Zum 150. Geburtstag von Gerhart Hauptmann am 15. November gibt die Bundesbank eine Gedenkmünze heraus. Die Randschrift lautet „A jeder Mensch hat halt ’ne Sehnsucht“; es dürfte sich damit um das erste Erzeugnis dieser Art handeln, das Dialekt verwendet, um seine eher schlichte Botschaft zu verkünden. Ähnlich verfährt das Deutsche Theater Berlin, dem Jubilar Hauptmann durch zahlreiche Uraufführungen eng verbunden: Seine Veranstaltungen zum freudigen Anlass stehen unter dem Titel „Nu jaja, nu neenee“. Der Text für den Ersttagsstempel der soeben erschienenen Hauptmann-Briefmarke schließlich bringt unfreiwillig die Haltung der Öffentlichkeit zum Hauptmann-Gedenkjahr insgesamt auf den Punkt: „Mir leiden’s nimehr! Mir leiden’s nimehr, mag kommen, was will.“
Sehr viel kommen wird allerdings nicht mehr: Bei den Feierlichkeiten beschränkt man sich auf das Nötigste, und 2012 ist nur nominell ein Hauptmann-Jahr. Das Geburtstagskind erscheint im Familienverbund der deutschen Literatur als seltsames Relikt aus nicht unbedingt guten alten Zeiten, das höchstens durch sein putziges Idiom – hieße es nicht schlesisch, müsste man es altfränkisch nennen – etwas gönnerhafte Aufmerksamkeit hervorruft. Einen solchen übertrieben gravitätischen alten Mann kann man nicht völlig ignorieren, zumal der Gefeierte für die Familie durchaus einiges geleistet hat (Literaturnobelpreis!), aber auf der pflichtgemäß organisierten Party bleibt niemand länger, als er muss, und die Festreden fallen wenig enthusiastisch aus. Wäre Hauptmann noch am Leben, stünde er heute vermutlich so da, wie er auch auf der Briefmarke abgebildet ist: ein müder, herrischer Kauz, der verbissen über die unter ihm ausgebreiteten Werke wacht – und rundherum niemand sonst.
Schlesisches Brimborium
Erstaunlicherweise ist es bei alledem nicht unbedingt Hauptmanns Werk, das die Leute „nu neenee“ sagen lässt: Zumindest die naturalistischen Dramen – Vor Sonnenaufgang, Die Weber, sogar der nachträgliche Naturalismus-Aufguss Die Ratten – werden durchaus aufgeführt, und das nicht nur in den Aulen der zahlreichen deutschen Hauptmann-Schulen. Bei allem schlesischen Brimborium, das auch in diesen Stücken seinen Platz hat, bleibt offenbar genug Raum für Themen, die auch das heutige Theater interessieren. Für Werke eines Autors, der den Höhepunkt seiner Karriere vor genau 100 Jahren erreicht hat, ist das kein schlechtes Ergebnis – man denke an die anderen deutschen Literaturnobelpreisträger dieser Zeit, Rudolf Eucken und Paul Heyse.
Daran, dass seine sozialen Dramen lebendiger sind als er selbst als Autorfigur, ist der Jubilar nicht zuletzt selber schuld: Der von ihm penetrant gepflegte Habitus eines knorrigen Praeceptor Germaniae, vulgo: eines Oberlehrers der Nation, der sich vermutlich noch in seinen Einkaufszetteln findet, ist schneller gealtert als seine Werke. Gut so – am 1. Januar ist das Hauptmann-Jahr vorbei, und die Post erhöht das Porto. Der einsame Hauptmann wird mit seiner Briefmarke verschwinden, und man kann guten Gewissens wieder einmal ins Theater gehen und – beispielsweise – Einsame Menschen sehen.
Jan Behrs promoviert an der HU Berlin über Expressionismus
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