Es ist 2018 und die Lindenstraße ist vorbei. Also das Mietende ist bekanntgeworden. Im Frühjahr 2020 wird die letzte Folge über den Bildschirm flimmern. Nur dass nichts mehr flimmert, in HD. Dann heißt es: Ausziehen für das Ensemble und das gesamte Team. Die Lindenstraße ist zum behördenähnlichen Schiff geworden. Schwer lenkbar, in einen großen Apparat eingebunden, der sie nun ausstößt wie einen Fremdkörper. Man trennt sich von Sachen, die nicht mehr laufen. Zeiten ändern sich/dich/uns.
„So schaut man doch heute gar nicht mehr“, ist ein beliebter Satz, wenn man dank Youtube alten Krams nachschaut, der einem die Kindheit mitgeprägt hat. Dabei lernt man aber auch immer wieder, die Paradiese der Kindheit sind nicht mehr bereisbar; egal wie real sie mal waren.
Die Lindenstraße war so vieles: politisch-gesellschaftliches Bollwerk, Dauerdramolett, Gegengewicht zur ewig schwarzen Regierung. Immer mit Salz in der Wunde der gesellschaftlichten Selbstverständlichkeit. Mahnend, warnend – den Nazis, Schwulenhassern und Totalitären immer den Kampf ansagend. Aktuell, immer aktuell bis es weh tat. Da wurden mit dem Dampfhammer Wahlergebnisse in den Plot gekloppt und dann auch immer wertend diskutiert. Das ist es, was der Erfinder bis heute mit ihr verbindet: Haltung zeigend.
Listra ist nicht GZSZ
Die britische Endlosserie „Coronation Street“ war für den Erfinder der Münchner Straße, Hans W. Geißendörfer (nur echt mit Hut), das Vorbild. Im Dezember 1985 ging es los mit Helga Beimer, ihrem Hansemann und Co. Jahrezehnte sollten folgen, die Lindenstraße war ein fester Termin für viele. War. Denn anders als GZSZ war die Listra nie Mainstream, nie fiktional genug, um im Alltag wie ein Grundrauschen zu existieren. Bei GZSZ hüpfen zumeist ausgewählt überschöne junge Menschen in unbezahlbaren Lofts herum, und gehen Fantasieberufen nach, bzw. Fantasiearbeitszeiten. Es ist so fiktiv, dass es den hart arbeitenden Menschen die Seele streichelt, obgleich es eher ein Lachbild auf selbige ist. Die Lindenstraße, deren Außenkulisse und Studios in Köln stehen (der Autor war selbst schonmal lustwandelnd in der Außenkulisse), war immer der überreale Widerpart. Real bis zur Schmerzgrenze: so bieder, so einfach, so wiederkennbar, dass bei Auszug einer fiktiven Mietpartei, echte Menschen sich als Nachmieter anboten.
Die Lindenstraße war nie schick, nie Fiktion. Und deshalb war sie wie trockenes Brot, es brauchte immer einen Schluck Wasser, die Themen schlucken zu können. Bisweilen wurde es in der themenbasierten Anpassung der Plots allzu gewollt. Und somit auch anstrengend zu sehen.
Anstrengung unerwünscht
Anstrengen will sich aber niemand, der Alltag der Selbstoptimierung ist hart, die Beliebigkeit zu groß, und die Auswahl zu krass, dass dieses riesige Schiff keine Chance hat. Die Schlagseite, seit Jahren erkennbar, jedes mal wurde es bange, ob der Vertrag erneuert wird, letztes mal raunten die Zwischentöne schon nichts gutes. Jetzt ist es passiert, es ist aus, nach 34 Jahren.
Das schmerzt viele, aber es ist wie alles vergänglich. Denn wie sehr viele die Zuneigung bekunden, umso mehr wird auch deutlich, dass von den Bekundenden kaum einer mehr die Serie geschaut hat. Die neue Produzentin, Hanna Geißendörfer, hat viel für die Verjüngung getan, es war aber zu spät und die Konkurrenz des Streams ist so groß und vor allem so unglaublich gut, dass es ein Ende mit Schrecken, aber endlich ein Ende hat.
Zu wünschen ist dem Cast, dass dessen Langzeitmitglieder genug Rücklagen haben. Denn einige Schauspieler sind so festgelegt und noch nicht im Rentenalter, dass es schwierig werden könnte, sie neu zu besetzen.
Auch wenn Hermann Hesse nur dem Anfang einen Zauber attestierte, so wohnt diesmal auch dem Ende ein Zauber inne: Erleichterung.
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