Manspreading im Kleid

#TexasText/Jamal Tuschick Die Indien-Schwärmerei ist ein Hype des 19. Jahrhunderts. Sanskrit wird zur Modesprache unter Gelehrten. Wilhelm von Humboldt und Friedrich Schlegel beteiligen sich an diesem Hype.

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“Learning the sequence was like receiving one’s first gift - a new world had opened. Life would never be the same, beauty had entered and it would continue to blossom.” Derek Ireland, Quelle

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“However, in doing so, it is worth noting, that Yoga had been transformed in one sudden leap of evolution. In fact, with no historical precedent; from a practice generally related to transcending the body, yoga was now a means for living more comfortably within it.” @adam keen ashtanga, Quelle

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„Die einfachste Lösung ist normalerweise die beste.“ Amaryllis Fox

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“Don’t practice until you get it right… Practice until you can’t get it wrong!” Roger Gracie

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“There are no limits. There are plateaus, but you must not stay there, you must go beyond them. If it kills you, it kills you. A man must constantly exceed his level.” Bruce Lee

Anfällig für Patschuli-Exotik und Mandala-Folklore

Die ursprüngliche Kolonie Molotschna wird 1804 von Mennoniten auf dem Territorium der heutigen Oblast Saporischschja in der Ukraine gegründet und nach dem nächsten Fluss benannt. Sechzig Dörfer bilden eine ethnisch-religiöse Außenseitergemeinschaft, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg zerstreut und in Bolivien ein zweites Molotschna (Manitoba) in die Welt setzt.

Da bleibt man unter sich und zelebriert eine evangelische Sonderform der anachronistischen Existenz mit grauenhaften Auswüchsen. 1964 entflieht Mika Kerber der Gemeinschaft. Via Australien, Neuseeland, Bali, Tibet und Griechenland gelangt sie auf dem Śubhēchā-Patha nach Berlin. Mika findet Anschluss in dem (aus einem Jugendzentrum hervorgegangenen) Indienhaus im Wedding. Man propagiert eine yogabasierte Aufhebung von Leben und Arbeit. Ein ausstrahlungsarmer Juraprofessor erkennt in Mika eine ihm im Traum versprochene, einigermaßen göttliche Verkünderin seines privaten Glücks. Beinah umgehend macht der für Esoterik, Patschuli-Exotik und Mandala-Folklore zwar anfällige, aber trotzdem bürgerlich-tüchtige Ferdinand von Hainbach der Hippie-Nomadin einen Heiratsantrag.

Exklusive Popularisierung

Die Indien-Schwärmerei ist ein Hype des 19. Jahrhunderts. Sanskrit wird zur Modesprache unter Gelehrten. Wilhelm von Humboldt und Friedrich Schlegel beteiligen sich an der exklusiven Popularisierung. Friedrichs Bruder August Wilhelm akademisiert das Genre. 1823 übersetzt der Romantiker die Bhagavad Gita.

In Amerika popularisiert Swami Vivekananda aka Narendranath Datta 1893 Yoga mit einem Schlag, und zwar als Redner bei einer Ökumenischen Großveranstaltung in Chicago. Neunzig Jahre später hat Mikas Tochter Nike von Hainbach in Berlin eine berufliche Erfolgssträhne mit einem Mix aus Calisthenics-Workout, Sauna-Yoga und Mixed Martial Arts. Nike antizipiert ein halbes Dutzend Trendsportarten des 21. Jahrhunderts. Wäre sie nicht vergessen worden, würde man Nike heute als Pionierin feiern. Mich interessiert ihre Verwandtschaft mit dem Kasseler Rittergeschlecht derer von Pechstein. Die Hainbachs sind bloß eine dynastische Verzweigung zweiten Ranges. Aber immerhin. Nike, im Übrigen auch BND- und CIA-Freelancerin, ist eine von uns.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

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