Wir treffen uns bei eisigen Temparaturen und grauem Himmel in einem typischen Wiener Kaffeehaus. Der einzig mögliche Ort für ein Treffen mit dem Doyen der Dokumentation dieser Wiener Institution. Kaffee auf der letzten Silbe betont, bittschön. Sein Kaffeehausbildband, garniert mit seinen Künstlerinterviews geht weg wie warme Semmeln. In nur einem Monat, im Dezember 2017, wurde die komplette erste Auflage von 1500 Stück abgesetzt.
Herr Dreissinger, was ist Ihr Lieblingsgetränk im Kaffeehaus?
Sepp Dreissinger: Ein kleiner Brauner … also ein Espresso mit ein wenig Milch.
Den trinken Sie aber grade nicht?
Nein, das ist ein Verlängerter. Das ist ein Espresso verlängert mit Wasser. Ich hatte eine Notoperation letztes Jahr, seitdem trinke ich eher schwächeren Kaffee.
Zur Person
Sepp Dreissinger wurde 1946 in Feldkirch/Österreich geboren und studierte am Mozarteum in Salzburg Musik. 1976 begann er vorrangig neben Hausmeistern in Wien, Paris und Berlin auch Künstler zu portraitieren und erlangte über die Grenzen Österreichs Anerkennung für seine Fotokunst. Ebenso wurden seine Filme über Thomas Bernhard und Maria Lassnig bei der Diagonale & VIENNALE gezeigt und einen ersten Preis bekam Dreissinger für seine 35 Minuten-Künstlerportraits „artgenossen.“Als Fotograf lichtete er das who is who der österreichischen Künstlerszene ab: Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Friederike Mayröcker, Maria Lassnig und viele mehr. Jetzt legte er im Album Verlag seinen Bild-Interviewband IM KAFFEEHAUS vor: Im Kaffeehaus portraitierte Künstler nebst ausgewählten Interviews, die er selbst geführt hat. Sepp Dreissinger lebt und arbeitet in Wien.
www.seppdreissinger.at
In der Einleitung Ihres Buchs nennen Sie drei Lieblingskaffeehäuser, sitzen tun wir aber in keinem von denen.
Das Café Weimar hier in der Nähe der Volksoper wurde erst vor einem halben Jahr von einem neuen Pächter übernommen, und so ist es wieder empfehlenswert.
Welche Cafés gehen gar nicht, weil sie touristisch überrannt sind?
Das Café Central zum Beispiel, aber man ärgert sich nicht darüber, weil es gedanklich gar nicht vorhanden ist. Es ist unglaublich: Menschenschlangen japanischer Touristen, die auf Einlass warten, verrückt! Dieser Kaffeehausbesuch kann kein Vergnügen sein.
Haben Sie einen Geheimtipp, den Sie aber verraten?
Ja, es gibt solche Tipps, z.B. das Café Heumarkt im dritten Bezirk. Da ist alles noch wie vor 48 Jahren. Das Titelbild meines Kaffeehaus-Buches mit dem Schauspieler und Schriftsteller Joachim Meyerhoff ist auch dort entstanden.
Warum hat Ihr Buch so reißenden Absatz in Deutschland gefunden?
Das Wiener Kaffeehaus ist ein Sehnsuchtsort der Deutschen. Die kennen wahrscheinlich das gemütliche Sitzen mit einer Zeitung und einem Glas Wasser so nicht.
Wie kommen Sie in Kontakt mit den Künstlern, die Sie portraitieren und interviewen?
Ich habe irgendwann angefangen, Künstler zu portraitieren, weil das die Zeitungen gerne abdrucken und mit dem man, nebenbei bemerkt, auch ein wenig Geld verdienen kann. Ich fotografiere aber nur Künstler, deren Kunst ich schätze. Ich habe mir immer selber ausgesucht, wen ich ablichte. Der Durchbruch kam, nachdem meine ersten Thomas Bernhard-Fotos veröffentlicht wurden.
Wie viele Shots machen Sie von einem Motiv?
Das ist unterschiedlich. Manchmal nur ein paar Fotos oder auch einen ganzen Negativ-Film, manchmal noch analog, also 36 Bilder. Bis die richtige Stimmung aufgebaut ist zum lockeren Fotografieren, das kann in ganz kurzer Zeit passieren, dauert aber auch manchmal etwas länger.
Konnte Thomas Bernhard auch humorvoll sein?
Bernhard war immer ein begnadeter Unterhalter. Ich habe ein paarmal mit ihm im Café Bräunerhof gefrühstückt und das war immer ein Fest, immer eine wunderbare, unvergessliche Begegnung.
Wie haben Sie sich Thomas Bernhard genähert?
Das Kennenlernen war mühsam, weil er in seinem Vierkanthof selten anzutreffen war. Ich habe damals in Salzburg gelebt und bin zehnmal mindestens mit dem Auto umsonst nach Ohlsdorf bei Gmunden hingefahren. Irgendwann hatte ich aber Glück, klopfte an der Tür seines Bauernhofes, er macht die Tür einen Spalt auf und fragt „Wollen Sie einen Tee?“. Es entschied sich in Sekunden, ob er einen mochte oder nicht. Dass ihm meine Portraits gefielen, war „naturgemäß“, wie Bernhard sagen würde, ein Pluspunkt.
Wie kamen Sie auf die Idee, Ihr Kaffeehausbuch zu machen?
Die Idee ist schon relativ alt und entwickelte sich über Jahre. Zuerst habe ich eine Wanderausstellung meiner Kaffeehausbilder mit Künstlern in verschiedenen Kaffeehäusern in Wien gehabt. Dann haben mich die Wiener Kaffeesieder angesprochen, eine Kaffeehausausstellung bei ihrem berühmten Ball in der Hofburg mit aktuellen Fotos von Künstlern zu machen. Zu diesen gehört beispielsweise das Bild von Joachim Meyerhoff auf dem Buchtitel. Jetzt ist das Kaffeehaus-Buch sozusagen mein Lebenswerk geworden, weil Kaffeehäuser und Künstler zwei meiner großen Leidenschaften sind.
Was zeichnet Ihr Lieblingskaffeehaus aus?
Dass man korrekt und schnell bedient wird, der Ober aber nicht zu vertraulich und persönlich wird und der Kaffee sollte halbwegs trinkbar sein.
Das ist mir bereits aufgefallen. Der Kaffee steht nicht im Zentrum des Kaffeehauskultes und ist in Wien nicht immer grandios
Stimmt. André Heller sagte mir im Interview, er wisse nicht, wo das Gerücht herkommt, dass der Kaffee in Wien besonders gut sei. Böse Zungen sagen, an jeder italienischen Raststätte bekäme man besseren Kaffee als in Wiener Kaffeehäusern. Aber zur Ehrenrettung der Wiener Kaffeehäuser muss ich schon sagen, dass es auch Kaffeehäuser mit exquisitem Kaffee gibt.
Es geht also nicht um den Kaffee selber, sondern um die Institution, den Lebensraum des Kaffeehauses?
Es sind die Räumlichkeiten, das gemütliche Sitzen mit einer Zeitung. Man wird in Ruhe gelassen und kann sich zurückziehen oder sich treffen, denn anders als Zuhause kann man hier einfach aufstehen und gehen, wenn einem etwas nicht passt.
Wenn Sie keinen Kaffee trinken, was trinken Sie dann im Kaffeehaus?
Ich habe zuhause keine Kaffeemaschine, so muss ich in Gesellschaft meinen Kaffee öffentlich trinken, was ich natürlich gerne mache.
Was sagen Sie zur pinken Aida-Kaffeehauskette - ist das Kitsch?
Das stimmt, aber perfekt gemacht. Die ziehen das seit mindestens 50 Jahren durch.
Rümpft da keiner die Nase, wenn Sie zur Aida gehen?
Nein, das ist fast wie das Schloss Schönbrunn, eine Legende. Die Mehlspeisen werden allseits gelobt und der Kaffee ist ziemlich gut.
Wie geht man mit den Bedienungen um?
Dazu sagt Paulus Manker im Buch: „Man muss die Ober quälen, sonst werden sie übermütig.“ Das ist natürlich übertrieben, er hat es auch in Gegenwart eines Kellners gesagt mit einem Augenzwinkern. Er ist quasi der Klaus Kinski von Wien, man erwartet von ihm auch solche Sprüche.
Robert Menasse raucht gerne. Ist es ein Verlust, dass man bald hier nicht mehr rauchen darf?
Für mich schon, da ich selber Raucher bin. Gottseidank ist das Rauchverbot gerade wieder gekippt worden bis 2021 voraussichtlich. Österreich ist quasi eine Raucheroase in Europa. Übrigens sagt Wolf Wondratschek, das Kaffeehaus sei auch zum Rauchen erfunden worden, aber ich finde es eigentlich schlimmer, dass man die Mobiltelefone im Café nicht verbietet.
Wie finden Sie, wenn die Leute sich lautstark Videos gegenseitig im Café zeigen?
Das ist die Höchststrafe für einen Wiener Kaffeehausgeher. Diese Unhöflichkeit, diese Respektlosigkeit kann man aber nicht mehr rückgängig machen. Wenn die Kaffeehauschefs Mumm hätten, würden sie das verbieten.
Sprechen Sie Menschen an, die so stören?
Ich habe es versucht, es ist aber sinnlos. Es entsteht sofort eine schlechte Stimmung, das bringt nichts. Ich stehe einfach auf und gehe.
Flucht als einzige Lösung?
Ja. Früher hat der Chef im Café Sperl wortlos ein kleines Schildchen mit der Aufschrift „Bitte keine Handys“ auf den Tisch von telefonierenden Leuten gestellt. Das hat er aber aufgehört, denn inzwischen telefoniert jeder. Und wenn man die Leute anspricht, fühlen sie sich auch noch von mir belästigt. Meine Laune wird dann unterirdisch.
Ertragen Menschen Einsamkeit schlechter als früher?
Sie bemühen sich nicht mehr. Früher musste man sich anstrengen, sich anderweitig zu beschäftigen. Das Internet macht einfach faul und süchtig. Ich habe kein Handy, kein Facebook, keine App. Ich verweigere mich. Ich habe Festnetz und E-Mail, das muss reichen.
Wie ist es als Künstler, von der Kunst zu leben?
In Deutschland sind die Leute in den Medien im Umgang mit den Fotografen sehr korrekt und zahlen auch bessere Fotohonorare als in Österreich. Die Süddeutsche Zeitung hat mir für ihre Seite Drei einmal für ein großes Thomas Bernhard-Foto mehr Geld angeboten als ich verlangt hatte. Von der Fotografie alleine konnte ich nicht leben. Ich hatte ja einen so genannten bürgerlichen Beruf als Musiklehrer in einem Gymnasium und befinde mich sozusagen seit ein paar Jahren in der Pension, wie man das in Österreich nennt.
Die Menschen halten heute aufgrund vorhandener Technik ihren ganzen Alltag fest. Es bedeutet aber nicht, dass sie fotografieren können.
Dadurch wird die klassische analoge Fotografie umso wertvoller. Die Foto-Ikonen, die alten schwarz-weiß Fotos, behalten so ihren Stellenwert.
Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Ich mache nur Sachen, die mir Spaß machen und von Herzen kommen. Das klingt banal, ist aber die Wahrheit.
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