Paare in der SPD

#TexasText/Jamal Tuschick Charles Darwin glaubte an einen Optimierungsswing von weiblichen Partnerwahlpräferenzen und männlichem Selektionsdruck ...

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Expressive Muster

Warum erscheint die Natur so form- und farbbizarr? Was soll uns ein cyanblau gepunktetes Goldschuppenkleid sagen?

„Warum gibt es einen geleeartigen, zitronengelben Fisch, dessen Augenränder und Schwanzflossen neongrün leuchten?“

Das exklusive Schauspektrum liefert „Orientierung in sozialen Systemen“. Bei den Buntbarschen, die sich in 1700 Arten verzweigen, hängt der Fortpflanzungsbetrieb von der weiblichen Wahrnehmung (nach überkommenen Begriffen, vom weiblichen Schönheitssinn) ab. Die Richtigen sind nicht unbedingt die Schönsten, behauptet aber Axel Buether im Geist der Fisher‘s Runaway Selection.

Axel Buether, „Die geheimnisvolle Macht der Farben. Wie sie unser Verhalten und Empfinden beeinflussen“, Droemer Knaur, 306 Seiten, 25,-

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Aversionsfontäne

Herta Grabowski hatte ihre Briefe an Willi Umbach kurz vor dessen Tod eingesackt und mit seinen Liebesbriefen an sie in einem Bündel vor der nordhessischen SPD-Legende versteckt, mit der sie verheiratet war. Nach Hertas Tod stieg ein Rollkommando der Verwandtschaft durch das Gebirge der Hinterlassenschaft. Hertas Großneffe Nils fand die Briefe. Sie stempelten Herta zur Ehebrecherin und erklärten die notorische Verstimmung ihres, vor Herta verstorbenen Mannes.

Nils deponierte die Briefe auf der Hollywoodschaukel im Garten von Willis Sohn Wolli. Wolli und Nils waren gemeinsam konfirmiert worden. Im Verlauf ihrer Adoleszenz wich eine gleichgültige Zuneigung gleichgültiger Ablehnung. So was passierte ständig im Dorf. Aus den Geysiren der Jahrgänge und Nachbarschaften schossen Aversionsfontänen.

Wolli war SPD-Ortsvereinsvorsitzender, Nils einfaches Mitglied. Eines Tages tauchte Nils zum ersten Mal mit Wollis vorübergehender Ex-Freundin Kerstin in einer Ortsvereinssitzung auf. Zehn Jahre nach Willi Brandts Thronbesteigung kamen Paare in der SPD in Mode. Dies geschah im Zuge einer Sozialdemokratisierung Deutschlands.

So endete die große Zeit der Klogenossenschaft. Bis dahin hatten es die Genossen immer wieder fertiggebracht, sich in einem, den Notwendigkeiten einer Schule angepassten Klo im Bürgerhaus (vormals Alte Schule) wiederzuvereinigen, nach einer Phase der Kleingruppenbildung zwischen einem umgedeuteten Klassenzimmer, dem kilometerlangen Korridor und dem Klo.

Früher hatten die Frauen keine Zeit gehabt, die sie in Ortsvereinssitzungen verschwenden konnten. Schon so hatten sie es schwer genug mit Männern, die nicht, wie Nils‘ Großvater und sein Onkel Klaus, ständig mit der Vermehrung ihres Vermögens und der Wahrung ihres Eigentums beschäftigt waren. Eigentum verpflichtete. Das bedeutete, man musste das Eigentum mit Mauern, Zäunen und Hecken schützen.

Willi I. und Onkel Klaus waren richtige Männer. Väter, die das Kapital für ihre Lage verantwortlich machten, und auf Umverteilung spekulierten, anstatt Wert schöpfend zu wirken, durften nicht damit rechnen, von richtigen Männern ernstgenommen zu werden. Man sah in den Genossen nicht direkt Scharlatane, doch gab es eine Tendenz, die sozialdemokratische Suada für eine Tricktünche zu halten, die charakterliche Schwachstellen verdeckte.

Die Jüngsten im Ortsverein waren alle auch in der Freiwilligen Feuerwehr und beim Turn- und Sportverein Kleeberg. Fleißig karrten sie Tapeziertische vom Depot ins Einkaufszentrum, um sich da unbeliebt zu machen. Wolli suggerierte der schweigenden Mehrheit, dass die Sache des Arbeiters am besten von Unternehmern vertreten würde. Er lachte über Wirtschaftswissenschaftler. Wenn die alles besser wussten, warum waren die dann nicht Millionäre?

Bereits Wollis Vater war Krypto-Christdemokrat gewesen. Auch in Nils arbeiteten Zweifel am Frommen der Weltrevolution. Die Zweifel hatte ihm sein Großvater eingegeben.

Nils fragte sich, ob jene Frauen nicht besser dran waren, deren Männer unentwegt bauten und schraubten und Grundstücke dazukauften, die nicht größer als Schrebergärten waren. Kleinvieh machte auch Mist.

Mit Kerstin ließ sich darüber nicht reden. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie Wolli ihren Übertritt ins feindliche Lager verdaute. Sie wünschte ihm schwere seelischen Leibschmerzen. Kerstin war mit Wolli noch nicht fertig. Dass Nils das nicht kapierte. Seine selbstgefällige Ahnungslosigkeit stieß sie ein bisschen ab, so dass sie sich selbst wie eine andere erleben konnte, während sie mit ihm schlief und nebenbei in Erfahrung zu bringen trachtete, was ihre Vorgängerin Nils eingegeben hatte. Zehn Jahre später fuhr Kerstin schon wieder seit Jahren mit Wolli in die Ferien. Für den Richtigen gab es nun mal keinen Ersatz.

Böse Scherzkekse

Charles Darwin glaubte an einen Optimierungsswing von weiblichen Partnerwahlpräferenzen und männlichem Selektionsdruck. Der britische Statistiker und Evolutionstheoretiker Ronald Aylmer Fisher (1890 - 1962) griff Darwins Idee von der zwangsläufigen Verbesserung auf, um ihr zu widersprechen. Fisher etablierte die sexuelle Präferenz als Komplementärkategorie zur natürlichen Selektion. Die Bevorzugung von Merkmalen führt nach der Sexy Sons Hypothesis zur Durchsetzung von männlich konnotierten Farben und Formen. Interessant ist hier die Geringfügigkeit eines Farbvorteils, der in evolutionären Prozessen mit aller Macht nach vorn getragen wird, ohne die Überlebenschancen der Merkmalträger zu verbessern. Fisher nannte den kuriosen Vorgang Runaway Process. Auf dieser Strecke werden Selektionsnachteile (wie etwa ein beschwerlicher Federschmuck) solange weitergegeben, bis vitale Beeinträchtigungen das Experiment stoppen.

So kann der weibliche Schönheitssinn in die Irre führen. Manche Vogel- und Fischweibchen favorisieren extrem auffällige Männchen, deren Performance auf optische und akustische Maximalreize ausgelegt ist. Die Präferenz einer Gefiederten für lange Schwanzfedern besorgt - mit paradoxen Folgen - die sogenannte positive Rückkopplung. „Der Koppelungsprozess führt in kurzer Zeit zu extremer Merkmalsausprägung.“ Überzogene Federschwanzlängen wirken sich bei Pfauen kostspielig aus. „Sie stellen einen deutlichen Überlebensnachteil dar (Energieverbrauch, Beeinträchtigung der Mobilität, usw.).“ Quelle

Man spricht von Selbstverstärkung. „Die Farbpräferenz des Weibchens sorgt für die Selektion der männlichen Gene, die darüber hinaus keine weiteren Vorteile bieten müssen (Axel Buether).“

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Die größten Bauwerke der Welt erschaffen Korallenpolypen. Sie betreiben Fotosynthese und beziehen Nährstoffe von mikroorganischen Nutznießern ihrer Riffe. Hundertausende Arten leben „auf engstem Raum in Freundschaft und Feindschaft zusammen“.

Diese Umwelt ist zu komplex, um sie allein mit Nahsinnen (Tasten, Riechen, Schmecken) bis zur Übersichtlichkeit in den Griff zu bekommen. In der verdichteten Unterschiedlichkeit bietet das Gehör nicht genug Filter, um im Spektrum zwischen Gefahr und Fortpflanzung „identifizierbare Geräuschmuster“ zu entwickeln. Denken Sie an die Akustik in einer überfüllten Wartehalle. In jedem Gewimmel sorgen allein prägnante Farben für eine effektive Unterscheidung.

„Farbe ist das leistungsfähigste Orientierungssystem der Natur.“

Mit dieser Ansage eröffnet Axel Buether einen Reigen spannender Erklärungen. „Buntheit“ beweist Biodiversität. Sie indiziert Vielfalt.

Buether erwähnt die Funktionen von Farben in den sieben Kategorien „Orientierung, Gesundheit, Warnung, Tarnung, Werbung, Status und Verständigung“.

Nachtrag

Das ligurische Dorf ((Kerstins und Wollis Feriendestination) war beinah ausgestorben. Ein paar Uralte saßen vor einer neorealistisch-tristen Bushaltestelle, aber in den zwei Wochen ihres Aufenthalts sah Kerstin kein öffentliches Verkehrsfahrzeug. Ab und zu bretterte ein Pritschenwagen vorbei und einmal am Tag hielt ein Tankwagen, der die Letzten mit Wasser versorgte.

Im Zuge der Entvölkerung hatte das Dorf seinen Mittelpunkt verloren. Der Schauplatz finaler Gemeinschaftsereignisse war eine Wiese am Rand gewesen, auf der noch Bänke und Tische verrotteten.

In einer zugespitzten Darstellung überragte das Dorf eine breite Felsnase, deren Berg aus dem Ligurischen Meer stach. Das Blau des Himmels spiegelte sich mit phantastischen Effekten. Manchmal war die Horizontlinie schwarz, manchmal grün.

Die Natur drückte gegen jedes Haus. Sie brach aus dem Asphalt und zerbrach die Plattenwege. Bougainvillea und Orchideen überrannten Terrassen, die Jahrhunderte einen landwirtschaftlichen Nutzen gehabt hatten. Olivenhaine säumten zerfallene Bruch- und Natursteinwerke. Nachts weideten Wildschweine in den Hainen. Sie verstärkten das Gefühl von Bedrohung. Auch unter dem Dach der Ferienunterkunft tobte nachts das Leben - eine einzige Jagd.

Auf der Heimfahrt hörten Kerstin und Wolli von Lady Dianas Unfalltod, als sie den Lago Maggiore links liegen ließen. Die Nachricht erschien Kerstin so unglaublich, dass sie sich in der Vorstellung verlor, der Sender sei von bösen Scherzkeksen gekapert worden.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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