„Frauen sind letztlich zu feige“

Interview Jan Fleischhauer arbeitet als Kolumnist immer hart an der Erregungskurve. Mit seinem Buch „How dare you!“ schwappt diese nun durch die Buchläden

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„Ich glaube doch nicht, dass ich das besser kann, als Frau Merkel“
„Ich glaube doch nicht, dass ich das besser kann, als Frau Merkel“

Foto: Müller-Stauffenberg/Imago Images

Jan C. Behmann: Herr Fleischhauer, wer hält Sie alles für einen schlechten Menschen?

Jan Fleischhauer: Da gibt es sicher einige. „Schlechter Mensch“ ist fast eine religiöse Kategorie. Ich denke eher, Menschen halten mich für bösartig, verdorben – vielleicht ein Arschloch? Ich profitiere wahnsinnig davon, dass man in der Regel schlecht über andere Menschen hinter ihrem Rücken spricht. Mich erreicht das dann meistens gar nicht direkt.

Ist denn Arschloch sein ein Geschäftsmodell beim Schreiben einer Kolumne?

Ich glaube, wenn man ein guter Kolumnist sein will, darf man nicht anstreben, dass einen alle mögen. Das wäre eine schlechte Voraussetzung. Zu einem guten Kolumnisten gehört schon eine gewisse Boshaftigkeit, ein kalter Blick auf die Wirklichkeit. Auch, dass man Menschen weh tut. Damit schafft man sich jedenfalls keine Sympathie. Zu einem guten Kolumnisten gehört Originalität – an erster Stelle. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, originell zu sein. Entweder in der Themenwahl oder in der Sprache. Es bedeutet, sich im Zweifel vom Mainstream wegzubewegen.

Ist das ein Hang zum Sadismus?

Nein. Sie meinen, dass man andere tunkt, weil man daran ein Vergnügen empfindet? Ich weiß nicht.

Man könnte Ihnen manchmal eine Lustkomponente attestieren.

Nein, das würde bedeuten, dass ich in der Herabsetzung Anderer besonderen Lustgewinn empfinde. Ein Sadist hat eine merkwürdig emotionale Beziehung zu den Objekten, die er besetzt. Das habe ich nicht. Ich habe keine besondere Beziehung zu Heiko Maas oder zu Luisa Neubauer, über die ich mich lustig mache. Hohn und Spott sind nicht wirklich sadistische Stilformen.

Aber kann es nicht auch einfach andere verletzen, wenn man sie verspottet?

Spott verletzt, da mache ich mir gar keine Illusionen. Besonders empfindlich sind nach meiner Beobachtung vor allem Sozialdemokraten. Das finde ich lustig, da sind die meisten Heulsusen und Mimosen. Sigmar Gabriel, den ich wirklich als Typ mochte, weil er eben das war: ein Typ. Davon hat die SPD nicht mehr so viele. Der war wahnsinnig empfindlich, ein böser Satz im Spiegel zu seinen Zeiten als Außenminister und er hat erstmal keinen mehr mit auf Auslandsreisen genommen. Ich habe mich einmal über die Biographie von Frank-Walter Steinmeier mokiert, weil jemand, der immer über Akten sein Arbeitsleben verbracht hat, eigentlich nicht so viel für ein ganzes Buch hergibt. Die Kolumne fiel dann in die Woche des Spiegel-Sommerfests, an dem er dann nicht teilnahm.

Jan Fleischhauer, der gelebte Absagegrund. Zitat aus Ihrer aktuellen Kolumne: „Jüngere Frauen verfügen bekanntlich über deutlich höhere Bildungsabschlüsse als Männer. Warum das sogenannte generische Maskulinum schuld daran sein soll, wenn sie den Karrierepfad verlassen und sich ins Familienleben verabschieden, will mir nicht recht einleuchten.“ Warum kausalieren Sie zwei Dinge, die gar nichts miteinander zu tun haben? Weil der Bildungsabschluss hat doch nichts mit den weiteren Einsatzmöglichkeiten von werdenden und gewordenen Müttern zu tun. Sondern eher schlechtere, ungleiche Bezahlung, unfaire Teilzeitbedingungen oder Mobbing innerhalb der Firma.

Doch, klar. Die Behauptung ist doch folgende: Das generische Maskulinum heißt, dass wir sagen „der Student“, und die Studentinnen sich nicht mit angesprochen fühlen. Und weil das so ist, dass unsere Sprache das generische Maskulinum kennt, das deswegen bestimmte gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, gerade in der Geschlechterfrage bestehen, das ist die Theorie. Zum Beispiel die Ungerechtigkeit, dass mehr Männer in Vorstandsetagen sind als Frauen. Da wird immer durchgezählt, wie viele Frauen auf Vorstandsetagen der Dax-Konzerne sitzen. Das sind in der Tat relativ wenige Frauen. Ich glaube nicht daran, dass das Sprechen daran schuld ist, dass Frauen irgendwann den Karrierepfad verlassen und ins Familienleben abbiegen. Wie gesagt, sie haben die besseren Voraussetzungen und könnten eigentlich morgen alle in die Vorstandsetagen einziehen. Es muss also einen anderen Grund geben, der sie dazu bringt, irgendwann mit 30, 35 ihre Karriereerwartung zu unterlaufen.

Das habe ich eben genannt, zum Beispiel die ungleiche Bezahlung.

Nö, also, das ist im DAX-Konzern totaler Quatsch. Ich weiß nicht wo Sie leben, aber meine Frau...

Zu Ihrer Frau kommen wir gleich.

Jedenfalls, da ist überhaupt kein Unterschied zwischen Frauen und Männern in der Bezahlung.

„Frauen erleiden Karrierenachteile, das stimmt“

Und dass Frauen, wenn Sie in Teilzeit zurückkehren, trotzdem Anforderungen haben, wie in Vollzeit zu funktionieren?

Das ist ein ganz anderes Thema. Dann, wenn sie dem Arbeitgeber das signalisieren, dass sie nur noch mit einem Teil ihrer Arbeitskraft zur Verfügung stehen, daraus Karrierenachteile erleiden, das ist so. Die Diskussion, ob das noch modern ist, ob man da nicht Abhilfe schaffen sollte, hat alles nichts mit dem Sprechen zu tun. Sondern die haben irgendwann eine Lebensentscheidung getroffen, dass sie sagen, sie steigen aus ihrem Beruf ein bis zwei Jahre aus und arbeiten, wenn sie zurückkommen, nur noch 20 Prozent. Das hat dann gravierende Folgen, die sie auch möglicherweise gemeinsam beklagen können. Aber dennoch hat das nichts damit zu tun, ob wir über die Frauen als Kollegen oder Kolleginnen reden.

Aber wo ist das Problem, zu sagen, Kolleginnen und Kollegen?

Das ist gar kein Problem. Bei Ansprachen kann man das machen, aber wir gehen ja weit darüber hinaus. Das habe ich auch in meiner Kolumne beschrieben. Ich sehe das ein, dass man sagt, „Liebe Polizisten und liebe Polizistinnen“, aber wie gesagt, wir reden nicht von Studenten und Studentinnen, sondern wir sollen von „Studierenden“ reden. Wir sind bereit, grammatikalischen Quatsch mit einzubauen, weil das Studieren ist eine Beschreibung eines aktiven Zustands. Man erkennt schon, wie dummerhaft das ist, wenn man sagt „der vom Baum erschlagene Studierende.“ Er kann gar kein Studierender mehr sein, weil er gerade vom Baum erschlagen wurde?

Ist das nicht ein Festhalten an tradierten Werten oder Formulierungen, wobei man sich immer auf dem Zenit einer gesellschaftlichen Entwicklung fühlt und erst in der Rückschau merkt, dass es gar nicht der Zenit gewesen war? Werden wir also auch auf diese Gendersprache viel reflektierter zurückschauen und werden sagen, es war der Stein des Anstoßes und es war die Gewöhnung, die es uns so hat hadern lassen?

Werden wir sehen. Ich glaube an die Beharrungskräfte der Gesellschaft. Ich glaube nicht, dass die Supermarkt-Verkäuferin oder der Gabelstaplerfahrer in absehbarer Zeit mit Genderstern sprechen werden. Erstens würde das bedeuten, dass hunderttausend Jahre Sprachentwicklung innerhalb von wenigen Jahren umgedreht wird. Der Mensch neigt dazu, den kürzesten Weg beim Sprechen zu gehen und nicht verkompliziert zu reden. Es kann sein, dass wir eine neue Entwicklungsstufe erreicht haben. Wir müssten in unsere Sprache den Genderstern mit einbauen und eine Pause einlegen, also einen Schluckauf mit einbauen. Also das halten Sie mal durch. Gut, kann sein, dass wir eine neue Bewusstseinsstufe erreicht haben.

Der Deutschlandfunk macht es. Aber Sie attestieren dem Deutschlandfunk eine gewisse Abspaltung als einzelne Gruppe.

Nein, ich glaube, dass das durchsetzbar ist, in geschlossenen Abteilungen. In Gefängnissen, Behörden, Psychiatrien und anderen. Der Deutschlandfunk gehört als Schnittmenge da hinzu. Aber nicht in der allgemeinen Bevölkerung, das glaube ich nicht. Und das Zweite: In Umfragen gibt es eine wahnsinnige Aversion gegen Gendersprache. Warum? Sie erkennen es als Sprache der Elite, die im Grunde sagt, „ihr seid zu blöd da unten.“ In der von Ihnen zitierten Kolumne vergleiche ich das mit dem früheren französischen Zarenhof, der sich diese Sprache gewählt hatte, um sich komplett abzuheben. Und genau das passiert auch mit der Gendersprache.

Zur Person

Jan Fleischhauer, 58, war dreißig Jahre Journalist beim Spiegel. Seit 2009 war er im Wechsel, u.a. mit Jakob Augstein, als Kolumnist mit seinem „Schwarzen Kanal“ tätig. 2019 wechselte er mit seinen Kolumnen zum Focus und publiziert crossmedial. Fleischhauer lebt in Pullach bei München

Heute spricht auch eine breite Masse eine weitere Fremdsprache, also könnte man auch argumentieren, seit der Zarenzeit haben wir uns weiterentwickelt und die Wissenszugänglichkeit hat sich auf die breitere Masse heruntergebrochen.

Nein. Die ganze Gendersprache geht zurück auf eine etwas obskure Theorie an einer amerikanischen Hochschule, vorgetragen von einer Philosophin namens Judith Butler. Das ist das theoretische Konstrukt dahinter. Das ist eine reine Annahme. Das ist so ein bisschen wie Homöopathie. Durch die Wiederholung wird die Wirkung verstärkt. Ich glaube nicht dran.

Kommen wir ganz kurz zu Ihrer Frau. Was ist das Erfolgsgeheimnis Ihrer Frau, dass sie eben nicht vom Karrierepfad abgewichen ist?

Ganz einfach: Sie hat einen Mann, der sie zu Hause unterstützt, bei allem. Der morgens brav die Kinder in die Kita bringt und sie abends wieder abholt.

Weil das aber sicherlich an ihren relativ legeren Arbeitsplatzbedingungen liegt?

Was heißt leger? Sie können als alter Corona-Leugner und in Zeiten der Corona Maßnahmen natürlich das Homeoffice verteufeln.

Es gab eine Zeit vor Corona.

Ich glaube, diese Auslagerung auf staatliche Programme, was Geschlechtergerechtigkeit angeht, ist die Feigheit, in der eigenen Beziehung rechtzeitig für Klarheit zu sorgen. Und bevor man sich Kinder zulegt, darüber nachzudenken, wer bleibt zu Hause und an wem bleibt was hängen? Deswegen kommt das nachträglich, weil letztlich Frauen zu feige sind, mit ihrem Lebenspartner und Ehemann zu einer auskömmlichen Lösung zu kommen, die sie als gerecht empfinden. Anschließend rufen sie dann den Staat an und verlangen Quoten oder Programme, die das heilen sollen. Da würde ich sagen: „Mädels, redet rechtzeitig mit eurem Kerl darüber.“

Aber das würde insinuieren, dass der klassische konservative Mann immer noch den Hang zum Paschatum hat.

Nein, wieso? Wieso habe ich einen Hang zum Paschatum?

„Frauen nutzen die Gelegenheit, aus dem Erwerbsleben auszusteigen“

Nein, nicht Sie. Der klassisch denkende Mann. Wenn Sie sagen, die meisten Paare regeln das nicht vorher und der Mann scheint zu erwarten ...

Nein! Die Frau ist doch wohl in der Lage, sich das vorher mit ihrem Kerl zu überlegen. Gut, die Wahrheit ist doch folgende: Frauen nutzen die Gelegenheit, um aus dem Erwerbsleben auszusteigen. Das ist doch wie eine Verlockung. Zu sagen: „Och, ein Jahr bleibe ich jetzt zu Hause und kümmere mich mal um das Kind.“ Ich kann das auch verstehen, arbeiten ist nicht immer die reine Freude. Viele arbeiten, weil sie das Geld brauchen. Und da der Staat sehr viel dafür tut, dass der Verdienstausfall gemildert wird, unter anderem mit diesem famosen Elterngeld, bietet das vor allen Dingen Frauen die Möglichkeit, auszusteigen. Das hat die eigentlichen Konsequenzen, deren Tragweite sie möglicherweise zu spät realisieren.

Würden Sie sagen, dass für jemanden, der konservativ eingestellt ist, der jeweilige Partner nicht nur wegen der Liebe da ist, sondern auch zur Berechtigung und zur Integration in die Gesellschaft?

Diese Frage ist zu kompliziert für mich.

Wir brechen es runter. Lieben Sie Ihre Frau, oder ist sie ein lebensberechtigendes Konstrukt zur Integration in die jeweilige Gesellschaftsschicht? Oder bedingt sich das?

Ich habe es immer noch nicht verstanden. Ob ich meine Frau liebe?

Wenn man es abstrakt betrachtet, ist es jetzt eine reine Liebe? Oder ist das Führen einer normativ als richtig geltenden Partnerschaft auch eine Berechtigung in der Gesellschaft? Zum Beispiel im Reihenhaus in Pullach entsprechend integriert angesehen zu werden?

Ach so. Ich weiß nicht, was meine Nachbarn in Pullach über mich denken. Die wissen gar nicht, was ich tue. Das sind Erwägungen, die habe ich bei niemandem angestellt. Ich bin deswegen nach Pullach gezogen, weil ich mir die Münchner Innenstadt nicht mehr leisten konnte.

Sie haben über das Scheitern Ihrer ersten Ehe ein Buch geschrieben. Was würde es für Sie bedeuten, wenn die zweite Ehe auch scheiterte? Würde es da Richtung Schuldeingeständnisse gehen, dass man es wieder nicht geschafft hat, in einer Beziehung zu sein?

Naja gut, ich habe über das Scheitern meiner ersten Ehe ein Buch geschrieben. Dort steht drin, dass ich die Schuld auf mich nehme. Das hat ja den Titel Alles besser als ein noch ein Tag mit dir. Das war der Satz, mit dem sich meine erste Frau von mir verabschiedet hat.

„Ich finde nicht, dass ich mein Programm durchziehe“

Das war beim Therapeuten mit den Ringelsocken.

Die ist dann mit einem durchgebrannt. Ich habe immer darauf gesetzt, dass die Beziehung zu dem Mann, für den sie mich verlassen hat, der 14 Jahre jünger ist, nicht lange hält. Aber die sind, glaube ich, nach acht oder zehn Jahre immer noch zusammen. Diese Genugtuung hat sie mir im Nachhinein nicht bereitet. Um Gottes Willen, wollen wir nicht über meine zweite Ehe reden? Ich bin meiner zweiten Frau nachgezogen. Ich bin nicht freiwillig nach München gegangen, sondern weil sie in München verankert ist. Also habe ich die Zelte abgebrochen. Jetzt haben wir noch zwei Kinder, ich bin also für sie in den Vorort gezogen. Das ist auch nicht das, was ich sonst gemacht hätte. Ich finde nicht, dass ich rein mein Programm durchziehe.

Herr Fleischhauer, was ist konservativ für Sie?

Ich bin wahnsinnig schlecht im Bekenntnis für eine Sache. Ich arbeite mich eher an dem, was mir nicht gefällt, ab. Es reicht mir schon, nicht links zu sein. Ich bin dezidiert nicht links.

Also nicht wie ihre Mutter.

Ach, meine arme Mutter. Lassen Sie die doch aus dem Spiel! Das ist eine ganz andere Art von links sein, damit habe ich mich mittlerweile total versöhnt. Wenn die Linken heute so wären wie meine Mutter, ginge es ihnen erstens besser. Als meine Mutter in die SPD eingetreten ist, haben die den Bundeskanzler gestellt und hatten über 40 Prozent. Heute sind sie bei 14 Prozent. So eine freudlose Truppe, wo keiner mehr dabei sein möchte. Wir haben über das Genderprogramm gesprochen, und wenn die glauben, dass dies Thema Deutschland jetzt in die Zukunft führt? Ja gut, dann ist man halt auch in der Größe des Uniseminars angekommen, was die Mitgliederzahlen angeht. Gehen Sie mal nach Dortmund und Düsseldorf, in die „Herzkammer“ der „echten“ SPD. Genderpolitik ist das letzte, was die Leute dort von der SPD erwarten. Mit den 68ern habe ich allerdings meinen Frieden geschlossen.

„Fritz Teufel hätte sich nicht unterm WG-Tisch verkrochen!“

Ist das Altersmilde, die da jetzt greift?

Nein. Kann man sich vorstellen, dass Fritz Teufel eine Einladung zum Podiumsgespräch bekommt und sich die Liste der Teilnehmer anguckt und sagt „Oh nein, oh nein, da sind ja so viele Rechte, da bleibe ich lieber hier zu Hause. Ich will kein rechtes Denken normalisieren.“ Und sich unter seinem WG-Tisch verkriecht? Nein, kann man sich nicht vorstellen. Erst recht wäre er losgegangen, um mal eine Diskussion aufzumischen. Ich meine, diese ganzen Linken heute, die, wenn da einer sitzt, vor dem sie Angst haben, sich unter Mutters Rock verkriechen.

Was grenzt konservativ zu rechts ab? Oder kann es Schnittmengen haben?

Ja, da gibt es auch Schnittmengen. Die Frage ist, was ist links und was ist rechts? Da halte ich mich an Armin Nassehi, mit dem ich in meinem Buch ein langes Gespräch über dieses Thema, rechtes und linkes Denken, geführt habe. Linkes Denken, würde der Nassehi sagen, bedeutet, dass man davon ausgeht, dass die Gesellschaft ein weißes Blatt Papier ist, in dem wir jetzt gewissermaßen die neue Gesellschaftsordnung einzeichnen können. Das abstrahiert von beispielsweises hundert Jahren Menschheitsgeschichte und was wir auch mit Atavismen damit rumschleppen. Unter anderem gewisse Prädispositionen im Stammhirn und so weiter. Wie wir auf die Welt gucken, Funktion von Vorurteilen etc. Der Rechte wiederum betont sehr stark das nicht Hintergehbare von zum Beispiel Herkunft, Biologie, Geschlecht und anderem mehr. Und würde sagen, das sind natürliche Grenzen, dass es diese gibt und dass es auch gut so ist, dass es sie gibt. Er sagt, dass der Mensch letztlich ein Gruppentier ist, dass sich auch stark durch die Abgrenzung von der anderen Gruppe definiert. Zwischen diesen beiden Polen bewegt es sich gewissermaßen.

Sie schreiben in Ihren Kolumnen über alles, was tagesaktuell ist und was Sie beschäftigt oder was Sie nicht leiden und an was Sie sich abarbeiten möchten. Sie schreiben auch über Richard David Precht und sprechen ihm eine Inkompetenz der Beurteilungsfähigkeit von Themen außerhalb seines originären Themenkomplexes ab.

Nein, habe ich nicht gemacht.

Halte ich dagegen. Nehmen wir es mal als These. Sie sprechen Richard David Precht eine Rundum-Kompetenz ab. Wie hält es sich für einen Kolumnisten, der schlussendlich auch keine Kompetenz haben kann? Auch unabhängig von Richard David Precht, es gibt keinen Menschen, lassen wir Leibniz außen vor, der alles beurteilen und kontextual richtig deuten kann.

Nein, beim Herrn Precht habe ich mich darüber gewundert, dass er mittlerweile als Experte für alles angesehen wird, inklusive der Kindererziehung. Ich würde das niemals sagen. Zeigen Sie mir mal die Kolumne, in der ich festschreibe, wie man die Kinder am besten zu erziehen hat. Oder in der ich schreibe, wie Frau Merkel eigentlich das Land regieren sollte und warum ich. Das ist mir komplett fremd. Dieses sich in die Brust legen und anderen sagen, wo es lang geht. Das unterscheidet uns ganz grundsätzlich. Wie er immer schon so bedeutungsvoll guckt. Also bedeutet, wie eigentlich regiert werden müsste. Mein Ansatz ist da ein komplett anderer.

Wie ist Ihr Ansatz?

Diese ganze Hybris ist mir total fremd. Ich glaube doch nicht, dass ich das besser kann, als Frau Merkel. Überhaupt diese Verwechslung der Tätigkeit. Ganze Generationen von Chefredakteuren reden mittlerweile schon so, als ob sie morgen im Kanzleramt oder im Schloss Bellevue einziehen könnten. Nein, der Journalist ist der Geist der Skeptiker, der Kritiker. Deswegen ist er in der Regel auch so unbeliebt, also wenn er das ernst nimmt. Das ist seit hundert Jahren so. Alle meine Stars in der Kolumnenbranche waren nicht besonders beliebt.

Wann wussten Sie: Ich bin Kolumnist?

Ich habe 2009 mein „Coming Out“ mit dem Buch Unter Linken gehabt. Und dann habe ich so ein, zwei Texte auf Spiegel Online aus dem Buch veröffentlicht. Im Online-Geschäft merken Sie sehr schnell, ob etwas funktioniert oder nicht. Und ich dachte, wow, da geht was! Und dann habe ich meine Chefredakteurin bei Spiegel Online darum gebeten, regelmäßig zu schreiben dürfen. Zu meinen Themen, die ich damals in Unter Linken bereits angerissen hatte. Und ich merkte wahnsinnige Zurückhaltung. Das war ihnen total unheimlich, mich mit dem Programm auf den Sender zu lassen. Ich habe denen vorgeschlagen, mich mit Andersdenkenden bei der Kolumne abzuwechseln. Das stieß auf Zustimmung. Ich habe Jakob Augstein angesprochen und er war Feuer und Flamme. Man merkte, es gab eine riesen Leserresonanz. Wir waren die Ersten, die überhaupt im Onlinejournalismus diese Art von Kolumne verankert haben. Vorher gab es eher Einzelkämpfer. Aber ein Spiel unter verschiedenen Geistern, das haben wir bei Spiegel Online vor zehn Jahren begonnen. Ich stellte fest, dass ich eine Nischenbegabung habe und habe dann das Maximale rausgeholt.

„Die Herausforderung ist, was zu schreiben, was noch keinem eingefallen ist“

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Neulich meinte eine Kollegin bei Radio Bremen während eines Gespräches on air, sie verstünde nicht, wie ich eine ganze Woche für meinen Focus-Beitrag bräuchte. Ich habe da nichts zugesagt. Es herrscht die Meinung, so eine Kolumne, das ginge ja schnell und man sei als Kolumnist überbezahlt. Ich habe einen Nachteil zum Kommentator: Man hat einen festen Tag in der Woche. Ein Beispiel: Ich habe meine Kolumne abgegeben und am Freitagnachmittag kursiert die Nachricht, Donald Trump habe Covid-19. Dann kann der Kommentator locker darauf reagieren. Bis zu meinem nächsten Mal vergehen aber sieben Tage. Die Herausforderung ist, dann etwas zu liefern, auf was noch keiner der schreibenden Kollegen gekommen ist.

Aber wie sieht das aus? Was lesen Sie zum Beispiel, wie viel lesen Sie davon? Was haben Sie abonniert?

Also gut, mein Tag beginnt mit der FAZ und der Süddeutschen.

In Print oder Digital?

Das lese ich im Print. Ich koche mir eine Tasse Tee und setze mich hin. Dann schaue ich online, was Bild macht. Dann nochmal die taz. Feindbeobachtung ist auch wichtig. Ich bin mehrere Stunden am Tag auf Twitter, aber gar nicht um selber zu kommentieren. Twitter ist deshalb ein interessantes Medium in Deutschland, weil 5 Prozent der Deutschen dort sind, aber 93 Prozent der Medienschaffenden. Dann sehe ich, weil ich im Erregungszustand bin, was überhaupt Erregung hervorruft. Man kriegt zum Teil auch Hinweise auf interessante Artikel. Man sieht wie eine Erregungskurve sich aufbaut. Dann habe ich noch eine Fernsehsendung, die muss auch noch betreut werden.

Wie gehen Sie mit Hass um? Werden Sie bedroht?

Ja, immer mal wieder. So verbal.

Also real, also dass jemand im Supermarkt...?

Nein, im Gegenteil. Das gilt auch glaube ich für die meisten Mitkolumnisten. Da gibt es zum Glück schon eine echte Hemmschwelle zwischen verbaler Bedrohung und realer Bedrohung. Die wüstesten Beschimpfungen gibt es auf Twitter. Facebook ist interessanterweise auch gar nicht mehr so, das war sehr krawallig am Anfang.

Was zeichnet eine schlechte Kolumne von Jan Fleischhauer aus?

Die Kolumnen sind dann schlecht, wenn sie schlecht altern. Diese Kolumnen, die ich in dem Buch zum Teil drin habe, umfassen die Zeitspanne von Juli 2012 bis Juli 2020. Ich weiß nicht, wie es Ihnen gegangen ist, aber meine Lektorin konnte nicht richtig zuordnen, wann die geschrieben worden sind.

Das ging mir auch so. Ich hätte es gerne gehabt, wenn das Datum oben drübergestanden hätte.

Ja genau das haben wir nicht gemacht. Ich glaube, viele könnten denken, dass vieles von dem erst gestern geschrieben wurde.

„Mein Herz hat die höhere Macht“

Was bedeutet das, wenn man so lange in einem traditionsreichen Haus wie dem „Spiegel“ arbeitet und dann zu Burda wechselt?

Ich glaube, viele hätten an meiner Stelle nicht nach dreißig Jahren den Arbeitgeber gewechselt. Das war aber gerade für mich der Reiz, noch einmal eine ganz andere Arbeit zu machen. Dann kam dieses Angebot, verbunden mit der Aussicht, mehr in Social Media machen zu können. Und dann habe ich mich dazu entschieden. Mein Herz hatte die höhere Macht.

Drehen wir noch eine Schlussrunde zu dem Thema der Selbstüberzeugung, in der man immer das Gefühl hat, man wüsste Bescheid. Da ist mir im hinteren Teil des Buches eine Anekdote von Ihnen über Bettina Gaus aufgefallen. Vielleicht wollen Sie die mal zum Besten geben?

Das war im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung auf einem taz-Kongress, wo ich auch auf der Bühne saß, unter anderem mit Bettina Gaus. Und was bei Black Lives Matter besonders hervorgetreten ist, nennt man „Critical Whiteness“-Bewegung, mit in diesem Fall einer etwas aggressiv auftretenden schwarzen Frau, die Bettina Gaus mit Flammen in der Stimme zurechtzuweisen versuchte. Was sie sich hier anmaße, als weiße Frau zu sprechen, sie wisse doch gar nichts von wirklicher Diskriminierung, wie sie zum Beispiel schwarzen Feministinnen oder schwarzen Frauen begegnen würde. Bettina Gaus sagte, naja ein bisschen wüsste sie davon schon, denn sie habe eine schwarze Tochter. Da war dann erstmal Ruhe auf dem Podium. Das ist so eine ganz verrückte Wendung, die die Debatte genommen hat. Die führt die Linken total ins Unglück, weil, wenn das das Kriterium ist, dass nur schwarze Frauen für schwarze Frauen eintreten dürfen, dann gibt es nur noch die Segregation und am Ende ist so eine Bewegung tot.

Jan Fleischhauer, danke fürs Gespräch.

Ich danke Ihnen.

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