Jahrelang war Mokhtar Belmokhtar kaum mehr als eine Fußnote in Geheimdienst-Analysen, die sich mit islamistischen Filialen in der Sahara befassten. Jener Gotteskrieger, der im Januar den Kampfverband Brigade der Unterzeichner mit Blut zum Angriff auf das algerische Gasfeld In Amenas führte, galt als relativ unbedeutende Figur im politischen Ökosystem einer riesigen Region.
Immer jedoch hatte Mokhtar Belmokhtar Ambitionen. 2003 stand er als Kommandeur eines malischen Ablegers der Organisation Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM) als Drahtzieher hinter der Entführung von 32 europäischen Touristen. Mit dem seinerzeit eingenommenen Lösegeld verfügte er über das Startkapital, um ein ausgeklügeltes Handelssystem entlang der alten, 3.000 Kilometer lan
r alten, 3.000 Kilometer langen Salzroute in der Sahara zu unterhalten. Einst hatten die Tuareg über diese Trasse Waren von der Westküste Afrikas über Timbuktu in Mali und den Niger bis hinauf zum Mittelmeer geschleust. Sie handelten mit Salz, Gold und Seide. Belmokhtar, der für ihn wichtige Stämme hofierte, indem er die Töchter einiger Clans ehelichte, wurde mit einem anderen Sortiment reich. Er verschrieb sich dem Zigarettenschmuggel. Und das so hingebungsvoll, dass ihm die Passion bald den Spitznamen Mr. Marlboro eintrug.Der Schlüsselrolle, die ein illegaler Tabak-Transfer für das Budget vieler Djihadisten spielt, ist bislang erstaunlicherweise wenig Beachtung geschenkt worden. Nun aber, da westliche Geheimdienste versuchen, Klarheit über diverse in der Sahararegion operierende Al-Qaida-Fraktionen und deren Konfliktökonomie zu gewinnen, richtet sich ihr Interesse doch auf die Glimmstengel. Das Internationale Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) kam nach Interviews mit zahlreichen Agenten zu dem Schluss, der Zigarettenschmuggel sei für die AQIM-Ressourcen unverzichtbar.Der Gesamtwert des illegalen Tabakhandels in Nordafrika wird auf über eine Milliarde Dollar pro Jahr beziffert. Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) schätzt: Wenn auf dem gesamten Kontinent jährlich 400 Milliarden Zigaretten geraucht werden, dann stammen davon 60 Milliarden vom Schwarzmarkt. 44 Prozent aller in Afrika konsumierten Zigaretten würden in nur fünf Ländern konsumiert: In Algerien, Ägypten, Libyen, Marokko und Tunesien. Dort gäbe es die größten Schwarzmärkte. So würden über drei Viertel der Zigaretten, die man sich in Libyen ansteckt, illegal verkauft. Die Kontrolle über den Strom der Schmuggelware in diesen Staaten hat zu Revierkämpfen zwischen Belmokhtar und anderen AQIM-Fraktionen sowie Tuareg-Stämmen und korrupten Militärs geführt – sie alle wollen vom Geschäft profitieren.Bei einem Teil der Zigaretten, die durch die Sahara gelotst werden, handelt es sich um in China und Vietnam fabrizierte Fälschungen. Die meisten freilich sind authentische Markenware – im Nahen Osten beschafft und über ein filigranes Netzwerk von oft in Steueroasen ansässigen Mittelsmännern über mehrere Ländergrenzen hinweg zum Abnehmer gebracht. Häufig kommt die Ware über Ghana, Benin oder Togo nach Westafrika. Eine zweite Route führt über Guinea, dann auf dem Landweg über Mali oder mit Booten über den Niger. Als ebenfalls sicheres Transitland gilt Mauretanien, um den Senegal, Marokko und Algerien zu beschicken.Was weiß die Tabak-Industrie?In jedem dieser Fälle verdienen Mister Marlboro und die AQIM – entweder, indem sie eine „Steuer“ für die Sicherheit der Zigaretten auf der Salzroute erheben oder indem sie sich am Transport selbst beteiligen: mit SUVs, Lastwagen, Motorrädern, auch Fahrrädern. Geschmuggelt werden in der Regel keine westlichen Top-Markenprodukte wie Marlboro und Camel. Vielmehr sind es die günstigeren, weniger prestigeträchtigen Sorten, mit denen sich die Tabakkonzerne gern auf den Märkten der Entwicklungsländer präsentieren, um dort den Fuß in die Tür zu bekommen. Das Ausmaß des Zigarettenschmuggels hat Fragen nach der Rolle von „Big Tobacco“ aufgeworfen. Die drehen sich darum, in welchem Ausmaß die Tabakindustrie für Vertriebswege verantwortlich gemacht werden sollte, über die sich immerhin die Kassen einiger der gefährlichsten Terrorgruppen füllen.Interne Memos zeigen, dass British-American Tobacco (BAT) in Afrika während der achtziger Jahre die in Liechtenstein ansässige Firma Sorepex als wichtigen Zwischenhändler beschäftigte. Dokumente der BAT offenbaren, dass Sorepex als Möglichkeit galt, „leichtes Geld zu machen“ und „BAT bei einigen recht dubiosen Geschäften Deckung zu verschaffen“. Offiziell beteuert British-American Tobacco, dass man jede Form des Schmuggels verurteile.Im Jahr 2002 konfrontierte die EU den Konzern RJ Reynolds, in dessen Eigentum sich unter anderem die Marke Winston befindet, mit dem Vorwurf, seine Produkte im Irak zu verkaufen und so das Embargo gegen das Land zu brechen. Die Zigaretten wurden seinerzeit angeblich von der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) ins Land geschmuggelt, die sowohl von den USA als auch der EU als „terroristische Organisation“ eingestuft wurde. Dokumenten war angeblich zu entnehmen, dass die Zigaretten aus den USA zunächst nach Spanien, dann nach Zypern und in die Türkei verschifft wurden, bevor sie schließlich den Irak erreichten. Der Fall wird derzeit vor einem Bundesberufungsgericht in den USA verhandelt. Erst im Vorjahr bestätigte die Firma Japan Tobacco, dass die EU gegen sie ermittle. Der Vorwurf laute, das Unternehmen habe Sanktionen umgangen und Zigaretten an eine Firma verkauft, die Kontakte zur syrischen Regierung unterhalte – Japan Tobacco bestritt jegliches Fehlverhalten.Sicherheitsexperten sagen, Profite aus dem Zigarettenschmuggel würden auch in andere kriminelle Aktivitäten wie den Drogen-, Öl- und Menschenschmuggel fließen. In der Regel bediene man sich dabei der gleichen Vertriebsnetze. Der Schwarzhandel mit Zigaretten verspreche jedoch nach wie vor die lukrativsten Gewinne und gehe mit den geringsten Risiken einher. „Den Zigarettenschmuggel hält niemand für ein allzu ernstes Problem. Die zuständigen Behörden verwenden keine Ressourcen auf seine Bekämpfung“, meint Louise Shelley, Kriminalitätsexpertin von der Washingtoner George-Mason-Universität.Korrupte PolizistenSo lässt sich unter anderem erklären, warum Terrorgruppen auf dieses illegale Geschäft setzen. Laut Angaben des US-Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms und Explosives (Behörde für Alkohol, Tabak, Schusswaffen und Sprengstoffe) hat der Schmuggel von Zigaretten nach Nordirland der IRA in den Jahren zwischen 1999 und 2004 bis zu 100 Millionen Dollar eingebracht. Auch die libanesische Hisbollah verdiente zweitweise daran, Zigaretten aus dem US-Staat North Carolina nach Michigan zu dirigieren, wo die Steuern höher sind.„Der Zigarettenschmuggel ist heute attraktiv und weitverbreitet“, sagt Deborah Arnott, Geschäftsführerin der Hilfsorganisation Action on Smoking and Health. „Er trägt zur Finanzierung des Terrorismus und davon ausgehender Konflikte bei, er befördert die Korruption und dient einigen der repressivsten Regimes weltweit als Einkommensquelle.“ Geheimdienst-Spezialisten vertreten die These, Einfuhr und Transit illegaler Zigaretten nach beziehungsweise durch Nordafrika stellten nur das „untere Ende“ des Zigarettenschmuggels dar. Das große Geld werde mit der Rückverschiffung von Markenprodukten nach Europa gemacht, wenn der Weg über Griechenland, Spanien oder Italien führe.Hinweise auf eine aktive Kooperation der Tabak-Giganten mit Terror-Gruppen gibt es nicht, doch interessieren sollte es die Hersteller schon, wo ihre Produkte letztlich landen. Das Phänomen der Zwischenhändler macht es so gut wie unmöglich, auch nur eine Spur der Rauchwaren aufzunehmen. In Geheimdienstdokumenten, die der Observer einsehen konnte, wird das Beispiel eines Zwischenhändlers beschrieben, der regelmäßig Erzeugnisse eines der größten Tabakkonzerne einkauft und damit ein komplexes Unternehmen betreibt – mit Büros und Lagerhallen, Bankkonten in Zypern, Brüssel, Dubai, Ägypten, Israel, Uruguay, Panama und Singapur. Der Mann kann Zigaretten um die ganze Welt schicken und falsche Fährten legen, sodass der Vertriebsweg nicht zurückverfolgt werden kann. Für den „Schutz“ entlang der Routen sorgen häufig Zollbeamte oder Polizisten. „Sie verdienen gutes Geld für wenig oder gar keine Arbeit“, weiß ein Geheimdienstexperte, der bei Anti-Schmuggel-Operationen beteiligt war. „Am meisten kommt ihnen zupass, dass die Geschäfte entweder in Dollar oder in Euro abgewickelt werden. Harte Währungen fließen auf saubere Konten. So können sich die Helfer nach Belieben alles kaufen, was sie brauchen.“Um etwas dagegen tun zu können, müsste von den beteiligten Ländern zunächst einmal das internationale Abkommen über den illegalen Tabakhandel ratifiziert werden. Dann wären die Tabakkonzerne gezwungen, ihren Vertrieb zu überwachen und bei der Wahl ihrer Kunden mehr Sorgfalt walten zu lassen. „Effektive Kontrolle wäre nur möglich, wenn die Hersteller entlang der gesamten Versorgungskette die rechtliche Verantwortung für ihre Produkte übernehmen“, sagt der kanadische Anwalt Eric LeGresley, der sich intensiv mit der Problematik befasst hat. „Dann wären die Unternehmen gezwungen, mit seriösen Agenten zusammenzuarbeiten.“
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