Weiße Verweigerung

Gesellschaft Rassismus ist in das Gefüge unserer Welt eingewoben, sagt Reni Eddo-Lodge

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Reni Eddo-Lodge
Reni Eddo-Lodge

Foto: Mauro Pimentel/AFP/Getty Images

„Schwarzsein ist das „Andere“ und deshalb verdächtig. Diejenigen, die in unserer kollektiven Vorstellung eine Gefahr darstellen, sind nicht weiß. Diese Botschaften sind von so durchschlagender Wirkung, dass mein vierjähriges Ich sie dank des Fernsehens bereits entschlüsselt hatte und wusste, dass alle, die aussahen wie ich, schlimmstenfalls Verbrecher und bestenfalls aufsässige Nebenfiguren waren.“

Im Februar 2014 erklärte die Journalistin Reni Eddo-Lodge in einem Artikel, dass sie es leid sei, mit Weißen über Phänomene des nicht-begriffenen Rassismus zu sprechen. Die Ansage löste eine öffentliche Debatte aus und mündete in der Analyse „Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“.

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Als 1833 in Großbritannien die Sklaverei abgeschafft wurde, fand es die Krone angebracht, die sechsundvierzigtausend Sklavenhalter auf den Inseln ihrer Besorgnis zu entschädigen. Die Kompensationen folgten einem Rechtlichkeitsbegriff, der sich bis heute aus unserem Verständnis nicht verabschiedet hat. Nach Hegel übersteigt das „Dasein des freien Willens“ juristisches Recht. Es erfasst sämtliche Freiheitsgrade. Folglich ist ein Mensch außerhalb des Rechts als lediglich wollendes Subjekt „nicht berechtigt“. Seine Ansprüche stecken in utopischen Floskeln. Zu den Infamien der Welt zählt, dass weiße Gesellschaften den Standpunkt einer systematischen Entrechtung einnehmen können, ohne offensiv rassistisch zu wirken.

Rassismus ist in das Gefüge unserer Welt eingewoben, sagt Reni Eddo-Lodge. „Wie es scheint, werden Schwarze bei jedem wichtigen Schritt in ihrem Leben mit Benachteiligung konfrontiert.“

Reni Eddo-Lodge, „Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“, Tropen Verlag, 262 Seiten, 18,-

„Neutral ist weiß. Die Norm ist weiß. Weil wir in ein bereits existierendes Drehbuch hineingeboren werden, das uns sagt, was wir aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Akzents und ihres sozialen Status von Fremden zu erwarten haben, ist die gesamte Menschheit weiß kodiert.“

Eddo-Lodge beschreibt, wie unsichtbare Diskriminierung so gelingt, dass sich die Angegriffenen in ihren Wettbewerben zum Vorteil der Dominanzgesellschaft gegenseitig einschränken. Der Analysetitel verfehlt die Realität der Debatte, die „Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“ ausgelöst hat. Vielmehr konserviert die flammende Überschrift eine biografische Marke – einen Erschöpfungsmoment, der überwunden wurde.

Im Konflikt der Perspektiven bezeichnen Bestimmer der öffentlichen Meinung Erscheinungsformen des schwarzen Protests als „Unruhen“, während Marginalisierte die „Unruhen“ als „Aufstände“ wahrnehmen. Überschießende weiße Gewaltakte mit Pogromcharakter erscheinen in der weißen Lesart als soziale Unfälle. Ihre Zwangsläufigkeit wird erfolgreich verschleiert.

Wer die Deutungsmacht hat, gibt bei der historischen Einordnung den Ton an.

Um die Infamie des weißen Textes am Text zu erkennen, muss man die weiße Geschichtsschreibung einer Revision unterwerfen. Diese Forderung steckt in Eddo-Lodges engagierter Betrachtung. Wo man hinguckt, sieht man eine weiße Lüge sich tarnen. Etwa die Lüge von der neutralen Leistungsgesellschaft, so als ließe sich die „homogene Schwemme weißer Männer mittleren Alters, die derzeit die höheren Ränge der meisten Unternehmen verstopft“ mit Tüchtigkeit erklären.

„Wir leben nicht in einer auf Leistung gegründeten Gesellschaft, und vorzugeben, dass harte Arbeit immer zum Erfolg führt, ist ein Akt vorsätzlicher Ignoranz.“

Eddo-Lodge kritisiert auch die Strategien der „Post-Hautfarbe-Liberalen“, die sagen: „Wollen wir Hautfarbe überwinden, müssen wir aufhören, über Hautfarbe zu sprechen.“

„Das Konzept ist eine infantile … Analyse des Rassismus.“ Sie ignoriert Folgen strukturellen Rassismus, die in der Rezeption als persönliches Versagen einer PoC metamorphorisch wieder auftauchen. Vor allem entzieht sie schwarzen Erfolg seiner Basis. Auch das schildert Eddo-Lodge als Enteignungsvorgang.

Macht ist Übungssache. Sie verteidigt sich so lange effektiv, bis sie selbst die Mittel zu ihrer Überwindung aus der Hand gibt. Davon sind wir weltweit weit entfernt.

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„Die emotionale Distanz ist die Folge eines Lebens, in dem sich jemand vollkommen unbewusst darüber ist, dass seine Hautfarbe die Norm darstellt und alle anderen davon abweichen. Bestenfalls wurde Weißen beigebracht, nicht zu erwähnen, dass People of Colour „anders“ sind, falls es uns beleidigt. Sie glauben wirklich, dass die Erfahrungen, die sie aufgrund ihrer Hautfarbe gemacht haben, universell sein können und sollten.

Ich kann mich nicht mehr mit der Verwirrung und Abwehrhaltung auseinandersetzen, wenn sie versuchen, mit der Tatsache klarzukommen, dass nicht alle die Welt so erleben wie sie.“

Reni Eddo-Lodge, „Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“, Tropen Verlag, 262 Seiten, 18,-

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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