Passivität wird Europas Untergang sein

#TexasText/Jamal Tuschick Die interessanten Antworten kriegte ich von Leuten, die bleiben wollten. Sie hielten Verzerrungen des Systems für Schmerzfolgen eines immer noch nicht abgeschlossenen Geburtsvorgangs.

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„Passivität wird Europas Untergang sein.“ Sten Hellsten 1939

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„Für Bertolt Brecht ist Kultur nur lebendig, wenn sie wie ein Löwe für ihre Rechte kämpft.“ Sten Hellsten

Über einen totalen Einsatz für den Weltfrieden im Kalten Krieg

Die Stasi im Führerhaus des Kleintransporters trug die grauen Kittel des ausliefernden Gewerbes zur Schau.

Bei einem Treffen des Weltbundes der Demokratischen Jugend (WBDJ) wurde mir Josh vorgestellt. Er behauptete, meine Sachen zu kennen, wir kamen ins Gespräch. Josh äußerte sich kritisch, die Kulturpolitik der DDR fand er antiquiert. Ich hatte mich auf DDR-Literatur spezialisiert, sie erschien mir bedeutender als das westdeutsche Material. Ich korrespondierte mit DDR-Autor:innen und besuchte sie auch. Dabei gab es keinen Kontakt auf der Parteilinie. Trotzdem. Die interessanten Antworten kriegte ich von Leuten, die bleiben wollten. Sie hielten Verzerrungen des Systems für Schmerzfolgen eines immer noch nicht abgeschlossenen Geburtsvorgangs. Die sozialistische Republik kam langsam zur Welt, sie gebar und erbrach sich in Jahrzehnten aus den Fehlern von Jahrtausenden. Das Bild einer Zangengeburt drängte sich auf, Willi Sitte hätte das Bild malen können. Ich traf Josh dann in Samisdat-Runden, das waren Gipfeltreffen in der Hauptstadt. Die Giganten ließen sich von Zwergen bewachen. Jedenfalls sah ich das so eine Weile, mit diesem blöden Blick, den man von außen hat. Schließlich erklärten mir Dissidenten, dass viel Intelligenz bei der Stasi unterkommt. Die Deppen gehen in die Politik, hieß es, und die Klugen steigen im MfS auf. Es kam dahin, dass ich an einer Stelle in der Friedrichstraße durch die Mauer diffundierte, um mich in Ostberlin als ein anderer zu materialisieren. Joshs Bekannte luden mich zum Essen ein, wir besuchten den Fernsehturm und die Baustelle des Zeiss-Großplanetariums im Ernst Thälmann-Park. Man wollte mir zeigen, wo die Zukunft stattfindet, kein Mensch hielt für möglich, dass die DDR nur eine Episode sein könnte. Im Westen wurde das Ende der Geschichte diagnostiziert, sie sei zum Stillstand gekommen, sagten Philosoph:innen. Das interessiert mich nicht. Im Osten stand die Unumkehrbarkeit des Geschichtsverlaufs und insofern der Sieg des Sozialismus als wissenschaftliche Tatsache fest. Das gefiel mir schon besser. Ich sah einem Barkas 1000 mit dem Schriftzug „Esst mehr Fisch, Leute“ nach. Nein, das stand da so nicht, aber die Stasi im Führerhaus des Kleintransporters trug die grauen Kittel des ausliefernden Gewerbes zur Schau. Es sollen schon vermeintliche Fischtransporte von potentiellen Käufer:innen verfolgt worden sein, bis zu den Grenzen der verbotenen Stadt in Hohenschönhausen. In diesen Barkas saßen bis zu fünf Gefangene in fensterlosen Miniaturzellen, man fuhr Schleifen, um sie in die Irre zu führen. Zum psychologischen Konzept der Gefangenenbehandlung gehörte es, Delinquent:innen im Unklaren über ihren Aufenthaltsort zu lassen.

Meine neuen Freunde hielten mich für ahnungslos. Ich war ein Aficionado des Sozialismus aka Schwärmer in ihren Augen. Ich hingegen glaubte, mit der Staatssicherheit spielen zu können. In meiner halbwegs noch adoleszenten Verblendung bildete ich mir ein produktives Verhältnis zu meinen gesellschaftlichen Widersprüchen ein.

Der Journalist in mir ließ sich politisch nicht einhegen.

Wochen später reiste ich regulär ein. In einer Bar am Alexanderplatz lernte ich ‚zufällig‘ das Ehepaar Schneider kennen. Daraus ergab sich ein Verhältnis mit Frau Schneider. Inge war promovierte Psychologin. Die Berufsangabe stimmte, wie sich herausstellen sollte. Sie war nur nicht vollständig. Ihr Mann gab sich als Dozent an der Humboldt Universität aus, das Paar lebte auf großem Fuß. Ich kürze ab, in den 1990ern, Schneiders waren längst geschieden, brutal zerstritten und mit mir in getrennten Verbindungen, gab es eine blaue Nacht in Berlin-Weißensee, gemeinsam mit Klaus Schneider. Nico für seine Freunde. Nico hatte eine Vergangenheit als Vernehmer in Hohenschönhausen, er war also auch Psychologe. Alle Vernehmer waren Psychologen. Der Knast war ursprünglich eine Großküche gewesen. Man fand ihn auf keinem Stadtplan. In seiner Umgebung residierte Markus Wolf, die realsozialistische Version von Q‘s Labor, in dem James Bond seine Spielsachen kriegt, war auch da.

Quartiermacher für die Stasi und ihr Untersuchungsgefängnis war das NKGB. Dieses Institut der engagierten Rechtspflege nahm Maß am ersten sowjetischen Geheimdienst. Die deutschen Verbündeten wurden mit dem „Tscheka“-Terrorstil vertraut gemacht. „Tscheka“ steht für „Außerordentliche Allrussische Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage“. Gegründet wurde dieser Staatssicherheitsdienst 1917. Es ging den Tschekisten (auch) in der Unmittelbarkeit der Nachkriegszeit nicht nur darum, Geständnisse zu erpressen, die Geständnisse mussten unterschrieben werden. Die Signatur unter einer druckvoll zustande gekommenen Zugabe bleibt eine Manie bis zum Schluss, ob es sich nun um Mondraub handelt oder um das Versenden einer Flaschenpost.

Zusammengefasst wurden die Gefangenen im sogenannten U-Boot in ewiger Kellernacht. Tageszeiten wurden zur Desorientierung ausgeblendet. Das U-Boot war so feucht, dass die Haare schimmelten. Die Gefangenen verbrachten ihren Arrest in den Sachen vom Tag der Verhaftung. Es gab keine Anstaltskleidung, keine medizinische Versorgung und unter verschärften Umständen nicht einmal den sanitären Kübel. Man folterte chinesisch, ganz legal nach dem Recht der Sieger.

Nico war zu jung für die frühen Einweisungen in sein Metier, 1951 wurde Hohenschönhausen vom Ministerium für Staatssicherheit übernommen. Er tat aber grundsätzlich nichts anderes als seine Vorgänger, die Gulag-Absolventen produziert hatten. Im Grunde war Nico ein Mann des Außenhandels, er sorgte für Devisen, indem er Geständnisse produzierte, die zu langen Haftstrafen führten und von der Bundesrepublik im Freikaufmodus abgekürzt wurden. Das war sein Business, bis beinah zu dem Tag, als Erich Mielke sich über die Bedingungen in seinem eigenen Gefängnis beschwerte, obwohl er als erster und einziger Insasse auf den Rosenhof durfte. Diese Erholung für das Auge erhielt der Häftling nur als Gratifikation für besonderes Entgegenkommen. Dann zupfte Nico an der Gardine und der Bearbeitete haschte einen Blick auf Grünzeug. Der Mensch braucht Natur und sei es in einer Schrumpfform, wusste der Psychologe Nico. Er war verbittert. Die Geschichte hatte ihn betrogen, während die Affären seiner Frau abgesprochen waren. Frau Doktor war eine glühende Tschekistin; Spezialistin für „frauenspezifische Methoden“ (MfS-Terminus technicus) in der gehobenen Spielart einer Literatur- und Kunstkennerin. Mir erschien sie als Amazone des sozialistischen Realismus. Wir halten immer noch Kontakt. Selten reden wir über ihren totalen Einsatz für den Weltfrieden. Es geht doch immer schief, wenn man postum etwas geraderücken möchte. Ich bewahre sie als schönen Bücherwurm in der Finsternis meines Herzens.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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