Wunder der Gelassenheit

Literatur „Sie allein“ - Fikry El Azzouzi erzählt von der Liebe in Zeiten des Terrors

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Gastronomie ist ein hartes Brot. Davon singt Fikry El Azzouzi in seinem Roman „Sie allein“ ein Lied.

Fikry El Azzouzi

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Foto: Jamal Tuschick

Ayoub ist der Neue im Küchenschmutz des „All Cook Up“. Chefin Eva findet den Flamen mit marokkanischen Eltern erregend undurchsichtig. Sie traktiert ihn mit Fragen, die seine Abschirmung angreifen. Sie lässt ihn keine Wunder der Gelassenheit vollbringen.

In der Sphäre niedriger Dienste bedeutet Coolness nicht selten Kompetenz. Auf Positionen, die nach Eskalation schreien, braucht man einen Stoiker für den letzten Dreck. Oft kommen die Spezialisten aus einer anderen Kultur und haben ihre Schmerzpunkte nicht an den Stellen, wo die Mehrheitsmeisten empfindlich sind. Nach sechzehn Stunden Dienst machen sie pfeifend Feierabend. Ein Bier oder vier hebt sie in den Himmel ihrer Zufriedenheit.

Ayoub hat das Zeug zu einem Gott unter Spülern. Eva übersieht zunächst konsequent seine Qualitäten. Die Erzählerin nennt Ayoub „Abu Abwasch“, vielleicht um sich selbst von ihrer Faszination abzulenken, die der schöne Außenseiter und Held aus El Azzouzis erstem Roman, „Wir da draußen“, ihr abnötigt.

Das „All Cook Up“ ist eines jener Restaurants, in dem das Personal garantiert durchdreht. Solche Fressnäpfe lecken auf allen Ebenen der Geschäftsführung. Sie funktionieren wie Fallen, in denen Scheine hängenbleiben, aber nur um den Preis der Preisgabe sozialer Errungenschaften. Ihre Betreiberinnen spekulieren auf eine Selbstausbeutungsbereitschaft, die entweder aus dem Elend kommt oder aus den Überschüssen guter beruflicher Aussichten in naher Zukunft. Oft haben die Betriebsführerinnen einen besonderen Riecher für Notzuchtgelegenheiten.

„Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd.“ (Frankfurter Küchenweisheit)

Eva schmeißt das „All Cook Up“ mit ihrem Freund, der im Verlauf der Geschichte zum Ex absteigt, bevor er ganz aussteigt. Einst war Stefaan ein erfolgreicher Jurist. Dann verführte ihn seine Kochleidenschaft zu der Dummheit, ein Restaurant zu eröffnen und sich da selbst an den Herd zu stellen. Inzwischen gilt das „All Cook Up“ als „Kriegsgebiet“. Moribunde Strategen aus der Unterschicht verbessern ständig ihr Mobbing und ihren Trash Talk. Ayoub lässt Eva auf der Piste seiner Unwiderstehlichkeit abfahren. – Während Belgien vom Terror erschüttert wird und der Weltbürgerkrieg Fahrt aufnimmt. Das macht „Sie allein“ zum Zeitzeugnis: die Darstellung der Gleichzeitigkeit diverser Terrorsorten und der Liebe. Der Roman ist so atemlos wie die Berichterstattung von laufenden Ereignissen. Europa rennt (vor sich selbst davon). Der belgische Innenminister ist aufgeregt. Stefaan stirbt. Eva träumt schlecht und schmeißt mit Telefonen. Allein Ayoub beweist die Kraft der Ruhe. Er findet „seinen Traumjob“ als Nachtportier. Doch dann überstürzen sich die Dinge. Eva resümiert verzweifelt: „Ich breche wieder in Tränen aus, klammere mich an Ayoub, so fest ich kann, kriege einen Wutanfall und drehe komplett durch.“

Fikry El Azzouzi, „Sie allein“, Roman, aus dem Niederländischen von Ilja Braun, DuMont, 256 Seiten, 22,-

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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