Rebell der Lifestyle-Welt

Gesellschaftskritik Mehr als Trash oder Spaßpaket: Christian Ulmens Kultfigur Uwe Wöllner ist seit einem Jahr auf im Internet auf ulmen.tv zu sehen. Jetzt hat Uwe einen Roman geschrieben.

Für die Reality-Serie Mein neuer Freund erfand der einstige MTV-Moderator und Schauspieler Christian Ulmen 2005 verschiedene Figuren, mit denen es die jeweilige Kandidatin ein Wochenende aushalten musste, um 10.000 Euro zu gewinnen. Neben dem Hamburger Stinkbarden Knut Hansen oder dem adligen Rassisten Alexander von Eich, wurde die Figur Uwe Wöllner dann 2008 in kurzen Filmaufnahmen auf ulmen.tv recycelt, als Freak, der sich die Welt aus Computerspielen und Fernsehsendungen zusammenbaut; eine Welt, in der er nur darauf warten muss, dass eine vollbusige Nymphe seine Fähigkeiten im Mortal Combat-Spielen entdeckt oder dass er für den nächsten Raumflug als Mel-Gibson-Ersatz berufen wird.

Dass diese Vorstellungen wenig Chance auf Erfüllung haben, sieht man schon an seinem Outfit: Mit seiner Bugs-Bunny-Mütze, dem Holzfällerhemd, der dicken Brille und dem schiefen Grinsen sieht Uwe aus, wie die Potenz aller bisher bei der Pro-Sieben-Soap Das Model und der Freak zurecht modellierten Waldschrate. Und nicht nur das. Uwe hat darüber hinaus ein Kommunikationsproblem. Er kennt die kulturellen Codes nicht, nach denen sich Leute beim Speed-Dating oder in der Fleischerei unterhalten, kapiert nicht, dass nicht jeder Computerfreak und Pornofan ist oder über seine flachen Wortspiele und Gags lachen kann. Beim Kampf um einen Praktikumsplatz in einer LKW-Waschanlage schwärzt er seinen Konkurrenten an und nötigt dem Vorarbeiter ein Gespräch über sexuelle Vorlieben auf, bei der Partnervermittlerin spricht er von Frauen, als seien die Gebrauchtwagen: „Vom Wesen her finde ich fast jeden Frauentyp okay,“ sagt Uwe oder „was haben Sie denn sonst noch so im Angebot?“

Und trotzdem oder wahrscheinlich genau deswegen ist Uwe Wöllner ein Star. Das Ziel, dem Außenseiter Frau und Arbeit zu beschaffen, muss Uwes Fernsehredakteur Gero Schorch (gespielt von Jörg Diernberger) zwar aufgeben, aber Erfolg hat Uwe ohne Zweifel: Knapp 190.000 Mal wurden einzelne der Clips im Internet angewählt, nicht schlecht für einen, der mit 31 noch schwer pubertär durch die Gegend läuft.

"Die coolste Leiche"

Und jetzt ist Uwe Literat geworden. Für Uwe">Für Uwe heißt das Buch, in dem er vom Golfkugel-Tod seiner Mutter, seinem Wegzug aus dem heimatlichen Hannover-Garbsen nach Berlin und seinen dortigen Erfahrungen als Bestattungshelfer und Ehemann einer rumänischen Prostituierten erzählt. Ein lockeres Leben hat Uwe nicht in Berlin. Der Chef des Bestattungsunternehmens, Herr Weiß, etwa, vermisst sein Taktgefühl im Umgang mit den Hinterbliebenen. Als Uwe eine Frau, die die Leiche ihres Vaters nicht mehr anschauen möchte, mit den Worten zu überreden versucht, ihr Vater sei „die coolste Leiche der Welt“ und sehe aus „wie das blühende Leben“.

Zwar findet Uwe in dem 12-jährigen Thorsten einen Freund und heiratet die schöne Prostituierte Malina, die er im Club „Jasmin“ kennen lernt. Der Verdacht, dass die beiden Uwes Gutgläubigkeit das eine oder andere Mal ausnützen, bleibt aber nicht unbegründet: Thorsten braucht im Grunde einen Raum, wo er mit seinen Kumpels ungestört feiern kann und Milena eine Aufenthaltserlaubnis.

Wie in den Internet-Clips, so sind auch im Buch unmögliche Sprüche Uwes Markenzeichen. Zum Beispiel als er die gealterte Puffmutter des Club Jasmin trifft und ihr, ob ihres Alters („Also für mich könntest du gut und gerne noch als Nutte durchgehen“) ein Kompliment zu machen glaubt. Und trotzdem erkennt mancher Leser seinen Uwe aus der Sendung kaum wieder. Dass Uwe Abitur gemacht hat und aus dem Bildungsbürgertum stammt, ist ihm in den Clips genau so wenig anzumerken, wie die gewählten Sätze, die Uwe nun formuliert: „Sie war weizenblond und ganz zart, ihre Haut lag eng auf den Knochen, wie bei einer Zofe oder Kate Moss“, beschreibt er seine Freundin, dann beobachtet er „zu klein geratene Kinder von alkoholkranken Eltern auf ihrem immer gleichen Schulweg, alle mürbe und entzündet“. Dass diese Sätze von einem geschrieben wurden, der sich keine Viertelstunde unterhalten kann, ohne einen Blondinenwitz von sich zu geben – kaum zu glauben.

Aber es hat seinen Grund, dass der Internet-Uwe aus dem Kiez zwischen den Buchdeckeln dann doch aus gar nicht so schlechten Verhältnissen kommt. Während die Uwe-Clips von den Reaktionen der realen Lebenshelfer und Passanten leben, muss in der fiktiven Erzählung des Buches eine neue Fallhöhe her. Nun sind es die steifen Feiern einer gutbürgerlichen Großfamilie, auf denen sich Uwe daneben benimmt oder eben das Bestattungsinstitut von Herrn Weiß. Dass die Figuren, die streckenweise Klischees bleiben, auf dem Papier weniger Lacher bringen, als auf dem Bildschirm, ist dem Medium geschuldet.

Und trotzdem funktioniert das Buch, trotzdem ist es mehr, als ein aus Absurditäten zusammen geschnürtes Spaßpaket; trotzdem trägt die Figur, die Christian Ulmen seit 2005 bis in die letzte Faser hinein durchdacht und entwickelt hat. Statt einer Karikatur ist Uwe ein Charakter, dessen absurdes Verhalten in psychischen Motiven gründet, der, mehr als seine Brüder Knut und Alexander, ein Eigenleben entwickelt hat. Das zu zeigen, die Weltsicht des Uwe nachvollziehbar werden zu lassen, leistet das Buch besser als die Aufnahmen. Etwa wenn er Malinas Eltern gegenüber einen Autisten spielen soll, damit diese denken, Malina arbeite als Pflegerin und ihnen gegenüber dann jede seiner Handlungen mit psychologischen Fachbegriffen erklärt: „Wegen meines unflexiblen Festhaltens an ritualisierten Gewohnheiten könnte ich in Anwesenheit deiner Eltern eh nicht so gut essen“.

Im Grunde ist Uwe politisch, einer, der die Welt verändern will und der ganzen „Mach was aus dir!“-Lüge unerschrocken seine Wahrheit entgegenstellt. „Mutig ist, wer daheim wohnen bleibt, obwohl die Gesellschaft das streng untersagt“, ist so ein Satz von Uwe, der tief in die Mechanik der Wöllner'schen Logik führt. Dem Bestatter seiner Mutter rät er zu Beginn, er solle, statt sein Beileid auszudrücken, ehrlicherweise sagen: „Hallo, ja, Ihre Mutter ist tot, da sind Sie bei mir genau richtig, hier habe ich ein paar gute Artikel für die Beerdigung“.

Individualität im Konformismus

Mit Uwe Wöllner präsentiert Christian Ulmen einen Außenseiter, der vorgibt, an der modernen Gesellschaft teilnehmen zu wollen, um im entscheidenden Moment auf seiner Individualität zu beharren. Und damit die Bedingungen zu entlarven, die die moderne Gesellschaft, egal ob Knigge oder Viva, heute wie vor 50 Jahren an ihre Mitglieder stellt: die Maske des ordentlichen, netten, höflichen Mannes zu tragen, auch wenn man, wie Uwe, ein solcher gar nicht ist und sein will.

Wer über Uwe lacht, lacht nicht nur über ihn, weil er genau weiß, wie sich ein Imagecoach fühlt, der an Uwes Sturheit scheitert. Er lacht auch, weil Uwe sich für ihn und völlig arglos in die Nesseln setzt und alle Wut der Gesellschaft auf sich nimmt, wo er selbst unter sozialem Druck steht und sich um sein Image oder sein Fortkommen Gedanken macht. Schon Freud hat festgestellt, dass ein solches „Lösen von Anspannung“ zum Lachen führt.

Vielleicht wird Uwe gerade wegen dieser Unbeugsamkeit und dem Beharren auf seiner Individualität so gefeiert, vielleicht ist er deshalb diejenige von Ulmens Figuren, die am meisten Empathie auslösen, auch wenn er selbst zu Empathie völlig unfähig scheint. Und vielleicht ist er so, als Freak, dem Zuschauer trotzdem näher, als alle, die schon in der Grundschule anfangen, sich in Schubladen hinein zu stylen und sich ihre Identität aus Katalogen zusammen zu basteln.

Christian Ulmen. Kindler 2009, 224 S. 14,90 Euro

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