An der Maden-Bar

Lebensparabel John Williams hinterließ einen großen Roman über das, was jedes narzisstische Wesen fürchtet: die Vergänglichkeit

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An der University of Missouri in Columbia spielt John Williams' Roman „Stoner“
An der University of Missouri in Columbia spielt John Williams' Roman „Stoner“

Foto: Michael B. Thomas/Getty Images

„Also, wenn ich mal einen Roman veröffentlichen wöllte, dann würde ich das auch bei dtv in Ordnung finden“, sage ich sinnierend in einem Café im Prenzlauer Berg. „Was?“, sagt mein literaturbetriebsnaher Gesprächspartner über den Tassenrand seines Fairtrade-Kaffees: „dtv? Das ist doch ein Scheißverlag!“

Wahr ist, der Verlag kommt aus dem Taschenbuchsektor und hieß früher „Deutscher Taschenbuchverlag“. Nun wäre es verrückt, man würde das Taschenbuch als Buchform ächten, stellt es doch das demokratische Rückgrat der Buchvermarktung dar. Doch was wäre der Buchmarkt ohne Paradoxien? Und so schlotzt man hinter vorgehaltener Hand gerne auf Taschenbuchausgaben und Autoren, die direkt aus dem Taschenbuch heraus starten oder gestartet haben. Thommie Bayer denkt sogar, dass ihm das bis heute nachhängt. Trotz fast einer Million verkaufter Exemplare.

Druck ist alles

Wahr ist, man kann bei Taschenbuchausgaben viel falsch machen. Papier, das so rau ist, dass man seine Fingernägel dran schleifen kann. Ein Druckbild, was auch ohne Sehfehler verschwommen wirkt. Da fragt man sich dann wirklich, ob jemand mit Verachtung die Bücher aus der Produktion laufen lässt. Doch es geht auch anders. Und selbst wenn man dtv anlastet, aus der Taschenbuchecke zu kommen, das können sie. Das Werk Wilhelm Genazinos wird dort als TB – wie der Handel abkürzt – verlegt. Aktuell las ich Genazinos wahrscheinlich autobiographischstes Werk: Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman. Druckbild top, der Kleber stinkt nicht, die Seiten sind fest verklebt.

Woran dtv allerdings ab und an scheitert, ist wie die Suche nach einem Bestseller: dem Wiederentdecken von „alter“ Literatur.
„Und, hast du das Buch gefunden?“, fragt der ältere Mann seinen Freund vor der Uni-Bibliothek. Dieser spannt sich seine Jute-Tasche über die Schulter seiner Jacke.
„Ja, und manchmal ist es gut, dass Bücher einfach nicht mehr nachgedruckt werden. Ein scheußlicher Text.“.
„Stimmt.“
„Sag´ ich ja.“
Beide gehen Kaffee trinken.

Letzten Herbst hat sich dtv dem Roman Stoner von John Williams (1922-1994) gewidmet. In einer schönen meerblauen Hardcoverausgabe, dazu parallel eine Biografie über den Autor. John Williams ist vielen sicherlich unbekannt. Ihm verfolgt in Anteilen das Schicksal seines Protagonisten Willam Stoner: zu Lebzeiten waren sie verkannt. Erst postum erstrebt ihr Werk eine Anerkennung. Selbst in meiner Vorstadtbuchhandlung steht ein Exemplar davon in der TB-Ausgabe. Chapeau an den Vertreter oder die Vertreterin!

Narzissmus an Bord

Der Tod ist für uns eine narzisstische Kränkung. Und wenn man es genau betrachtet, ist die Vorstellung auch nicht die prickelnste: alles geht weiter, nur man selbst kippt in die Kiste. Die Sonne geht wieder auf, Vögel zwitschern, Menschen verlieben sich.
Haben Sex.
Nur man selbst wird zur Maden-Bar.
Wenigstens noch ein Nachnutzen für die Umwelt.

Williams, selbst Professor für Literatur gewesen, figurierte aus sich und seinem Umfeld eine hybride Form eines Menschen, der es aus den Untiefen der Landwirtschaft des 19. Jahrhunderts in die Höhen eines Gelehrten schafft und dort sich den Widrigkeiten des Lebens stellen muss, die immer mehr als zermürbend auf ihn wirken. Denn die im Raum stehende Frage ist: schafft ein Mensch es aus den Tiefen des Lebens wirklich in die Höhen der akademischen Weihen? Und: findet er dort auch tatsächlichen Halt?

Aufflammend lebensbejahend

Seine Frau Edith lernt er noch in seinem fast ursprünglichen Leben kennen, sie wird einer der Dornen sein, an denen sich sein Sein irgendwann unwiderruflich entzündet. An der Universität scheitert er an dem System der Pfründe und seine eigentliche Liebe zersetzt sich an den damaligen gesellschaftlichen Werten. Seine einzige Tochter, Grace, hat große Anteile von ihm, doch auch sie wird in den Strudel der Vergangenheit der Familie gezogen.

John Williams schaffte es auf leise, aber dennoch fortführende Weise, die Leiden und die Liebe seines Protagonisten zu erzählen. Mal zermürbend, mal aufflammend lebensbejahend. Es ist ein Roman der leisen Töne, der den Bogen eines Lebens spannt, der durch die gläserne Decke des akademischen Daseins sticht, aber dann doch wieder an seiner Vergangenheit scheitert. Wie weit können wir unserem alten Leben, unserer ursprünglichen Herkunft wirklich entfliehen? Wie sehr sind wir in einem System, viel mehr wie sehr sind wir in unserem Zeitgeist gefangen? Stoner gab alles, schaffte so vieles und wird dann doch Teil des Zeitgeistes, gegenüber dem das Aufbegehren dann doch nicht funktionierte.

John Williams: Stoner. dtv 2019. 18€
Charles J. Schields: Der Mann, der den perfekten Roman schrieb: ›Stoner‹ und das Leben des John Williams. dtv 2019. 26€

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