Allmen meets Mangold

Literatur Martin Suter ist Ruhm und Ehre gewohnt. Jetzt setzt sein Nebenwerk Salzränder an

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Das perlt
Das perlt

Foto: Fred Dufour/AFP via Getty Images

Was Sie zu diesem Text hören sollten: Pet Shop Boys Rent (1987)
Was Sie zu diesem Text trinken könnten: gut gekühlten Champagner (keinen Rosé!) oder einen leichten Weißen (Grünen Veltliner zum Beispiel; alternativ eine kühle, aber seichte Apfelsaftschorle (naturtrüb))

Ich habe einen guten Freund, der heißt eigentlich anders. Aber wir nennen ihn Mangold. Er hat alle Anlagen eines Egozentrikers. Goldener Siegelring und eine vergoldete Meinung von sich selbst. Wenn man ihn von hinten im Café erspäht, setzt die reichhaltig genutzte Pomade sein Haar in Form. Mangold ist da, man kann sagen: seine Präsenz definiert Aufmerksamkeit im Raum.

Er liebt es, Geld unter die Leute zu bringen; auch das, was er noch nicht verdient hat. Mangold ist sich allen Signets des ausgewachsenen Kapitalismus´ versichert. Wenn man ihn auf das Bedingungslose Grundeinkommen anspricht, reagiert er wie ein Pawlowscher Hund: er wird unruhig, rutscht nach vorne auf die Stuhlkante und stößt mit Präzision den Zeigefinger in die Richtung des anderen.

Letztens sah ich ihn so auf einer Trauerfeier eines Freundes. Mangold kam richtig in Form. Ich blieb etwas in Abstand zu der Szene stehen (in Luhmannscher Beobachtungsposition), um dem ganzen Schauspiel eine Chance zu geben. Da gesellte sich ein Künstler neben mich, und fragte gedämpft: „Was ist das denn für´n Vogel?“ Er meinte Mangold.

Weynfeldt wird Allmen

Der Künstler, den Mangold locker als „linksgrün versifft“ aburteilen würde, saß kurz vorher auch mit am Tisch. Er entfloh Mangolds Zeigefingerguillotine und raunte weiter: „Woher kommt der denn?“
„Junge Liberale“, hauchte ich. Der Künstler nickte, als wenn er das Welturteil spräche.
„Aber sonst ist er toll", schloss ich beschwichtigend an.
„Wäre mir bei jungen Liberalen neu“, sagte er, und verabschiedete sich an den Sekttresen.

Wenn Martin Suter gefragt wird, wie er auf seine Figur des von Allmen (btw: von der Alm) kam, hat er eine einleuchtende Antwort: er suchte für seine Krimiserie eine Figur, mit der es länger aushalten könne. Da blieb dann die Figur des Adrian Weynfeldt und transformierte sich in den ehemaligen Erben und nun dauerklammen Bonvivant Johann Friedrich von Allmen. Manchmal denkt man, dass es die positiv-aggressiv ausfigurierte Version von Martin Suter selbst ist. Ein Mensch, der den Luxus mag, und immer dafür arbeiten muss, sich den auch immer wieder leisten zu können. Mit Wortwitz und Mut seiner selbst wegen.

Tutti Frutti?

Suter legt, auch wenn die Kritik ihm „Tutti-Frutti-Thriller“ vorwarf, monumentale Romane über das Menschsein vor. Sein Hauptwerk strotzt vor kraftvollen Texten. Sei es Der letzte Weynfeldt; Die Zeit, die Zeit; Lila Lila oder Der Koch. Oder eben sein Debüt Small World, in dem die Alzheimererkrankung die Basis bildet (an der sein Vater auch erkrankt war). Man merkt den Texten seine Recherche an, auch wenn es dann manchmal etwas in das pedantische Grenzgebiet des grad-noch-Möglichen kippt.
Suter hat klar umrissene Figurenensembles, die einen ohne Stammbaumübersicht auskommen lassen.

Champagnerwelt in Literaturform

Dass man ihm Seichtigkeit unterstellt, ist eine zu schnelle Reaktion, die von der „echten“ Literatur getriggert wird, die bleischwer daherkommt. Ohne Arme aufritzen oder eine Variante von Die Glasglocke (Sylvia Plath) mit dem Kopf schon halb im Ofen liegend, geht da ja oft nichts.
Suter blickt distanziert auf die Welt, immer mit einem Augenzwinkern. Suter muss sich beim Texten austoben, bald werden es an die tausend Business-Class-Kolumnen sein, die die Geschäftswelt verballhornen, aber auch eine Nähe immer zulassen. Und diese Nähe zu den Themen der Maßanzug-Champagner-Welt verhehlt Suter nie. In seinem kriminalistischen Nebenwerk lässt er dem ganzen freien Lauf. Es ist seine Spielwiese.

Nun sind die Kritiken von Lesenden bei seinem aktuellsten und sechsten Allmen eher dürftig. Es sei eine lahme Story, usw. Gemäß der Gaußschen Normalverteilung sollte man sich wenig auf die Ausreißer konzentrieren – aber diesmal sind diese Kritiken keine Ausreißer.

Was passiert in Allmen und der Koi? To keep it short and simple: diesmal ist ein Koi weg. In "Codersprache": {Allmen [subject] und der [connect] [lost object]}. Suter knattert in einer Dassault Falcon (das ist ein Privatjet, alle GAT-Paxe wissen das) nach Ibiza (wo Suter jahrelang lebte) und sucht den Koi.
Ist das schlecht?
Nö.

Leichte Brise

Es fehlt bloß den meisten Lesenden sensorisches Gespür selbst zu wissen, was sie lesen wollen. Letztens stand ich in einer Buchhandlung und da kam eine Dame und wollte ein Buch.
„Das ist Manhattan Beach. Das ist mit einer Taucherin“, sagte die Buchhändlerin.
„Ah“, antwortete die Kundin.
„Das passt zu Ihnen. Mit einer Taucherin. In New York.“
Kundin kaufte das Buch.
Abgang Bühne ahnungslos.

Eine Leserin schreibt, sie habe den Koi nur zu Ende gelesen, weil sie das mit jedem Buch halt tue.
Tja, da sehen Sie die lesende Hautevolee.

Wenn man einen Allmen liest, ist das wie die Gischt im ibizenkischen Beachclub. Leicht und seicht und doch von malerischer Qualität. Es ist ein Urlaub in luxuriöser Flughöhe mit einem warmen und skurrilen Ensemble, leichten Fällen und vielen atmosphärischen Nebeninformationen. Darum sollte man einen Allmen lesen. Aber das muss man halt erstmal wissen können wollen.

Mangold lässt sich derweil in der Cigar-Lounge in den Sessel fallen und spielt sich am Siegelring. Er winkt den Kellner ungeduldig herbei, bestellt einen Brandy Alexander (das Umfeld prustet bei dem Namen, Mangold reagiert verächtlich: „Das‘n Klassiker unter den Cocktails!“) und schneidet seine Zigarre an. Er schnippt den Abschnitt in den Aschenbecher und befeuchtet die Zigarre mit den Lippen.

„Das ist was für Conaisseurs. Also nichts für euch!“, rümpft er die Nase. Er zündet die Zigarre mit seinem Feuerzeug in kreisenden Bewegungen an und schüttelt den Kopf über die Ahnungslosigkeit seiner Begleitungen.

Nur für Conaisseurs?

„Warst du im Chalet Sophie?“, fragt Mangold mit einem nun wieder versöhnlichen Augenzwinkern.
Nein, sein Sitznachbar war nicht im erotischen Massagestudio im Industriegebiet. Zumindest nicht ganz. Mangold hatte es ihm das letzte Mal wärmstens empfohlen, und dabei fast erotisch geblickt.
„Nö, die Nachbarn waren zu interessiert, wer da ein- und ausging.“
„Stört mich ja nicht.“
„Weiß ich.“

Mangold tut fast alles für einen guten Preis. Und wenn er sich für etwas entschieden hat, zieht er es auch durch. So fährt er, wenn, sehr rasant Auto. Manchmal meint man, er bohre sich in die Wand vor dem Parkplatz, damit er wirklich ankommt.
Pause, das sei wie verlieren, sagte er vor kurzem im Auto. Mangold könnte Sinnsprüche für Manager kurz vor dem Zusammenbruch gestalten.

„Und bei dem Preis, kannste nix sagen.“ Das ist Mangolds liebster Satz, der bei aller Generosität, auch final geizig ist. „Und vor allem: massieren lassen muss man sich eh, warum dann nicht bis zum besten Ende?“
Er verstand die Welt nicht mehr. Damit war er in der Runde nicht allein.

Suters Werk sollte man sich über seine großen Romane erschließen, und dann sich als „Süterli“ den Allmen als Praline gönnen.

Und wenn Sie mal ganz viel Glück haben, sehen Sie mich in Frankfurt in einer Bar mit Mangold sitzen, der vielleicht wahrste Allmen der realen Welt.
Er wird Brandy Alexander bestellen.
Und dennoch mein Freund sein.

Martin Suter: Allmen und der Koi, Diogenes Verlag 2019, 22€
als Hörbuch ebenfalls erschienen im Diogenes Verlag, gelesen von Gert Heidenreich, 20€

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