„Fuck the Midtones!“

Verlag Der Göttinger Verleger Gerhard Steidl genießt berechtigten Weltruf in Konzeption und Druck visueller Bücher. Nun wurde er siebzig und ist bereits unsterblich

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Gerhard Steidl ist der Don der weltweiten Druckerszene
Gerhard Steidl ist der Don der weltweiten Druckerszene

Foto: imago images/spfimages

Das Verlegen von Büchern habe ich durch Gerhard Steidl gelernt. Nicht, dass ich ihn wirklich kennen würde oder Steidl auch nur eine Sekunde mit mir reden würde – er hat zuviel zu tun. Wie alle rund vierzig Angestellten in dem Göttinger Verlag, der alles selber macht, außer die Bücher zu binden. Aber auch das outgesourcte Geschäft hat bei Steidl Klasse, denn die Druckbögen werden mit eigenen LKW und angestellten Fahrern quer durch Deutschland chauffiert. Die Auslieferung hat das Haus vor kurzem auch wieder an sich gezogen. Eigene Lagerhalle, eigenes Team, perfekte Verpackung. Steidl ist eine stille Manufaktur für gedruckte Präzision.

Drucken im Dreischichtsystem

Wenn Sie Gerhard Steidl nicht kennen, haben Sie leider bisher etwas verpasst. Der meist eher wortkarge und gleichzeitig grummelig wirkende Mann mit den individuell bestickten Laborkitteln, ist der Don der weltweiten Druckerszene. Bücher von zwanzig bis zehntausend Euro das Stück druckt dieser unscheinbare Mensch in diesem noch unscheinbareren Gebäudekomplex am Rande der Göttinger Altstadt. Wenn man bei Steidl vor der Stür steht, merkt man von diesem Weltruf nichts. Ein eher hässliches Backsteinhaus mit vergilbter Klingel verbirgt einen 24/7-Produktionsbetrieb. Gedruckt wird in drei Schichten und wenn Steidl könnte, würde er das Schlafen einstellen. Er bezeichnet sich selbst als Techniker, der „Multiples“ erschafft und mit dem Künster, der Künstlerin um das beste Ergebnis ringt.

Werke möglich machen

Kennengelernt habe ich den Verlag aber nicht durch seine Bücher, sondern durch den ersten Film How to Make a Book with Steidl (2010) der Münchner Dokumentarfilmer Jörg Adolph und Gereon Wetzel. In diesem wird die Entstehung eines Buches (Joel Sternfeld: iDubai (2010)) und Steidls Besuche bei Künstlern in der Welt begleitet. Steidls (visuelle) Bücher in einer Buchhandlung zu finden, ist dagegen schwer, da sich dieses Produktsortiment nur die wenigsten profitabel leisten können. Dabei sind Steidls Bücher, man kann auch sagen "Bildbände", Kunstwerke mit einer Preisstruktur, die es vielen Menschen eigentlich möglich macht, sie zu kaufen. Der Verlag lebt diese Philosophie durch Quersubvention. Steidl hält seit 1993 die Weltrechte an Günther Grass und verlegt Robert Franks The Americans – Kassenschlager für die Ewigkeit. 1993 lernte er Karl Lagerfeld kennen und druckte dann für die Modesezene Kataloge und alles, was sonst noch edel sein sollte. Diese Einnahmen setzt Steidl für Projekte ein, die wenig bis keinen monetären Erfolg versprechen. Sicher, sagte er einmal in einem Interview, wäre er Millionär, wenn er sich darauf konzentrieren würde, nur Grass´ Werke und die Americans an den Markt zu bringen. Es reize ihn aber, Werke möglich zu machen, die nicht refinanzierbar sind. Er gibt dadurch auch Werken eine Stimme, die im harten Buchmarkt sonst gar kein Platz fänden. Das macht das Angebot des Verlages so divers und spannend, weil es eben keine "Themenwelten" sind, die die großen Verlage anbieten, weil es eben gerade "en vogue" ist.

Bei Steidl gibt es meist nur eine Auflage – die erfolgreiche

Steidl war noch nie en vogue und das ist sein Erfolgsrezept. Denn in einer Zeit der durchgreifenden Digitalisierung, hält er am Papier fest. Dabei ist dieser Mann wahrlich kein Traumtänzer, sondern weiß um die Vergänglichkeit des Haptischen. Aber es ist eben die Art und Weise wie und womit er Bücher produziert. Jedes Werk bekommt die Größe, die Ausstattung, das Papier, was es benötigt. Es werden keine standardisierten Bogengrößen eingekauft und jeder Buchtitel wird damit zu einem multiplizierbaren Einzelstück. Die Bücher haben einen ganz eigenen Geruch, die Veredelung ist handverlesen. Die Künstler wissen das, denn bei Steidl gibt es für die meisten Bücher nur eine Auflage. Von ihm angenommen zu werden, ist schon ansich ein Gütesiegel. Die Leistung des kleinen Verlagsteams ist enorm. Teilweise entstehen knapp 300 Titel pro Jahr. Bei nur vierzig Angestellten, fast schon ein Wunder.

Auch wenn er sich selbst nicht als Künstler sieht, so ist ihm dennoch die künstlerische Allür nicht gänzlich fremd. Steidl regiert seinen Verlag mit harter Hand, was man in den beiden Dokumentarfilmen über ihn auch an der ein oder anderen Stelle deutlich merkt. Wenn er seinen Gestalter Duncan Whyte anherrscht, warum der sich mit Fotograf Joel Sternfeld über die weitergehende Planung unterhält ohne ihn mit einzubeziehen. Der New Yorker Fotograf Sternfeld bekommt es dann bei der Farbjustierung ab, als er zögerlich fragt: „Lighter on the midtones?“ Steidl, wie immer berserkerhaft schon seine Vision vom Buch im Kopf, retourniert nur beschließend: „Fuck the midtones!“. Ende der Diskussion. Das Buch, das dabei entstand, ist bis heute in der gemeinsam entwickelten Form ein Tipp. Und das liegt an der Realisierungsbedingungslosigkeit die Steidl konsequent gegenüber seinen Künstlern verfolgt. Während die sich in tausenden Möglichkeiten ergehen, führt er sie immer wieder auf den Pfad der Zielerreichung zurück und gibt ihnen damit Halt und Perspektive. Bei allem harschen Umgang, Steidl mag seine Künstler, was man sieht, wie herzlich er Sternfeld beim Abschied in Göttingen umarmt. Nur mit Liebe, druckt man keine guten Bücher.

Der stille Weltruf

Gerhard Steidl ist ein Beweis dafür, dass die Überzeugung für ein Produkt Berge versetzen und einem zu Weltruf verhelfen kann. Steidl würde diese Etikettierung immer mit einer wegwischenden Handbewegung quittieren, doch der Erfolg verhilft ihm, eine Jahrhunderte alte Kulturtechnik nicht versiegen zu lassen. In der jüngst gegründeten Steidl Academy gibt der Verleger nun konsequent sein Wissen weiter. Denn dieser rationale Mann weiß natürlich um seine Vergänglichkeit. Aber in der Haltung zur Kultur, in der Schaffung von Büchern für die Ewigkeit, hat er sich bereits unsterblich gemacht. Letzten Sonntag wurde Steidl siebzig Jahre.

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