Zwischen Freiheit und Frontex

Migration Migrationsbewegungen sind keine Ausnahmen, sondern ein Kontinuum.

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Von links: Jochen Oltmer (Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück), Pauline Endres de Oliveira (Amnesty International Deutschland/Informationsverbund Asyl & Migration), Esra Küçük (Geschäftsführerin der Allianz Kulturstiftung), Jean Peters (Aktionskunstkollektiv Peng!/Seebrücke), Frank Dörner (Sea Watch e.V.)

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„Das Meer ist Brücke und Grenze.“

Das erklärte Prof. Dr. Jochen Oltmer vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Reihe „Europa und das Meer“ im Berliner Historischen Museum. Die Reihe hat eine Geschichte, die vor den Migrationsbewegungen von 2015 einsetzte und seltsam reibungslos die richtigen historischen Einordnungen vornimmt.

Migrationsbewegungen sind keine Ausnahmen, sondern ein Kontinuum.

Oltmer erinnerte daran, dass Europa im 19. Jahrhundert ein Auswanderungskontinent war. Zwischen 1840 und 1880 verließen fünfzehn Millionen die Alte Welt und in den folgenden Jahrzehnten migrierte jährlich eine Million Europäer.

Oltmer klärte noch einmal den Allgemeinplatz, dass kein Mensch, der die Wahl hat, sich solchen Gefahren aussetzt wie die aktuellen Überwinder*innen des Mittelmeers so wie jene, deren Scheitern Tod bedeutete.

Armut verhindert Migration

Im Weiteren gilt die Feststellung, dass viel mehr migrantische Bewegungen aus reichen als aus armen Ländern kommen. Deshalb ist der Begriff „Armutsmigration“ problematisch. Fürwahr Arme können sich nicht bewegen.

Finanzielle Mittel sind die erste Voraussetzung für Mobilität. Staatliche Gewalt oder Katastrophen starten die Mobilität. Die Nichtmobilisierbaren geraten in den Zustand des Vegetierens und werden zu Gegenständen von Kampagnen.

Oltmer: „Räumliche Bewegungen sind voraussetzungsvoll und bedürfen spezifischer Unterstützungsstrukturen.

Sie brauchen Wissen über fremde Verhältnisse.

Sie brauchen Rechte (gesetzlich garantierte Bewegungsfreiheit).

Sie brauchen überlokal verwendbare Ressourcen.

Sie brauchen transnational wirksame Bindungen.

Deshalb erscheinen uns viele Syrer so smart. Womöglich haben sie einen Vernetzungsvorsprung, den wir Sesshafte überhaupt nicht begreifen. Es gibt eindeutig Sieger in der global migrantischen Klassengesellschaft.

Migration erzeugt Migration.

Rechtsspezialistin Pauline Endres de Oliveira äußerte sich zur Diskrepanz zwischen empfundener und empirischer Migration. Sie erläuterte den Migrationspakt, der alles in allem viel weicher formuliert sei als gültiges Recht zugunsten Schutzsuchender. Der Pakt setze kein neues Recht. Einer Renaissance der Grenzbefestigungen stünden alle möglichen Anstrengungen seit den Römischen Verträge von 1957/58 entgegen, Europa in eine Zone der Freizügigkeit für alle Bürger der Welt zu verwandeln und zwar im Geist einer Wertegemeinschaft.

Jean Peters und Frank Dörner brachten die Sea Watch Perspektive ins Spiel, die nichts mehr erkennen lässt von dem römischen Geist.

„Wir gehen dahin, wo die Menschen ertrinken.“

Angefangen hat Sea Watch mit einem dreiundzwanzig Meter langen und hundert Jahre alten Fischkutter und acht Mann Besatzung. Es ging um Rettung und um Sichtbarmachung des Sterbens auf See.

„Die Zivilgesellschaft ist gefordert“, sagte Dörner. Die Einsätze der libyschen Küstenwache schilderte er als Totalversagen der Weltgemeinschaft. Die Vergabe von Abschottungsaufträgen an Menschenrechte verachtende Instanzen ist ein europäisches Verbrechen. Im Kampf gegen die Ignoranz müssen „Utopieräume“ aufgemacht werden, so Peters, der mit seiner Kunstgang Peng an den Schnittstellen zwischen Politik, interventionellem Journalismus und Aktionskunst Grenzpatrouillen nach der Devise Gucken-was-geht absolviert.

Peters, ein Meister des zivilen Ungehorsams, nannte die Deklarationen von sechsundzwanzig Städten als „sichere Häfen“ für Geflüchtete das Ergebnis eines Happenings. Ich hatte das für eine offizielle Maßnahme gehalten. Daran erkennt man, was geht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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