Am Boden

Luftfahrtkrise Jürgen Raps war Chefpilot der Lufthansa. Nun ist die Luftfahrt am Boden. Ein kurzes Gespräch auf Flughöhe Null

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Die Luftfahrt ist fürs erste auf dem Boden der Corona-Realität gelandet
Die Luftfahrt ist fürs erste auf dem Boden der Corona-Realität gelandet

Foto: Thomas Lohnes/Getty Images

Jürgen Raps war vierzig Jahre lang Pilot in unterschiedlichen Funktionen, zum Schluss Chefpilot der A380-Flotte und Mitglied im Bereichsvorstand Passage der Lufthansa. 2011 verabschiedete er sich mit einem Umlauf nach San Francisco vom Liniendienst in den Ruhestand, begleitet von mehreren Kamerateams. Dadurch ist er bis heute bei Youtube präsent und mehr als fünfzig Millionen User haben sich angesehen, wie Kapitän Raps den größten Passagierjet der Welt am Sidestick steuert. Inzwischen lebt er wieder da, wo er jahrelang die Außenstelle der Lufthansa Verkehrsfliegerschule geleitet hat: in Phoenix/Arizona. Kurz vor der Corona-Krise verlautbarte Lufthansa, ihre A380-Flotte bis Juni zweitweise stilllegen zu wollen, die Auslastung mit rund 35% sei zu gering. Jetzt steht die gesamte Luftfahrt still. Und nicht erst Air Berlin und viele regionale Airlines haben gezeigt, wie schnell es in diesem Wirtschaftszweig aus sein kann.

Jan C. Behmann: Herr Raps, der Luftverkehr ist fast zum Erliegen gekommen. Ein ähnliches Szenario spielte sich nur während der Vulkanaschewolke 2011 ab. Wie erleben Sie in den USA die Corona-Krise?

Jürgen Raps: Natürlich verfolge ich die Dramatik der Situation in Deutschland und ganz Europa sehr genau über die Medien. Darüber hinaus kommuniziere ich fast pausenlos mit Freunden, Bekannten und Familie in Deutschland über WhatsApp und Co. Da zeigt sich wieder einmal, dass jede Medaille zwei Seiten hat. Man kommt sich wieder mit Menschen näher, mit denen man schon lange keinen Kontakt mehr hatte. Das tut richtig gut. Hier in Arizona ist es noch, und die Betonung liegt auf noch, relativ entspannt. Es gibt noch keine Ausgangsbeschränkungen, allerdings sind fast alle Restaurants, Pubs und ähnliche Einrichtungen inzwischen geschlossen. Nach wie vor gibt es Drive-Ins und Take-away-food. Und natürlich gibt es hier auch Hamsterkäufe, was für mich ein total unsoziales und nicht tolerables Verhalten ist. Das Schlimmste an dieser Krise ist für mich die Perspektivlosigkeit und die Verdammnis zu einer gewissen Passivität.

Der Zeit der großen Flugzeuge scheint auch ohne Corona vorbei zu sein. Lufthansa war bereits dabei ihre A380-Flotte bis Juni abzustellen. Wie wird diese Krise die Luftfahrt in ihrer operativen Dynamik verändern?

Diese Frage ist schwer zu beantworten. Das hängt sicherlich davon ab, wie lange diese Krise dauert und wie Regierungen auf die wirtschaftliche Situation nicht nur der Airlines reagieren. Sicherlich wird die Luftfahrt nach Beendigung der Krise anders aussehen als vorher. Doch hat diese Industrie immer wieder bewiesen, dass sie die Volatilität der Märkte sehr schnell ausgleichen kann mit hoher Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Geschwindigkeit.

„Die Hoffnung stirbt zuletzt“

Sie waren A380-Pilot der ersten Stunde. Auch Emirates will ihre riesige A380-Flotte erstmal abstellen. Lassen Sie uns emotional sein: Dass die Zeit dieser Flugzeugbauart zu Ende sein wird, was fühlen Sie da?

Ob ein geparkter A380 oder alle andere Flugzeuge: diese Bilder brechen mir das Herz. Ich bin überzeugt, dass es allen Kolleginnen und Kollegen genauso geht. Aber wie heißt es so schön: die Hoffnung stirbt zuletzt oder Totgesagte leben länger.

Lufthansa verlautbarte, keine Flugzeuge zu verkaufen, da die meisten Flugzeuge im Besitz der Gesellschaft seien und somit auch eine Sicherheit für Kapitalgeber. Wird die Lufthansa Group ihre bisher 780 Flugzeuge wieder in die Luft bekommen?

Auch das hängt in erster Linie vom Verlauf der Krise ab, wie schnell die Beschränkungen fallen, wie schnell die Märkte sich wieder öffnen oder ob es Nachholbedarf gibt. Viele Fragen, die man im Moment nicht umfassend beantworten kann. Aber auch hier kann ich nur sagen, dass Lufthansa schon immer in der Lage war, schnell zu reagieren. Und das werden sie auch diesmal tun, wenn die Rahmenbedingungen entsprechend sind; insofern aus meiner Sicht ein klares Ja. Lufthansa ist wohl eine der krisenerprobtesten Airlines der Welt.

„Die Lufthansa-Familie hält zusammen“

Es ist nicht die erste Krise der Lufthansa. Bereits 1991 stand sie nah am Abgrund (444 Millionen Verlust). Der damalige neue CEO, Jürgen Weber, brachte die Gesellschaft wieder in die sprichwörtliche Luft. Was war damals der Grund und wie erlebten Sie diese Phase?

Ich war damals Chef der Lufthansa Verkehrsfliegerschule in Bremen mit Außenstelle Phoenix/Arizona und kann mich natürlich an diese schwere Zeit gut erinnern. Wir standen vor immensen Herausforderungen. Die Schule stand kurz davor, geschlossen zu werden. Positiv war, dass unser Geschäft auf mehreren Säulen beruhte (viele externe Kunden). Darüberhinaus hat die Anwendung von ungeheuren Sparmaßnahmen dazu geführt, dass wir "am Leben" geblieben sind. Maßgeblich waren auch innerhalb der ganzen Lufthansa-Familie ein ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl, verbunden mit dem Wunsch und dem Willen, dieses Unternehmen am Leben zu halten und zu retten. Dieses Gefühl ist auch jetzt deutlich wieder spürbar.

Waren Sie während Ihrer vierzig Dienstjahre als aktiver Pilot aus wirtschaftlichen Gründen schonmal gegroundet?

Gottseidank war ich nur einmal für eine kurze Zeit gegroundet. Und das war bei Einführung der DC-10 (ich war damals Copilot auf diesem Flugzeug) als es bei diesem Flugzeug unerwartete technische Schwierigkeiten gab, dazu führte, dass die Maschine für einen relativ kurzen Zeitraum (ca. sechs Wochen) gegroundet wurde, bis alles behoben war.

Keine abgeschlossene Berufsausbildung

Wird es die Schulungsstrukturen vor Herausforderungen stellen, wenn Piloten für längere Zeit am Boden sind und dann wieder im Full-Flight-Simulator „fit“ gemacht werden müssen?

Alles, was sich in einem übersehbaren Zeitraum, ich sage mal bis zu einem Jahr, abspielt, ist im Rahmen der vorhandenen Schulungsstrukturen und Lizensierungsvoraussetzungen ohne weiteres machbar.

Noch letztes Jahr sagten Sie in einem Radiointerview, neue Piloten würden gebraucht. Dieser Markt wird nun wieder einbrechen. Was ist das Problem für angehende Piloten, wenn sie keine Übernahme bekommen?

Das ist für die Betroffenen leider ein Riesenproblem. Man muss wissen, dass ein Verkehrspilot de facto „nur“ eine Lizenz hat. Keine abgeschlossene Berufsausbildung. Ohne diese Ausbildung oder weitergehende Qualifikationen wie z.B. ein Masterstudium an den eingehenden Hochschulen, sind vorübergehende Beschäftigungsverhältnisse sehr schwierig zu bekommen. Ein echtes Drama für die Nachwuchsflugzeugführer.

Wird in vielen Pilotenhaushalten grad schwer gelitten?

Davon gehe ich aus.

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