Ein Konservativer am Ende

Scheidung Jan Fleischhauer hatte Glück – er endete nicht in der Gosse. Dennoch hat den konservativen Spiegel-Journalisten seine Scheidung fast vernichtet

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Jan Fleischhauer
Jan Fleischhauer

Foto: imago/Metodi Popow

„Man muss nicht jede Gosse kennen, aber es hilft zu wissen, wie sie aussieht“, sagte Thomas Fischer 2015. Der inzwischen Ex-BGH-Richter hat in seiner Zeit in der Prärie der Jurisprudenz über viele Arten von Gewalt geurteilt. Jeder denkt an Körperverletzung, an physische Vorgänge. Doch wenn psychische Gewalt mal nur an einem Tag sichtbar würde, als wenn Wind einen Tag lang Farbe bekäme, in Scheidungshaushalten und Sozialgerichten wäre ein Kaleidoskop von Farben zu sehen; oft blutrot, dicht, in jede Ritze menschlichen Handelns sickernd.

Wenn konservative, qua Ausrichtung seriöse Männer, solch Schiffbruch erleiden, ist die Wortflucht mit schwarzem Humor die leichteste. Aber sie ist Quatsch, sie ist über die Maßen falsch. Sie vermeidet innere Aufrichtigkeit! Jan Fleischhauer ist derbe auf die zwischenmenschliche Fresse geklatscht, wäre und ist zeitweise daran zerbrochen. Kein Witz, kein Augenzwinkern; kein Tremolo, da sprachlos.

Rettet ihn die Wissenschaft?

Er versucht den Weg der Erleuchtung mittels Quellensammlung. Zu allen möglichen korrespondierenden Themen sammelt er bergeweise Studien, Essays, Schriften. Fleischhauer braucht Zahlen, Daten, Fakten. Verstehen durch Vergleichbarkeit. Wie konnte sie nur, in 90% der Fälle ist aber…usw. Seine essayistischen Tendenzen lockern die Klageblöcke auf, lassen aber erahnen, dass die Auslebung der Gefühle technokratisch ablief. War der Verlassene schon immer ein Eremit in seiner Ehe? Verhungerte seine Frau emotional an ihm?

Fast 200 Seiten Scheitern, welches in konservativer Welt schlimmer ist, als spurlos zu verschwinden. Es ist der Verlust des Fundaments gesellschaftlicher Integrität. Das ganze kommt als deklarierter Roman daher. Dabei ist es genau so wenig fiktional wie Michel Friedmans Kaddisch vor Morgengrauen. Viel zu tief die Furchen der vernarbten Wunden, als das die Zeilen nicht voll von Authentizität durch eigenes Erleben sind.

Männer seien Aussitzer, sagte Fleischhauer im Interview mit der Welt am Sonntag. Er hatte es sich in der Ehe bequem, beliebig gemacht. Bekam nichts mit. Da ist das Problem. Aussitzen hilft nicht, es ist Katalysator. Und die Frau zieht die Reissleine, trotz Kindern, trotz Verschuldung. Denn Fleischhauer hatte zur Absicherung des Zusammenlebens, welches nie reibungslos war und nie harmonisch zugewandt wirkte, sondern eher nach ‚das hat man so‘, eine Immobilie in Berlin-Cherlottenburg gekauft. So fester der Stein, so loser die Beziehung. Die Transferierung von Festigkeit zwischen Menschen in Betongold ist grotesk. Meist lastet Stein schwerer als Liebe stützt, überhaupt stützen kann.

So fester der Stein, desto loser die Beziehung

Warum halten die Leute den letzten Abschnitt nicht durch?, fragt Fleischhauer. Ja, da liegt es wieder, das Problem. Menschen, die in Phasen denken, wie Projektplaner in Betriebsprozessen. Aber Leben, gelebtes Leben, ist kein Betrieb, nur selten Prozess. Der schweizerische Autor Rolf Dobelli würde laut lachen: ist es doch ein erwiesener Denkfehler, zu meinen, nur weil man extrem viel Zeit in etwas investiert hat, sei es deshalb nicht abzubrechen, nicht abbrechbar.

Vermag auch Hesse von Stufen zu sprechen, meinte er nicht die behaviorale Einbahnstrasse, die Zwangsemporsteigung in vorbestimmte Ereignislosigkeit. Die Antwort bist du selbst, so der Name eines Briefband Hesses. Diese zu finden, empfinden zu können, ist vielen ihr ganzes Leben nicht möglich. Fleischhauers Ex lernte es. Sie wollte keinen Tag mehr mit ihm zusammen sein. Full-Stop.

Natürlich ist der neue, jüngere Freund ein Lauch, empfindet zumindest der Gehörnte, und auch menschlich wird es dreckig. Wenn du Türen bei einer Trennung hinter dir zuziehst, bleiben sie zu, merkt Fleischhauer matt an. Er lässt Wohnung, Keramikmesser und Wohlstand hinter sich, verliert den Konkon der Beständigkeit und: ist pleite. Muss sich Geld pumpen. Am Ende, nicht weit weg von der Gosse. Er wird mittelschwer depressiv und Experte in Psychopharmaka. Doch auch da bleibt er Ästhet; er sucht sich seinen Psychiater nach der Praxisausstattung aus. Züge seines Ehemann-seins, mehr aussen als innen zu spüren. Mehr Hülle, statt inneres Objekt empfinden.

Sind die Männer je ein Ganzes?

Eine Panikattacke lässt ihn am Flughafen Schönefeld im Gate durch die Hölle gehen, seine Funktionsfähigkeit rast gen Keller. In Tränen ausbrechend sitzt er bei seiner Ressortleiterin, seine Resilienz ist so schwach wie ein Fötus ohne Mutterleib. Ein Mensch verliert ob des Scheiterns seiner Ehe seine gesamte Einbindung in die Welt. Liegt darin der Fehler? Geschehen deshalb Morde durch verlassene Männer an ihren Ex-Frauen mit neuer Familie? Waren diese Männer nie ein Ganzes in sich, und lehnten sich so sehr auf ein Konstrukt, was des Tragens dieser Last nie mächtig war? Paartherapeuten nicken jetzt.

Fleischhauer schreibt ohne Pathos, ohne erhobenen Zeigefinger, ohne schwarzen Humor. Fleischhauer schreibt nackt. Das macht den Text so wahrhaftig. Denn aus dem ehemals gelackten Konservativen ist ein zumindest großteils geläuterter Mensch geworden. Wer auf Youtube den Autor zwischen 2009 und 2017 vergleicht, merkt, hier hat jemand eine Reise zu sich selbst begonnen; eine Reise, die vorher nie angetreten worden war.

Aus der Retrospektive heraus ist alles leichter. Nach Onlinedating und dem zweiten Frühling mit ergrauter Tolle, ist Fleischhauer wieder verheiratet, wieder Vater. Aber sicher um einiges reicher an Wissen, dass eine Beziehung nicht die Beziehung zu sich selbst ersetzt.

Jan Fleischhauer: Alles ist besser als noch ein Tag mit dir ist erschienen im Knaus Verlag/ Random House

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