Die vergessene griechische Freundin

Backlistjuwel Der französische Autor Christophe Ono-dit-Biot legte 2018 bei Steidl einen hervorragenden Sommerroman vor. Bemerkt hat das leider kaum jemand

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Im Roman „Die griechische Freundin“ wird eher unaufdringlich auf die griechische Mythologie Bezug genommen
Im Roman „Die griechische Freundin“ wird eher unaufdringlich auf die griechische Mythologie Bezug genommen

Foto: Aris Messinis/AFP via Getty Images

Lassen Sie es uns in einem Satz zusammenfassen: Das ist ein wunderbarer Roman. In seiner Traurigkeit, in der Reflexion des menschlichen Lebens, insbesondere seiner Vergänglichkeit, in der Intellektualität, die vorhanden ist, aber nicht penetrant sich selbst erhebt. In der Übersetzung von Michael von Killisch-Horn, die in einem stimmigen literarischen Ton daherkommt. Die Ausstattung des nur 20 Euro teuren Werks, ist formidabel. Da könnte sich manches Hardcover anderer Verlage etwas abgucken. In bedrucktem Leinen gebunden, auf Schleipen Fly 125g gedruckt und in der Minion gesetzt. Der Autor ist indes in Deutschland weitgehend unbekannt. Bisher erschienen sechs erfolgreiche Romane in Frankreich. Leider hat das vorliegende Werk nur wenig Widerhall in der deutschen Öffentlichkeit gefunden.

Das ist bei der Vielzahl an Neuerscheinungen pro Jahr auch kein Wunder, schade bleibt es trotzdem. Wenn dieser Roman nur einen Hauch wie einer neuer Fitzek rezipiert worden wäre, es wäre schon viel geholfen. Aber natürlich ist diese Art Literatur leider den "happy few" vorbehalten. Auch der Rezensent hat ihn nur durch Zufall bei seinem digitalen Streifzug auf der Steidl-Verlagswebsite gefunden.

Es ist zu vermuten, dass der Roman von einem goutiert wurde, den die meisten von uns nicht sofort mit Literatur in Verbindung bringen würden: Karl Lagerfeld. Denn das Buch ist im Verlagsimprint (quasi eine separate Verlagslinie innerhalb eines Verlags) L.S.D. erschienen: Lagerfeld. Steidl. Druckerei Verlag. Dort lieferte Lagerfeld die Bücher hin, die für ihn selbst herausragend waren. Und Lagerfeld liebte Bücher. Seine Bibliothek soll über 300.000 Bücher beinhaltet haben. In Paris führte er eine eigene Buchhandlung mit dem Namen 7L, in Hamburg schwor er auf Felix Jud. Unter dem L.S.D.-Imprint, was Lagerfeld immer mit einem aufreizenden Augenzucken als Abkürzung verwendete, lassen sich also Schätze entdecken, die qua Inhalt und Autor, nicht "schreien". Schreien der Wahrnehmung wegen, muss man leider auf dem derzeitigen und zu erwartenden Buchmarkt.

Lebensliebe transformierbar?

Es ist eine intelligent gewebte Story des vierzigjährigen Witwers César nebst Sohn, der seine Frau Paz an einen Unfalltod verlor und nun an diesem unersetzlichen Verlust leidet. So leidet, dass er aus dem Leben scheiden will. Verhindert wird dies ungewollt von seiner ihm unbekannten jungen Nachbarin Nana, die ihren Schlüssel verloren hat und genau dann bei César klingelt, als er sich mittels Medikament aus dem Leben wieder zu seiner Lebensliebe transferieren zu versucht.

Nun, sagen Sie, das sei ja eine klassische Story. Ja, sage ich, da haben Sie recht. Aber ich verweise auf den ersten Satz des dritten Absatzes: es ist eine intelligent gewebte Story. Denn, und das ist in diesem Roman besonders relevant, alles war schonmal da, alles schon mal irgendwie erzählt. Denn der Roman referenziert leise und immer wieder, aber niemals aufdringlich, auf die griechischen Mythologien und Sagen, die sowohl der Protagonist als auch der Autor lieben. Zu einer intelligent gewebten Story gehört auch, dass die zweite Protagonistin nicht gleich zu Anbeginn in die Handlung fällt. Und das tut sie auch nicht; nur bei der Rettung von César lässt der Autor sie kurz aufblitzen, um dann ersteinmal die Vergangenheit aufzuerzählen und César an den Ort des Unfalls zurückzusenden.

Die Liebe verloren, aber Erkenntnis gewonnen?

Die Handlungswelt ist zumeist auf Césars Gedankenwelt begrenzt und wird doch nicht mürbe in der Erschließung. Er reflexiert klarsichtig und von der Vergangenheit und der Vergänglichkeit verwaschen sein Leben und das Leben aller anderen. Wenn er am Strand ihrer Liebe entlanggeht und die Selbstoffenbahrungstattoos der Menschen mit Ungläubigkeit begutachtet. Wenn er versucht durch Reparatur gemeinsam geliebter Gegenstände eine Wiederanbahnung des Kontaktes zu der geliebten Person zu revitalisieren.

Was tut man, wenn man die Liebe des Lebens unwiederbringlich verloren hat? Wie reagiert man, wenn im Nebenzimmer die Liebe erblüht und man selber sich nur noch als vergorenes Treibgut des Lebens fühlt? Es ist die große Frage der Sinnfindung des Lebens nach einem schweren Schicksalsschlag die Ono-dit-Biot vor dem Hintergrund des Belesenseins durchdekliniert. Und bei aller notwendigen Traurigkeit, die dieser Erzählstoff bedarf, ist da auch immer diese leichte Sommerluft, die wie eine Hoffnung auf Besserung durch die Zeilen weht. Und mit Nana wird dann auch alles besser, das Leben erhält wieder innere Kontur, eine Spürbarkeit, die Menschen nach Schicksalsschlägen verloren geht. Sie fühlen sich innerlich leer, dunkel, ohne eine haltgebende Struktur.

Austarierter Eros

Und das soll ich im Sommerurlaub lesen, fragen Sie. Tja, sage ich. Wenn Sie Thriller lesen, lassen Sie uns bitte nicht weiter diskutieren. Für alle anderen: Sich mit der Existenz und der Vergänglichkeit zu beschäftigen, tut wohl jedem gut, nachdem es erstmal wehgetan hat. Es kann helfen, Wertschätzung besser oder neu entdecken und zu leben, den Wert des unwiderbringlichen Moments zu schätzen und gute Literatur wie diese lässt neue Korridore der Betrachtung erst möglich werden. Vom Klang der Worte, Absätze und Seiten ganz abgesehen. Denn man sollte auch des Klangs wegen lesen. Der Melodie der Worte, der metaphysischen Intention des Schreibenden. Und dies klingt bei Ono-dit-Biot musisch-leicht und doch gewichtig-relevant. Übrigens, für alle Sagen-lesenden: Dass die Nachbarin Nana ihren Schlüsselverlust als Grund zum Klingeln bei César hat, könnte man auch als Metapher auf Césars temporäre Unfähigkeit seine Gefühle zu erreichen, deuten. Denn ausgeschlossen hat Nana sich zwar tatsächlich, César aber viel weitreichender, denn er kommt zu Anbeginn der Geschichte nichtmal mehr an sich selbst heran.

Der Autor zeigt damit auch auf, dass die Menschlichkeit eben das ist, was die Individuen zu einer den Fortgang der Dinge aushaltenden Gemeinschaft macht. Ob der Wirt Luca oder die junge Nana. Und, auf Ihren Einwand hin, dass die „junge Erretterin“, die dann den an seinem Alter zweifelnden Helden rettet, doch auch ein wenig klischeebehaftet sei, sei gesagt, dass der Eros in dieser Geschichte genauso intelligent gelebt wird, wie die gesamte Handlung. Billig wirkt nur das, was billig ist. Doch das Leben, das Ono-dit-Biot hier wahrhaftig in Zeilen zu zeichnen vermag, lebt von einer realen Greifbarkeit, die nicht billig, sondern wertvoll ist. Wie jedes Leben. Und wie dieser Roman.

Christophe Ono-dit-Biot, geboren 1975, ist Schriftsteller und Redakteur bei der französischen Wochenzeitung Le Point. Bisher erschienen in Frankreich sechs Romane von ihm. Übersetzt in die deutsche Sprache wurden Die Tigerfrau (Blessing-Verlag, 2008) und der 2018 bei Steidl erschienene Roman Die griechische Freundin. Ono-dit-Biot lebt in Paris.

Die griechische Freundin. 232 Seiten. Steidl-Verlag, Göttingen 2018.
Preis: 20€
Übersetzung: Michael von Killisch-Horn
Titelbild: Stefan Espenhahn
Erschienen 2017 unter dem Titel Criore au merveilleux bei Gallimard, Paris.
steidl.de

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