Weibliche Bildpolitik

Netzfeminismus Viral ist real - Die sozialen Medien gestatten es, sich „seine Öffentlichkeit zusammenzustellen“ im Sinne einer befriedigenden Auswahl. Allerdings sei das Glück ...

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Von links: #KathrinWeßling (Autorin, Social Media Specialist & Online Journalistin), #Netzfeminismus-Autorin #AnnekathrinKohout, #RenéAguigah (#Deutschlandfunk Kultur) vor dem #Zentrumfürzeitgenössischekunst #Kindl in Berlin-#Neukölln.

Eingebetteter Medieninhalt

Die sozialen Medien gestatten es, sich „seine Öffentlichkeit zusammenzustellen“ im Sinne einer befriedigenden Auswahl. Allerdings sei das Glück in der Blase fragil. Ein falsches Wort und die Empörung schlägt zu. Das erklärte die Bloggerin Kathrin Weßling gestern Abend bei der Präsentation von Annekathrin Kohouts im Rahmen der Reihe „Digitale Bildkulturen“ im Klaus Wagenbach Verlag erschienene Analyse „Netzfeminismus“. Weßling trat als netzfeministische Beeinflusserin auf. René Aguigah moderierte den Termin im Zentrum für zeitgenössische Kunst (KINDL) in Neukölln.

Viral ist real

Sie begreift das Internet als ein Fundament des richtigen Lebens. Andersfalls wäre sie zehn Stunden täglich nicht von dieser Welt, verifizierte sie süffisant. Sie haut raus und filtert kaum. Um Netz-Gepflogenheiten kümmert sie sich nicht. Jederzeit könnte sie ihren Einfluss auf die Gemeinde professioneller gestalten. Doch das widerstrebt Weßling im Aufmerksamkeits-Wrestling.

Annekathrin Kohout, „Netzfeminismus“, Verlag Klaus Wagenbach, 80 Seiten, 10,-

Der James Baldwin verblüffend ähnlich sehende Moderator René Aguigah wollte wissen, was Netzfeminismus mit Bildern zu tun hat?

Alles.

Wo es keine Theorievermittlung gibt, herrscht das Bildregime. Es geht um bestechende Arrangements und Inszenierungen in der Kombination mit effektiven Schlagwörtern.

Das Wort als Waffe ersetzt Armeen. Das Hashtag ist die Kalaschnikow der Netzzeit.

Mit Hashtag- und Alarmfeminismus wurden Potentaten von der Macht getrennt, die sich bis zu ihrem persönlichen Yucatán des Hashtag-Impacts für unkündbar gehalten hatten. Youtuber drehen Apparate auf links, die Jahrzehnte Herrschaft garantierten.

Es scheint plötzlich ganz leicht zu sein, was die längste Zeit unmöglich schien: die Zentren institutionalisierter Gewalt zu erreichen. Wir haben alle noch kein Vokabular für diese hochwirksamen außerparlamentarischen Interventionen.

Der Kampf um die Bilder

Ein Bild entscheidet über die Attraktivität eines Themas.

Weßling beschäftigt sich vor allem mit dem eigenen Körper. Sie spricht öffentlich über ihr Gewicht und erkennt darin vorbildliches Verhalten.

Fast verträumt wandte Aguigah ein: „Die neue Konjunktur des Wortes Vorbild hört nicht auf mich zu wundern.“

Kohout und Weßling zerlegten das Wort, bis es als ideales Bild vor dem nicht-idealen Selbstbild seine Ermächtigungsfunktion offenbarte.

„Es geht um Empowerment von Frauen, die sich nicht repräsentiert fühlen.“

Darum, Abweichungen von Normen akzeptabel zu machen.

„Wir bringen uns imaginativ in eine Machtposition. Von da aus können wir viel bewirken.“

Wichtig sei Wahrhaftigkeit.

Aguigah fragte: „Wie kann man auf einer Bühne wahrhaftig sein?“

Weßling entgegnete: „Ich habe keine Multimedia-Strategie.“

Genauso gut hätte sie sagen können: Ich stehe nicht auf der Bühne. Ich funke aus meinem Wohnzimmer und auch das Internet ist mein Wohnzimmer und wenn mich wer nervt, dann block in den aus meinem Wohnzimmer.

Aguigah zeigte, wie ein Medienmann auf den Monsterwellen der Zukunft surft. Man stellt selbst keine Behauptungen auf und begrüßt fremde Behauptungen als Offenbarungen. Man erfüllt nur noch eine Funktion ohne Anspruch auf Deutungshoheit.

Kohout übernahm es, die vier Wellen des Feminismus noch einmal nachzuzeichnen. Zuerst ging es um gleiche Rechte, dann um die Aufwertung der Geschlechterdifferenz in den vernachlässigten Bereichen, dann um die theoretische Überwindung der Geschlechterpolarität im Anschluss an Gender-Queer Positionen.

In der vierten Welle dominiert weibliche Ästhetik die Kultur. Das gestattet einen Mix der Kodes. Aus dem Ankündigungstext:

Eine britische Herzogin, die Stunden nach der Geburt gestylt mit Ihrem Baby posiert. Ein Supermodel, das während der Arbeit stillt – der Feminismus hat durch eigens für die Sozialen Medien entwickelte Bildformen eine neue Dynamik erfahren. Erstmals geht es nicht nur darum, traditionelle Rollenmuster kritisch zu analysieren, sondern bestehende Schönheitsnormen und Körperideale zu verändern.

Rosafarbene Slips, babyblau gefärbtes Achselhaar, Schmollmünder auf Selfies: Was sich nach Männerphantasien anhört, ist bei Netzkünstlerinnen feministisches Statement. Sie betreten damit den Kampfplatz um das »richtige« Bild der Frau, das in den Sozialen Medien nicht nur metaphorisch zur Debatte steht. Handelt eine Frau emanzipatorisch, wenn sie sich beim Stillen zeigt – oder reduziert sie damit sich selbst und andere Frauen auf die Mutterrolle? Bestätigt ein »Girl Power«-T-Shirt die Rolle des naiven kleinen Mädchens – oder stellt es sie infrage?

Die Medienwissenschaftlerin Annekathrin Kohout hat eine ebenso kurze wie prägnante Kultur- und Diskursgeschichte der weiblichen Bildpolitik verfasst, die von den Emanzipationsbewegungen im frühen 20. Jahrhundert bis zum netzfeministischen Bilderstreit der Gegenwart alle wesentlichen Phänomene weiblicher Bildpolitik in den Blick nimmt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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