1,2 Kilo Grass

Gesprächsband Der Göttinger Verleger Gerhard Steidl hält die Weltrechte am Werk des Literaturnobelpreisträgers Günter Grass. Nun erschien ein gewaltiger Sammelband an Gesprächen

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Lasset die Lektüre beginnen!
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Foto: Sean Gallup/Getty Images

Gerhard Steidl ist in der Druckszene bekannt dafür, nicht zu kleckern, sondern wenn, zu klotzen. Und zwar immer in der Druckqualität und im Wagnis. Er könne, so sagte er um circa 2009, sicher wohlhabend sein, wenn er nur Bestseller, wie zum Beispiel die Blechtrommel, machen würde. Diese Bestseller würden es ihm aber erlauben, auch Bücher (oder wie er gerne sagt: Multiples) herzustellen, die sich nicht so sehr rechnen.

Günter Grass erhielt 1999 den Literaturnobelpreis, er war damals 72 Jahre alt, also etwas jünger als der jetzt siebenundsiebzig gewordene Peter Handke. Steidl erwarb die Weltrechte am Werk Günter Grass´ schon vor dem Nobelpreis (ca. 1993 vom Luchterhand Verlag). Wenn man aktuell durch die Buchhandlungen des Landes geht, weiß man, welch´ ein Segen so ein Nobelpreis auch für den Verlag sein kann. Die Wände sind vollgetackert mit Handkes Werken. In zig neuen Editionen und Formen.

Eine „Folge“ dieses Nobelpreises ist bis heute in Göttingen sichtbar, die „Folge“ heißt Rüdiger und ist der Koch, zu dem Grass Steidl riet, als der finanzielle Segen der Nobelbuchverkäufe abzusehen war. Steidl selbst sieht dies auch als Segen, musste er doch früher immer die Künstler wieder aus der Stadt aufsammeln, wenn sie zum Mittagessen (oder gar zum Mittagsumtrunk) in die Göttinger Altstadt ausgeschwärmt waren. Nun wird seit zwanzig Jahren ein Mittagessen zelebriert, bei der Steidl immer erst zur Hauptspeise kommt.

Rüdiger kocht unterm Dach

Apropos Trinken: Bei Diogenes wird das Werk Jörg Fausers grade intensiv neu aufgelegt. In dem Buch Rohstoff lässt Fauser seinen Protagonisten und Alter ego Harry Gelb nach Göttingen ziehen. Wohin natürlich? In die Düstere Straße.

Und noch ein weiteres Andenken findet sich nur einen Steinwurf vom Verlag entfernt: Das Günter-Grass-Archiv. Ein restauriertes Fachwerkhaus dient als Ausstellungsort für Grass´ „Arbeitsarchiv“, wie Verleger Steidl den literarischen Nachlass benennt. Zusammen mit der Uni Göttingen, hat Steidl eine Treuhandstiftung gegründet, nun soll alles erschlossen und der Wissenschaft zur Forschung zur Verfügung stehen.

Nun aber zurück zum Buch. Der über Grass promovierte Literaturwissenschaftler Timm Niklas Pietsch, Jahrgang 76, hat es sich zur Aufgabe gemacht, aus einem Fundus von über 250 Gesprächen einen Querschnitt des Grasschen Wirkens von der Literatur bis zu seinem politischen Engagement zu bieten. Auch zu Grass´ NS-Vergangenheit, über die immer wieder die Frage aufkam, ob ihm das die Nobelpreischance gekostet hätte.

53 Gespräche, knapp 900 Seiten Austausch

53 Gespräche aus den Jahren 1958 bis 2015 sind es geworden, oder: 844 Seiten Grasssche Äußerungen. Nebst Nachwort, Personenregister und bibliographischen Nachweisen, sind es satte 1,2 Kilogramm gedrucktes Wort.
Und wie alles bei Steidl, ist es mit viel druckaffiner Hingabe produziert. Im Format eines Pschyrembel, in sonnenorangenem Leinen eingeschlagen, ohne Schutzumschlag, dafür direkt bedruckt mit dunkelblauen, serifenlosen Lettern.
Gestaltet wurde das Buch von Victor Balko und Bernhard Fischer. Und, auch das hat Steidl begriffen: die Leser*innen wollen auch Druckdetails wissen:

Gesetzt aus der Baskerville und der Theinhardt
Gedruckt auf Schleipen Fly spezialweiß 70g

Nun kann die Lektüre beginnen.

Günter Grass: Gespräche 1958-2015. Herausgegeben von Timm Niklas Pietsch. Steidl Verlag 2019, 38€

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