burma seinen ersten Roman. Nach dem Krieg ging er nach Denver, 1950 Masterabschluss des Studiums Englische Literatur. Er erhielt zunächst einen Lehrauftrag an der Universität Missouri. 1954 kehrte er zurück an die Universität Denver, wo er bis zu seiner Emeritierung Creative Writing und Englische Literatur lehrte. Williams war vier Mal verheiratet und Vater von drei Kindern. Er verfasste fünf Romane (der letzte blieb unvollendet) und Poesie. John Williams wurde zu Lebzeiten zwar gelesen, erlangte aber keine Berühmtheit. Dank seiner Wiederentdeckung durch Edwin Frank, der 1999 die legendäre Reihe ›New York Book Review Classics‹ begründete, zählt er heute weltweit zu den Ikonen der klassischen amerikanischen Moderne.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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