Sinnlose Freude

#TexasText/Jamal Tuschick „Ich bin eben gnädig geführt worden von einem Schicksal, das es zwar streng, darunter aber immer grund-freundlich mit mir meinte.“ Thomas Mann

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Szenen im Hotel

„Sinnlich vertieft“ und „unter erotischer Spannung“ entstehen nach einem langen produktiven Leben späte Szenen im Rahmen eines verschleppten Höhepunkts. Der von Marcel Reich-Ranicki über dessen Tod hinaus als größter deutscher Gegenwartsautor gefeierte Thomas Mann reagierte zum Schluss noch einmal auf die Erscheinung eines Adoleszenten, so wie er es im „Tod von Venedig“ voraussah. Der unter Altersmelancholie ächzende Autor Aschenbach verzehrt sich in der Novelle nach Tadzios „klassischer Schönheit“ auf die schüchternste Weise. So begegnete Thomas Mann, den man vernünftigerweise für einen Vollender des 19. Jahrhunderts hält, selbst dem Kellner Franz Westermeier 1950 in einem Schweizer Hotel. Der „göttliche Knabe“ diente einem Mann im Reinen mit sich selbst als letztes Idol.

„Ich bin eben gnädig geführt worden von einem Schicksal, das es zwar streng, darunter aber immer grund-freundlich mit mir meinte.“

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“I'm not a Princess. I don't need saving. I'm a Queen. I've got this shit handled.” - Buffy!@sarahmgellar, zitiert nach Randa Richards, Quelle

Intelligent ignorieren

Die Spanier gaben ihren neuweltlichen „Entdeckungen“ bombastische Namen. Ihnen voran segelte der Genuese Kolumbus. Den größten Landflecken einer Inselgruppe der Kleinen Antillen nannte er 1493 Santa Ursula y las Once Mil Vírgenes. Die Conquista unterbrach die Verdrängung der ursprünglichen Bevölkerung durch eingewanderte Kariben. Sie vernichtete die ursprüngliche Bevölkerung mit Arbeit und ersetzte die Verluste mit afrikanischen Sklav:innen.

Ein Jahrtausendverbrechen lässt uns ruhig schlafen. Es ist die Grundlage unseres Wohlstands und unseres geräumigen Seelenfriedens.

Die Jungferninseln boten sich im 16. Jahrhundert als Piratennester an. Sie waren Dänemarks Platz an der Sonne, wie Bismarck die überseeischen Besitzungen der alten Reiche nannte.

Bereits 1665 setzten sich Dänen auf Saint Thomas fest. Einig werden mussten sie sich mit versprengten Holländern, die bald mannschaftlich umrundet waren, aber nichts gegen die liberale, Religionsfreiheit garantierende Dänenordnung hatten. Skandinavische Toleranz sorgte dafür, dass man das dänische Kolonialwesen freundlicher fand als andere Regime. Obwohl es dänische Despotie gab.

Von 1672 bis 1917 waren Saint Thomas, Saint Croix und Saint John Dänemarks westindische Inselkolonien. Nach dem Willen des Königs von Dänemark und Norwegen durften seine Untertanen ab 1803 ihre Vermögen da nicht mehr im Sklavenhandel vergrößern. Das Verbot wurde vielfach umgangen, auch von Amalie Samsøes adeligen Ahnen. Ein Baron Samsøe „brachte Farbe in die Familie“ (Klan-Sprech).

Am 7. August 1979 landete die spirituelle Banditin, Industrietaucherin, Wettkampfbogenschützin und Wing Chun-Praktizierende Amelie „Slowhand“ Samsøe auf dem Cyril E. King Flughafen am Rand von Charlotte Amalie. Die Stadt ehrt in ihrem Namen Charlotte Amalie von Hessen-Kassel (1650 - 1714), eine kurhessische Prinzessin, die auf dem Heiratsweg dänisch-norwegische Königin wurde.

Amelie checkte im Two Sandals by the sea Inn ein. Der Jetlag sang sein Lied. Am Pool begegnete ihr der kaum achtzehnjährige Deutschamerikaner und Weltklassekarateka Cole von Pechstein zum ersten Mal persönlich.

Ein Zufall arrangierte das Treffen zweier larger than life character, both in terms of physischer und charismatischer Performance.

Amelie kannte Cole aus Sportmagazinen. Man nannte ihn den Jimmy Connors des Kyokushin Kaikan. Der Athlet figurierte notorisch als Poster-Boy in der Karate-Bravo. Eine kindliche Physionomie kontrastierte den perfekt modellierten Hammerkörper. Der Widerspruch wirkte wie ein Dementi. Amelie erkannte sofort die grandiose Spaltung des Psychopathen. Cole beherrschte Druckpunkt- und Psychotechniken. Sein verwilderter Geist schreckte nicht davor zurück, Amelie ein Ziehen in der Leiste zu suggerieren, das Ahnungslose für eine autonome Empfindung und gewiss auch für ein heimliches Signal der Liebe gehalten hätten.

Hier noch einmal die Lektionen zum Thema:

“The brain responds in the same way to imagined experience as it does to real experience.” Maksem Manler, Quelle

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“Muscle Tension overrides your intention” (Sifu Nima King), but thoughts drive physiological processes.

Mit drei war der Geburtstexaner Vollwaise geworden. Seine Tante und Ziehmutter Maeve von Pechstein hatte ihn nach Kassel geholt und ihn in ihrer Karateschule erzogen.

Um da den Erzählfaden aufzunehmen:

Maeve und (Coles Mutter) Ruth von Pechstein verbrachten ihre vaterlose Kindheit und Jugend auf der japanischen Kaiserinsel Kyūshū. Ihre Mutter, die Vulkanologin Antigone v. P., ließ ihre Töchter bereits als Babys auf dem Budo Path wandeln. Doch nur Maeve entwickelte die nötige Besessenheit, um sich Zugang zum Karatekosmos zu verschaffen. Der Widerschein ihrer Passion weckte die Bereitschaft einer Berufenen, Maeve zu unterrichten. Solange sie Schülerin war, unterwarf sich Maeve strikt dem strengsten Regime. Sie blieb bei ihrer Meisterin, bis jene sie beinah gewaltsam auf die Karate-Walz schickte. Maeve entstammte einem Kasseler Rittergeschlecht, sie war ganz Kampfgeist und helle Freude. Auf Okinawa erreichte sie Ausgangspunkte des ursprünglichsten Karate: einem chinesisch basierten Fusionsprodukt. Schon wollte sie sich im Songshan Shaolin Tempel weiterbilden, da wurde ihr die Rückkehr nach Kassel befohlen. Während Maeve bald in Wilhelmshöhe die Karateschule Pechstein eröffnete, folgte Ruth einem GI nach Lubbock, wo Maeves Neffe als Colt Winchester zur Welt kam. Coles Eltern starben bei einem Flugzeugunglück. Der Absturz in den Anden ging ins kollektive Gedächtnis ein. Maeve nahm das Kind zu sich, gab ihm den dynastischen Namen und formte ihn zu einer Dōjō-Persönlichkeit.

Caritas-Karate

Maeve führte ihre Schule als Nachbarschaftszentrum. Das Herz des Stadtteils schlug auf ihrer Domäne. Maeve förderte Schwierige und besonders Begrenzte. Sie war Idol und Ikone. Junge Mütter aus der gehobenen Mittelschicht verliebten sich reihenweise in Maeve. Sie meldeten ihre Töchter zum Karateunterricht an, wie sie sie anderenfalls in einer Ballettschule untergebracht hätten. Sie waren Verführte. Sie projizierten ihre Sehnsüchte, das für sie Nicht-Lebbare auf Maeve und den zu Karate-Elevinnen geformten Nachwuchs.

Die Verriegelten beließen es dabei. Öffentlich tadelten sie sich für ihre Versäumnisse. Mutigere nahmen eine Weile am Unterricht teil, bevor sie sich wieder auf die andere Seite begaben und mit Cafeteria-Schichten und Basarstanddienste vorliebnahmen.

Man freute sich, wenn Maeve auf den Wilhelmshöher Partys vorbeischneite.

Die Umschwärmte erschien als Unternehmerin mit blendendem Familienhintergrund. Als Prominente ohne Allüren.

Die noble Herkunft, der erstklassige Stall erlaubten Maeve das charmanteste Understatement. Ihre Schule verstand sie als Auffangbecken positiver Einflüsse. Der allgemeinen Zuneigung gab sie Raum.

“The more understanding you have about Karate, the less you need to change or modify it.” Tsuguo Sakumoto

Allein von Cole erwartete Maeve mehr. Er sollte sie vollenden. Bis dahin war er ihr Zauberlehrling, ein Adept der reinen Lehre/Leere. Mit sieben begann sein Passionsweg. Die erste Station war ein Karatekloster auf Okinawa, wo ihm Novizen nach dem Leben trachteten.

Cole erlebt lebensbedrohliche Feindlichkeit. In Pulks drangen Mitschüler auf ihn ein. Das Repertoire eines Einzelgängers taten sie als Gehabe ab.

Cole konnte den vollkommen unbekümmerten Killern kaum entgehen. Sein intuitives Überlebensgeschick, all die Moves und Stunts erst aus schierer Verzweiflung und schließlich im Ornat erpresster Könnerschaft, brachten ihm keinen Ruhm. Nichts drang durch die Mördermauern.

Einsam und unterkühlt bis aufs Mark entwickelte sich Cole dann auch noch weiter in dem 496 von einem Inder gegründeten Shaolin-Kloster im Songshan-Gebirge in der chinesischen Provinz Henan.

Auch da fühlte er sich verstoßen und geächtet.

Sechs Jahre verbrachte Cole in asiatischen Eisschränken. Die ungefährlichen Kehrseiten der Expertisen seiner Ausbilder waren unbeheizte Massenunterkünfte, erbärmliche sanitäre Anlagen und Kantinenfraß.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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