Freiheit diesseits des Zauns

Leben Die Frankfurter Schriftstellerin Eva Demski spricht über das Leben in Zeiten von Corona

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Dahinter ist auch Freiheit
Dahinter ist auch Freiheit

Foto: Kenneth Rittener/Hulton Archive/Getty Images

Eva Demski ist ein tougher Mensch. 2017 führte ich mit ihr ein großes Gespräch zu ihren Memoiren Den Koffer trag ich selbst (Insel Verlag) in ihrer Wohnung mit angeschlossenem Garten im Frankfurter Stadtteil Dornbusch. Hunderte Bücher in Plexiglasregalen, die Holzdielen knarren stilecht und an der Wand hängt ein Rezeptblatt von Gottfried Benn.
Beim Austausch über die aktuelle Lage ist sie nicht minder herzlich, aber antwortet stakkatohaft. Vielleicht in der Hoffnung, so kürzer die Antworten, so kürzer die Krise. Im Dezember erscheint eine Sonderausgabe ihres Bestsellers
Scheintod (Insel Verlag) in dem sie den Tod ihres Ehemanns Reiner Demski auf fesselnde Erzählweise reflektiert. Dazu werden wir gesondert sprechen.

Jan C. Behmann: Frau Demski, machen Sie die Ereignisse scheintot oder beleben Sie die Herausforderungen des Alltags?
Eva Demski:
Weder noch, nur dünnhäutiger. Den herausfordernden Alltag hatte ich auch ohne Virus.

Ein Anwalt sagte mir letztens, selbst während einer eigentlich gleichmacherischen Pandemie, haben die Privilegierten mit Garten einen Vorteil im Lockdown. Kann ein Garten wirklich ein Privileg sein, wenn einem doch die Freiheit hinterm Zaun genommen ist?
Gärten haben nicht nur Privilegierte, das wäre ja noch schöner. Wer einen hat, sucht die Freiheit eben nicht nur jenseits des Zaunes. Man kann sich, wenn es geraten ist, auf eine "Reise durch meinen Garten" begeben. Das hat Alphonse Karr schon vor 200 Jahren vorgemacht.

Apropos: Wie geht’s Ihrem Garten?
Er freut sich, weil ich das von Frage 2 mache.

Wie ist es, unausweichlich zu einer Risikogruppe zu gehören?
Das ist für mich nichts Neues.

Wie hat sich Ihr Alltag verändert?
Nicht so sehr.

Genug Zeit, zu üben

Was hätte Ihr guter Freund Marcel Reich-Ranicki zu Corona gesagt?
Man hätte ihn nicht verstanden, weil er wahrscheinlich dauernd die sicherstmögliche Maske getragen hätte. Oder er hätte das verweigert und gesagt: Wir haben schon so viel überstanden.

Wie fühlt es sich an, auch ohne diese Pandemie, rein numerisch „alt“ zu sein?
Ich hatte genug Zeit, das zu üben.

Und, wie geht man mit dem Gefühl um, dass Sterben zu einem sichtbaren Horizontpunkt geworden ist?
Es ist alltäglich. Bei Ihnen nicht?

Epikur forever

Man sagt Epikur nach, dass er über den Tod folgendes gesagt habe: „Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.“ Teilen Sie seine Haltung?
Ich teile alles von ihm, denn ich liebe ihn. Lebe im Verborgenen scheint mir ein beherzigenswerter Rat.

Kommen wir aber zurück ins Leben und da gleich hin zum Zorn: Harald Schmidt sagte mal, wer mit siebzig noch aufwache und zornig sei, der habe was falsch gemacht. Wie steht es um Ihren Zorn auf und in der Welt?
Kann ich noch ganz gut. Einmal Tagesschau reicht. Die ist aber gottlob erst abends, nach einem unzornigen Tag.

Gibt es einen inneren Frieden? Und wenn ja, wo haben Sie den her? Den gibt´s ja sicher nicht bei Amazon.
Gibt es. Garten hilft.

Reisen nur in Gedanken

Was lesen Sie in Krisenzeiten?
Noch mehr als sonst, querbeet, Neues, Krimis, Klassiker, tote Freunde, lebende Feinde und umgekehrt, und gern mal ein tröstliches Schlückchen Kitsch.

Reisen Sie noch?
Nur wie Alphonse Karr. Oder Joseph de Maistre.

Vermissen Sie Veranstaltungen?
Oh ja, die vollbesetzte Frankfurter Oper mit ihrem Musikglück und dieser unglaublichen Energie, die feinen Veranstaltungen in der Dantestraße, im Mousonturm - da ist vieles, das mir fehlt. Vor allem die Unbekümmertheit beim Zuschauen und -Hören.

Attestieren Sie dieser Krise auch irgendetwas Gutes?
Ob ich das noch rausfinden werde?

Der Blick aufs Klopapierregal

Hilft die Ruhe beim Schreiben neuer Texte? Ich habe eher den Eindruck, dieser Zustand lähmt die Kreativen, insbesondere, weil viele finanziell ziemlich prekär dastehen.
Auf die Hilfe einer solchen Ruhe hätte ich gern verzichtet, und unzählige andere Menschen wohl auch.

Die Infektionszahlen steigen. Was folgt ist vielleicht kein absoluter Lockdown mehr wie im Frühjahr, aber die Menschen kaufen nun schon wieder Klopapier. Wie beurteilen Sie dieses Verhalten als auf die Welt blickende Schriftstellerin?
Ich blicke nicht auf die Welt, sondern zum Beispiel aufs Klopapierregal.

Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass da eine Neuauflage Ihres Bestsellers „Scheintod“ im Frühjahr ansteht. Wie kommt es dazu?
Im Rahmen von Frankfurt liest ein Buch 2021, wenns das und uns noch gibt. Scheintod erscheint im Dezember, als Sonderausgabe.

Und in diesem Zusammenhang sei mir noch erlaubt zu fragen, was Reiner Demski dazu gesagt hätte, wenn er sehen würde, wie wir auf der Fressgass mit Maske rumlaufen. Er las ja eher die „düstere Ecke“, wie Sie mir im Gespräch von 2017 sagten. Wäre ihm da so eine dunkle Phantasie realistisch vorgekommen?
Das Maskentragen hätte ihm gefallen. Die Einschränkungen hätten sein anarchistisches Herz beleidigt. Er war halt noch jung.

Und darf ich nach einem neuen Demski-Buch fragen, gar bitten?
Nett, dass Sie bitten.

Zur Person

Eva Demski, 1944 geboren, wuchs in Regensburg auf. Von 1967 bis zu dessen Tod im Jahre 1974 war sie mit dem Strafverteidiger Reiner Demski verheiratet. Sie arbeitete als Lektorin, Übersetzerin, Journalistin. Heute lebt sie als freie Schriftstellerin im Frankfurter Dichterviertel. Demskis Werke wurden vielfach ausgezeichnet. 2008 erhielt sie den Preis der Frankfurter Anthologie. Im Dezember erscheint im Insel-Verlag eine Sonderausgabe ihres Bestsellers Scheintod.

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