Väterlicher Exorzist - Frei nach Wanda Sacher-Masoch

#TexasText/Jamal Tuschick Das ist die Quintessenz: Der Pelz und die Peitsche verleihen Aurora keine Macht. Sie ist bloß Erfüllungsgehilfin eines Kolossalphantasten, dessen Ruhm die Epoche überstrahlt.

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Väterlicher Exorzist

„Das ist ja eben das Fatale, dass ich bei meiner Art Arbeit so sehr auf eine gute Stimmung angewiesen bin.“ Leopold von Sacher-Masoch 1881 in einem Brief an seinen Bruder

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Tätige Muse

Das ist die Quintessenz: Der Pelz und die Peitsche verleihen Aurora keine Macht. Sie ist bloß Erfüllungsgehilfin eines Kolossalphantasten, dessen Ruhm die Epoche überstrahlt. Er hält ihr mangelndes Engagement vor. Aurora ist ihm nicht genug behilflich. Sie verweigert jeden „energischen“ Liebhaber, mit dem sie L. in einer Inszenierung effektvoll betrügen soll. Sie versagt in der Rolle einer tätigen Muse. Leopolds obsessives Dauerfeuer zerstört die Leichtigkeit ihres Seins. Aurora erlebt ihren Alltag als Strapaze.

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„Man muss das Leben immer peitschen, jagen, sonst rostet es ein, erstickt in Banalität.“ Anna-Catherine Strebinger

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„Dass ich mit der Liebe da anfange, wo andere Frauen erst nach den schmerzlichsten Erfahrungen … hingelangen, das macht mich glücklich und stolz: weder die Liebe noch die Untreue eines Mannes wird je meinen Frieden stören.“ ACS

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„(Sie) hat von ihren dunklen Seiten selbst das größte Aufheben gemacht - über ihre guten (Seiten) aber geschwiegen.“

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„Sie kannte die neue Literatur, alle literarischen Cliquen und Klatschereien.“

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„Sie gefiel mir sehr. Wie sie Dinge und Menschen beurteilte, zeugte von raffiniert modernem Geist.“ Wanda von Sacher-Masoch über ihre Freundin Anna-Catherine Strebinger

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Leib aus Stahl

Anna-Catherine Strebinger ist die Eigenwilligste im Fan- und Freundeskreis der Sacher-Masochs. Einen ihrer prominenten Pariser Verehrer charakterisiert die Übersetzerin und Lektorin als Schwachkopf („imbécile“- kursiv im Original). So spricht sie über Charles Buloz, den Herausgeber der Revue des Deux Mondes; einer publizistischen Brücke zwischen der Alten und der Neuen Welt. Das transatlantische Medium existiert seit 1829.

Annas Ungezwungenheit sprengt den bourgeois-exzentrischen Rahmen, in dem sich die Adorant:innen im Dunstkreis des Schreibritters L. an normativen Formaten reiben.

„Sie war ganz sie selbst und gab sich ganz so wie sie war.“

Aurora zeigt sich geblendet von Annas „fesselnder Eleganz“. Unsere Heldin vergleicht Anna mit einem „edlen Pferd, das sich nicht anders als schön halten und bewegen kann“. Sie vermutet „Stahl im Leib“ der Himmlischen.

Seitenlang schwelgt Aurora in ihren Schilderungen weiblicher Vorzüglichkeit. Der Kontrast zu den Mäkeleien an ihrem unvollkommenen Gatten ist eklatant. Aurora erklärt L. zur hohlen Seelennuss; rasend empfänglich für Äußerlichkeiten, spitzfindig in Fragen der Etikette, doch vollkommen unfähig zu einer geistigen Verbindung. Die Ehefrau zitiert die Frau eines Feindes ihres Mannes: „Er sei naiv wie ein Kind und boshaft wie ein Affe“.

L. erscheint als bloßer Nutznießer des Entfaltungsfurors seiner Damen.

Schwefelige Exerzitien

Annas Vater war ein in den Messianismus entsprungener, bayrischer Pauker. Eine in Frankreich aufgezogene Sekte erwies sich für ihn als finanzieller Volltreffer.

„Sein frommes Unternehmen brachte ihm gute Einnahmen.“

Anna widersetzte sich der bigotten Tollheit. Empört schwang sich der Vater zum Exorzisten auf. Er zwang die Tochter, an schwefeligen Exerzitien teilzunehmen. Anna wehrte sich mit rasendem Hass.

„Der böse Geist aber wurde nicht nur nicht ausgetrieben, sondern er erstarkte immer mehr in Hass.“

Mit neunzehn Jahren machte sich Anna selbstständig. In Genf lernte sie den Marquis de Rochefort kennen. Er verpasste ihr den letzten Schliff.

Der Marquis liebte Anna als „Canaille“. Bald war die Schülerin dem Meister in allen Sektionen der Lebenskunst überlegen.

„Sie log nie, war aber grausam boshaft.“

Eine Schwindsüchtige bezahlt Annas gemeine Wahrheitsliebe mit dem Leben. Dazu an anderer Stelle mehr.

„Der ist zu schön, den muss ich haben.“

Aurora und Anna sitzen im Theater. Auf der Bühne übertrifft Julius Straßmann (1857 -1916) seine Mitspielerinnen. Umgehend macht ihn Anna zu ihrem Geliebten. Julius‘ Eltern sind bedeutende Leute. Joseph Julius Straßmann amtiert als bayrischer Hofschauspieler. Seine Ehefrau Marie Damböck-Straßmann firmiert als „die Straßmann“. Zum ersten Mal stand sie in Graz auf einer Bühne. Sie spielte in Hannover, in München und - nach ihrer Pensionierung - in Leipzig. Bei einem Gastspiel in Berlin gewann sie die Bewunderung von Ludwig Tieck.

„Ich hatte in Frau Straßmann-Damböck eine sehr geeignete Darstellerin der Gräfin erworben. Schöne, mächtige Gestalt, feste, strenge Rede, herrische Gebärde gaben alle Hülfsmittel für die eigenwillige Regentin und Mutter, welche in richtiger, aber rücksichtsloser Handlung all ihre Kinder zu Grunde richtet.“ Heinrich Laube, Quelle: Lier, Hermann Arthur, „Straßmann, Joseph Julius“ in: Allgemeine Deutsche Biographie 36 (1893), S. 510-512 (Online-Version); URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd130159506.html#adbcontent

Um Henri Rochefort Gerechtigkeit widerfahren zu lassen …

Er lässt es auf der ganzen Linie einer ausgebauten Persönlichkeit krachen. Der Zeitungsmann zieht sich seine Debütblessuren beim Figaro zu. Er gründet La Lanterne und sorgt mit dem Blatt für den Spiegel-Skandal seiner Zeit. Für seine Überzeugungen geht er ins Gefängnis. Nach seiner Freilassung exiliert Rochefort nach Brüssel, wo er ein europäisches Periodikum in Französisch, Englisch, Spanisch, Italienisch und Deutsch unter die Völker bringt. Bei jeder Gelegenheit duelliert er sich. Einer seiner Gegner ist Paul Adolphe Marie Prosper Granier de Cassagnac. Dafür interessiert man sich sogar in Amerika. Die New York Times titelt am 31. Juli 1875: “Latest News by Cable; A Threatened Duel. Rochefort challenges Paul de Cassagnac - The Seconds in Consultation”. Quelle

1869 erhält er einen Platz im Corps Législatif, dem Unterhaus des französischen Parlaments. Er mischt das Parlament massiv auf, auch mit einer neuen Zeitung - La Marseillaise. Wieder verliert er seine Freiheit im Arrest. Während der kurzen Spanne der Commune de Paris (18. März - 28. Mai 1871) kommt Rochefort erneut ins Spiel.

Karl Marx nannte den Aufstand der Kommunard:innen die „schönste Revolution der Weltgeschichte“.

Am 11. Mai 1871 schleicht sich Rochefort verkleidet aus der Hauptstadt. In Meaux greift man ihn auf. Es folgt eine Deportation in die Strafkolonie von Neukaledonien. 1874 flieht der waffentüchtige Feuerkopf nach Kalifornien. Als er und seine Verlobte mit den Sacher-Masochs zum ersten Mal auf sämtliche Freiheitsversprechen der Französischen Revolution anstoßen, kursiert er noch als Geächteter.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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