Deniz is back

Freiheit Deniz Yücel kommt nach Frankfurt und der Saal tobt – vor Ergriffenheit. Den Menschen wird bewusst, dass Freiheit durchaus diskutabel ist

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Deniz Yücel in Frankfurt
Deniz Yücel in Frankfurt

Foto: imago images / Hartenfelser

Es gibt einen wichtigen Unterschied zur ersten Buchpräsentation: jeder darf danach wieder gehen. Deniz Yücel startete seine aktuelle Lesereise in der JVA Berlin-Moabit. Er las vor Inhaftierten und Justizvollzugsbeamten. Inhaftiert, das war der bei Frankfurt am Main geborene Journalist Deniz Yücel auch. Knapp ein Jahr saß er ohne Prozess wegen des Vorwurfs der „Terrorpropaganda“ in einem Istanbuler Gefängnis – ohne realistische Aussicht, entlassen zu werden. Nun berichtet er in seinem neuen Buch „Agentterrorist“ über die Zeit, die sein Leben veränderte.

An diesem Abend ist vor dem Frankfurter Schauspiel etwas anders. Der weite, hell gepflasterte Platz ist dunkler als sonst. Die Menschentraube, die sich vor den Eingängen tummelt, wünscht sich sicher der ein oder andere Schauspieler insgeheim bei seinen Stücken. Doch die Zauberformel für ein volles Frankfurter Schauspiel hat hier jemand anders inne: Michel Friedman.

Mit seiner Gesprächsreihe setzte er einen Kult, die Tickets waren immer ausverkauft, Menschen warteten in Schlangen vor der Abendkasse. Und das ist auch an diesem Abend so. Ein Pärchen raunt sich zu: Woran erkennen wir denn die, die ein Ticket verkaufen wollen? Friedman polarisiert vor allem im Netz. In Frankfurt ist er der Theatermagnet. Im Mai 2018 endete die Gesprächsreihe mit standing ovations. Der damals in Frankfurt scheidende Intendant Oliver Reese nahm Friedman mit ans Berliner Ensemble, seitdem fehlt in Frankfurt ein Stück Kulturgut.

Diesmal mit im Saal: Deniz

An diesem Abend lädt das Frankfurter Literaturhaus ein: Friedman und Yücel wollen über dessen Erfahrungen während der Gefangenschaft sprechen. Für Yücel ist es eine indirekte Rückkehr: in diesem Saal wurde im Mai 2017 eine Matinee für ihn ausgerichtet, seine Texte gelesen, für ihn gesungen.

Da kommt er auf die Bühne, so wie man ihn von den #freeDeniz-Plakaten kennt. Mit leicht verstohlenem Blick setzt er sich neben Friedman, der erstaunlich ruhig ist und das Buch nur kurz als „Erlebnisbuch“ einleitet und dann umgehend ehrfürchtig Yücel das Wort übergibt. Und so wird aus dem Gespräch weitestgehend ein Monolog, der damit beginnt, dass er dem Publikum das Du anbietet. Er sei inzwischen für alle nur noch "Deniz" - die Rührung steht ihm ins Gesicht geschrieben.

Hi, Deniz!

Deniz liest aus seinem Buch einen „Knastbericht“ vor: Papier und Stift: verboten. Rauchen: Verboten. Das Rauchverbot sei nicht das schlimme gewesen, Nikotinpflaster seien leicht zu schmuggeln gewesen, bekennt Deniz lachend. Aber nicht schreiben zu können: eine Katastrophe. So schreibt er zu Beginn mit einer Plastikgabel und der roten Sauce des Konservenessens. Dem Essen, das er sich zwischen den Heizungsrohren erwärmte. Dabei wäre gar nicht das Essen an sich schlimm gewesen, sondern dessen Gestank.

Ein anderes Timbre

Deniz hat Durst, er trinkt, verschüttet Wasser und wischt es umständlich auf („hat jemand eine Serviette?“). Im Saal wird viel gehustet, Handies klingeln. Friedman erinnert freundlich genervt, die Telefone leise zu stellen.

Man sieht Deniz an, man spürt an seinem Timbre, da ist etwas anders. Der Mensch da auf der etwas zu hell ausgeleuchteten Bühne ist nicht mehr im Auslieferungszustand.

Am 26.02.2017 erschien in der Welt am Sonntag Deniz´ erster Bericht aus der Haft. Möglich machte dies eine Ausgabe von Der kleine Prinz. Denn anders als in dem Roman, der ihm vorher zum Lesen von den Beamten geschenkt wurde, hatte diese Ausgabe viele weiße Freiflächen um die Zeichnungen herum. Zusammen mit einem bei einer ärztlichen Untersuchung geklauten Kugelschreiber, fing Deniz an, seine Erlebnisse zu dokumentieren.

Das Buch wanderte dann mit der Schmutzwäsche aus dem Gefängnis. Beschreiben, festhalten, dokumentieren. Das lässt Deniz durchhalten. Er kartographiert sein Leben, er bleibt Journalist. Seine Kollegen im WELT-Newsroom bauen seine Zelle auf einem Plakat nach. So wenig Platz war ihm geblieben.

Ohne Klopapier

Vier Klogänge am Tag, wenn der Wärter wohlgesonnen war, auch mehr. Klopapier gibt es allerdings keins. Die Duschen sind katastrophal.
Das sei kein Hotel, sagen die Wachen, wenn Deniz sich beschwert.
Achne, ich dachte schon, erwiderte er, und muss dabei nun bitter-herzlich lachen.

Deniz redet sich in eine ruhige Form der Rage. Sein Hass auf Erdogan ist spürbar, der "hauptberuflich Gangster" sei. Diktaturen alten Stils hätten ausgedient. Die moderne Form dieser autoritären Staaten sei die „Nichtsodemokratie“. Sie brauche eine permanente Feinderklärung, nichts fürchte diese Form der scheinbaren Demokratie so sehr wie die Friedhofsruhe. Denn Wahlen müssten, irgendwie, immer noch gewonnen werden. Und das klappe am besten mit dem Hass nach extern.

Angst vor Vergessen

Die Bundesregierung hat laut Deniz die Auffassung, dass die #freedeniz-Bewegung vielleicht seine Inhaftierung verlängert hat. Das sei es ihm aber wert gewesen, denn diese Welle der Zuneigung habe seine größte Angst in Schach gehalten: vergessen zu werden. Dies sei übrigens die Sorge der meisten Inhaftierten. Einfach aus dem Gedächtnis der Menschen zu verschwinden. Daher sollte man die unzähligen noch inhaftierten Menschen nicht vergessen, mahnt Friedman mit dunklem Blick.

Vergessen wird Deniz diesen Abend im Frankfurter Schauspiel, der nach einer Zigarettenpause sehr lange Bücher im Foyer signiert, sicher nicht.
Der gesamte Saal erweist ihm mehrere Minuten stehende Ovationen. Für ein Drama, dass sein Leben veränderte: Das Überleben in den Fängen einer Nichtsodemokratie.

Deniz Yücel: Agentterrorist - Eine Geschichte über Freiheit und Freundschaft, Demokratie und Nichtsodemokratie, KiWi Köln 2019, 22€

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