Erschöpfte Ehelichkeit

#TexasText/Jamal Tuschick Während die eheliche Sexualität sich vollständig erschöpft hat und als leeres Formular lustlos, aber vorwurfsvoll hin- und hergeschoben wird, revitalisiert sich Katrin in ihrem Verhältnis zu Kaplan.

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Michel Foucault beschreibt die Ehe nach Augustinus als paradoxes Projekt. Sie bildet einen frühmittelalterlichen Rahmen für „die Askese der Keuschheit und die Moral“. Sie geht von „freundschaftlichen Beziehungen (aus, die den ehelichen) Frieden gewährleisten“.

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Im vierten und letzten Band von „Sexualität und Wahrheit“ beschreibt Foucault die Zeugung als paradiesisches Phänomen, während er die Ehe dem Sündenfall zuordnet.

Paulus sagt: „Um die Hurerei zu vermeiden, habe ein Jeder sein Weib.“

Es geht in der christlichen Ehe nicht jedem antiken Autor um den Fortpflanzungsbetrieb. Die Versuchung ist der große Widersacher, nicht der Tod. Verführung ist die wahre Gewalt, sagt Schiller. Jetzt wissen wir warum.

Das Christentum dreht sich nicht um den Tod und nicht um die Geburt. Es verhandelt das Verhältnis der Gläubigen zu Gott.

Schließlich könnte Gott jederzeit so viele Kinder ins Leben schmeißen, wie er will. Beinah am Ende seiner Erforschung von „Sexualität und Wahrheit“ beschreibt Foucault das Projekt des Christentums als eine post-antike Verbesserung des Menschen in Glauben und Verzicht. Foucault weist nach, dass die Ökonomisierung der Sexualität, die sich bis in den Regelvollzug fortsetzt, nicht erst vom Christentum ausgelöst wurde, sondern vorher da war. Die apostolischen Einlassungen basieren auf Milieuübereinkünfte in einer nicht-christlichen Welt. Die ersten Kirchenväter kopierten stoische Leitsätze. Foucault durchforstet die Reglements von Taufe, Sünde und Buße in der Gemeinschaft der Gläubigen. „Die Vielseitigkeit und Unbeständigkeit“ des Menschen verlangen Regulation und Restriktion. Über die Vereinfachung gelangt man zur Askese. Die Antwort auf alle Unwägbarkeiten lautet Erziehung. Sie findet statt in Klöstern, die als Wissenshochburgen fungieren.

Michel Foucault, „Die Geständnisse des Fleisches. Sexualität und Wahrheit“, Band 4., herausgegeben von Frédéric Gros, aus dem Französischen von Andrea Hemminger, Suhrkamp, 557 Seiten, 36,-

Die Zeugung hängt schon deshalb nicht an der Frau und der Ehe, weil Adams Zeugung von beiden nicht abhing. Gott brauchte (zunächst) keine Frau und er musste niemandes Gatten sein, um zeugen zu können.

Kinder bezeugen die Auferstehung. Anders gesagt, es gibt lange keine biologischen Erklärungen, die alles auf die Fortpflanzung reduzieren.

Allein deshalb lohnt es sich, Foucault zu lesen. Er schärft den Blick. Die Zeugung gehört zu den paradiesischen Umständen, (Gott schüttelt Adam aus dem Gelenk) die Ehe zum Sündenfall. Sie ist eine Kalamität der Knechtschaft des aus dem Paradies vertriebenen Menschen. Die Ehe unterliegt thematisch der Sterblichkeit, die Zeugung der Unsterblichkeit. Eine weitere Einschränkung ergibt sich aus der „Ökonomisierung der Wollust“. Man lebt sich aus im Rahmen der Ehe. Wie auf einer Eisbahn dreht man Kreise in der Gleichheit der Ansprüche. Der Mann darf sich der Frau so wenig verweigern wie sie sich ihm. Das hebt die allgemeine Ungleichheit situativ auf.

„Wenn der Mann die Mitgift seiner Frau als sein Eigentum betrachten kann, dann gründet sich dies auf die Ansicht, dass ihr der Körper ihres Mannes gehört.“

Das sagt die Quelle, auf die sich Foucault stützt. Ich habe es vermieden, Namen abtropfen zu lassen, die den Wenigstens etwas sagen. Ständig bemüht Foucault Johannes Chrysostomos und Johannes Cassianus.

Foucault erklärt, warum und wie die Wollust eingesperrt wurde. Die christliche Ehe ist eine Fortsetzung der klösterlichen Gemeinschaft im Geist der Enthaltsamkeit, soweit es die Ethik und die Spiritualität betrifft. Alle Prozesse sind geklärt und transformiert, weder das Trieberlebnis noch die Zeugung gewinnen in der Summe eine herausragende Bedeutung.

Anders gesagt, die Wollust wird in der Ehe so gehandhabt wie die Enthaltsamkeit im Kloster. Manchen erscheint die Ehe so verächtlich wie der Ehebruch. Das beschäftigt jene Autor:innen, die Foucault basieren, mehr als die Fortpflanzung. Das aber bedeutet, dass sie der Sexualität ein eigenes Recht einräumen, ein Fach im Regal des Lebens.

Foucault macht Augustinus zu seinem wichtigsten Gewährsmann: „Aber jeder Freund der Weisheit … würde lieber … ohne Lust Kinder erzeugen.“

Erschöpfte Ehelichkeit

Während die eheliche Sexualität sich vollständig erschöpft hat und als leeres Formular lustlos, aber vorwurfsvoll hin- und hergeschoben wird, revitalisiert sich Katrin in ihrem Verhältnis zu Kaplan.

Kaplan wuchs in einer Einer-gegen-alle-Konstellation auf. Allein unter kolossalen Schwachköpfen war die Schulbibliothek zu seiner Zuflucht geworden. Kaplan entging den Schwärmen ferner ins Training. Er wurde gut genug, um den Besten einer Goldenen Ära nahe zu kommen. Seine Götter hießen Stefan Kretzschmar, Volker Zerbe, Klaus-Dieter Petersen. Kaplan betete ihre Rekorde herunter. Er rekonstruierte Spielzüge.

Kaplan hatte sich als Kind hinter einer Mauer aus Handballbegeisterung versteckt. Er ist nun Anwalt. Zu seiner häuslichen Weitläufigkeit gehört ein Panoramablick auf den Holzhausenpark.

Ja, Kaplan hat alles richtig gemacht. Er hat einen weißen Beruf, weiße Liebhaberinnen, eine weiße Wohnung, eine Garage und ungefähr zweihundert Kochbücher. Er ist im FDP-Kulturausschuss. Im Flur wartet ein Kinderwagen auf die Dinge, die da kommen mögen.

Katrins Schwung, ihre Bereitschaft, sich in Schwierigkeiten zu stürzen, spornt Kaplan an. Katrins Überschreitungen machen Lust auf mehr. Kaplan lebt eheähnlich mit Dara zusammen, die sich für so gut wie verheiratet hält. Die Unternehmerin übersieht eine Armee von Rivalinnen. An erster Stelle ihrer Gegenspielerin steht keinesfalls Katrin, auch nicht Antigone von Pechstein oder die alle dominierende Nihan (der Turk-Turbo), sondern die Israelin Malka und seit Neustem die russisch grundierte Amerikanerin Alexa.

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Doch lassen Sie uns doch noch einmal anders von vorn anfangen. Erst stützte ihn die Bundesrepublik, dann unterstützte sie jene, die Schah Reza Pahlavi vom Pfauenthron stürzten. Den historischen Dreh- und Angelpunkt beschreibt Frank Bösch als weltgeschichtliche Wendemarke - und Initialzündung für das akute Jetzt.

Frank Bösch, „Zeitenwende 1979 - Als die Welt von heute begann“, C.H.Beck, 512 Seiten, 28,-

Nichts von dem, was im Februar 1979 in Teheran geschah, war vorhergesehen worden. Michel Foucault, der für Corriere della Sera den landesweiten Aufstand beobachtete, schrieb:

„Das ist vielleicht die erste große Erhebung gegen die weltumspannenden Systeme.“

Innerhalb von drei Tagen waren die etablierten Machtstrukturen abgeräumt und weggefegt.

Viele werden den Menetekelcharakter von Foucaults Nachrichten aus dem Iran überlesen haben. Plötzlich fluteten verschleierte Frauen das Vorfeld der Reporterinnenarmee und erklärten ihre „Abkehr von der westlichen Moderne“ zum Ausblick auf das politische Design der Zukunft. Die Botschaft verhallte im Nichts der Verständnislosigkeit. Zukunft war nach allgemeinem Verständnis ein westliches Projekt. Wahrgenommen wurde „eine Rückkehr ins Mittelalter“ unter der Ägide des Ajatollah Khomeini.

Am 16. Oktober 1978 wurde der Pole Karol Wojtyla zum Papst (Johannes Paul II.) gewählt. Ein Jahr später löste sein Besuch in der kommunistischen Heimat ein Erdbeben der katholischen Begeisterung aus, in dem viele Brocken der Systemkritik durch die Luft fliegen. Frank Bösch bemerkt: „In diesem Jahr häuften sich globale Ereignisse, die Türen zu unserer Gegenwart aufstießen. In zahlreichen Ländern kam es zu Revolutionen, Umbrüchen und Krisen, die viele Herausforderungen unserer heutigen Welt ankündigten.“

Ein Jahr später sorgte eine Versorgungskrise in Polen für Massenproteste. Werftarbeiterinnen bildeten den Kern einer revolutionären Zelle, deren Metastasen den kommunistischen Ostblock bis zur Selbstaufgabe schwächten.

Während Khomeini in Teheran triumphierte, besuchte zum ersten Mal ein hochrangiges Mitglied der chinesischen KP die Vereinigten Staaten. Deng Xiaoping war für Time der Mann des Jahres 1979. Mit seiner Erscheinung auf dem politischen Parkett verband sich die ökonomische und kulturelle Öffnung Chinas. Noch erkannte niemand die globalen Folgen des staatskapitalistischen Coups. Zu den CIA-Auguren und politischen Kaffeesatzleserinnen im roten Kreis der US-Präsidentenberaterinnen zählte auch Vera-Alexas Vater Ilja-Ivanhoe Repin.

Wie alles begann

1874 absolvierte Ilja-Ivanhoes Großvater Ilja Repin (1844 - 1930) die Grand Tour. Seine Begabung glänzte in den Farben kaiserlicher Anerkennung. Er pendelte zwischen Wien und Paris; traf Édouard Manet; fiel im Pariser Salon von 1875 durch und verzichtete im Weiteren auf die Vergünstigungen seines Reisestipendiums. 1876 kehrte Repin nach Russland zurück. Da gewährte man ihm jene Anerkennung, die ihm in Westeuropa vorenthalten worden war.

Fortan widmete sich Repin russischen Themen. Unter dem Einfluss von Tolstoi wurde er Vegetarier.

1879 malte er seine Familie, siehe Auf dem Feldweg. Wera Repina mit ihren Kindern. Die Ansicht entstand auf dem Freisitz des Industriellen Sawwa Iwanowitsch Mamontow. Der Schauplatz hatte eine eigene Gravitation als Künstlerinnenkolonie. Das Gut Abramtsevo diente einem restaurativen Impetus als Refugium. Auf der Abramtsevo-Agenda stand die Revitalisierung traditioneller russischer Handwerkskunst. Repins Familienbild erzeugte dazu einen Gegensatz. Die leichtfüßige Präsentation seiner Ehefrau Wera Alexejewna, der Kinder und einer Gouvernante entsprach nicht allein einer Hommage an die französische Freiluftmalerei. Vielmehr erfüllte sie alle Bedingungen einer modisch-westlichen Freizeitgestaltung. Das ist der Witz des Bildes. Er widerspricht dem Geist von Abramtsevo, ohne das rückwärtsgewandte Projekt zu kritisieren.

Den russischen Reflex auf den Impressionismus deuten Expertinnen als kollaborierende Begegnung von slawischem Drama und französischer Leichtigkeit.

Vorweggenommene Patina und Herrschaftsmalerei

Seit 1898 bestand eine direkte Zugverbindung zwischen Moskau und Nizza. Es ergaben sich Avantgarde-Konstellationen mit den Aspirationen der Sommerfrische. Auch die Technikfaszination der italienischen Futuristen wirkt auf diesen Moment der russischen Malerei.

Der Augenblick verschleierte die politische Großwetterlage und so auch die drängenden Themen eines vorrevolutionär zerrissenen Landes, das jede Menge feudal-idyllische Ansichten bot, solange man das Elend der Bäuerinnen ignorierte.

Auf eine verspielte Weise bestätigte der russische Impressionismus die Monarchie. Seine Sujets variierten Stadien im Reigen eines Müßiggangs, der in Russland andere Voraussetzungen hatte als in Westeuropa. Einige Repräsentanten suchten den klassischen Peak der Szenen in vorweggenommener Patina. Das Holz einer Täfelung ist zwar noch gar nicht verwittert, evoziert aber schon eine Zukunft, in der die Täfelung die gute alte Zeit symbolisieren wird.

In einer durch und durch säkularen Malerei trotzt das Sakrale gar nicht selten in den Gesichtern der Porträtierten. In überwältigenden Darstellungen von Ornament und Verbrechen aka Schönheit und Charakter vollzogen Malerinnen die Apotheose an ihren Modellen.

Abgehalfterter Held

„Nefes kesici“ - atemberaubend“ erschien Kaplan die Neue in der Nordend-Lese- und Laufgruppe, deren Gründungsmythos auf einen Schwur von Nihan im Tanzsaal (dem Avalon) der Burggaststätte zurückgeht. Die Amerikanerin begrüßte das Interesse des gutaussehenden, beruflich und privat ausgelasteten Anwalts. Alexa Repin besitzt mit ihren prominent gemalten Vorfahren ein Alleinstellungsmerkmal, das sogar Malka aussticht.

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Wer weiß. Vielleicht wäre Ariel Scharon ohne den Jom-Kippur-Krieg von 1973 als abgehalfterter Held in den Reusen der Geschichte hängengeblieben und nicht zu einer mythischen Gestalt der israelischen Gründerzeit aufgestiegen. Seine historische Statur und Überlebensgröße gewann er als reaktivierter General (auf einem Vorposten des Politischen) im Streit mit seinen Vorgesetzten und bedroht von einem Befehlsverweigerungsverfahren. Scharon war schneidig, ohne erfolgreich zu sein. Nebenbei erkannte er die Schwäche der Bar-Lew-Linie, bevor die ägyptische Armee sie überwand.

Malkas Vater gehört zum engsten Kreis um Sharon. Sie kam in Ashkelon zur Welt, zehn Jahre nach dem größten Augenblick im Leben ihres Vaters. 1967 hatte er Shlomo Goren nach Jerusalem begleitet, wo der General zum Zeichen des Sieges (im Sechstagekrieg) das Schofar blies, während Juliette Gréco in Paris für Israel sang; 1973 wurde Goren an der Bar-Lew-Linie von ägyptischen Streitkräften überrannt.

Bei Malka muss sich keiner fragen, ob oder ob nicht. Sie hat. Sie könnte für die Zahal Modell gestanden haben, den Vollautomaten vor der Brust. Israel inszeniert den Wehrdienst als schicke Sache. Kaplan kennt Israels (ungünstige) Militärgeographie und Malkas Familiengeschichte aus dem Effeff. Malka rechnet einen Bar-Giora-Gründer (Zionistischer Selbstverteidigungsclub in der Osmanischen Palästina Periode) und sogar Grandmaster MoD zu ihren Vorfahren. (Als Ben Gurion am 14. Mai 1948 in Tel Aviv Israel ausrief, stand Moshe Dajan in Galiläa und wartete auf die Syrer. Er formte die Haganah zur Zahal (IDF) wie Gott den Menschen aus Erde vom Ackerboden.) Malka durchlief das Testprogramm für das Caracal Bataillon (in Gründung). Es wird einmal mit einem Frauenanteil von siebzig Prozent die Grenze zu Ägypten sichern. In ihm wird sich die erste Araberin, Elinor Joseph, an israelischen Kampfeinsätzen beteiligen.

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Kaplan prahlte vor der Kunsthistorikerin Alexa mit vorübergehend unvergänglichen Formulierungen. Der smarte Postmigrant schliff die Urenkelin eines berühmten Malers durch eine Ausstellung im Kanaka-Kulturforum. Sie stand unter der Überschrift Cultural Appropriation im Goldenen Zeitalter.

Kundenwunsch nach Überhöhung - Aus einem Referat

Assueer Jacob Schimmelpenninck van der Oije (1631 - 1673) war ein weitgereister Repräsentant des Goldenen Zeitalters, als er sich 1660 von Dirck van Loonen in Heldenpose porträtieren ließ. Der Maler hatte die (in der eurozentrischen Perspektive exotischen) Landschaften nie gesehen, die seinen Auftraggeber zu dem Auftritt inspirierten. Der Kundenwunsch nach Überhöhung erfolgte nicht allein metaphorisch. Schimmelpenninck stand als Prachtausgabe seiner Selbst Modell. Er beanspruchte Erhabenheit auch im Verhältnis zur Kreatur. Der Hund auf dem Gemälde erschien als Statussymbol und war zugleich eine lebende Erinnerung an die Pilgerreise, die Schimmelpennincks Horizont dramatisch erweitert hatte. Von Zypern war er 1657/58 nach Jerusalem, Damaskus, Tripoli und Aleppo gelangt. Aus eigener Anschauung kannte er, was den meisten niederländischen Zeitgenossinnen nur vom Hörensagen geläufig war. Im Geist einer neuen Zeit stilisierte sich der Weltmann imperial. Der Turban war Accessoire und Signal eines Machtanspruchs. Das Überlegenheitsphantasma begründeten calvinistisch-protestantische Formulierungen im Gegensatz zu dem katholischen Dominanztext der Ära.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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