Geschlossene Gesellschaft

Wohnungsmarkt Die Mieten in Frankfurt steigen unablässig. Für die Schriftstellerin Ria Endres droht der Verlust ihrer Wohnung. Ihr Buch „Nordend“ berichtet davon, Heimat zu verlieren

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Frankfurt als Stadt für alle verschwindet zunehmend im Schatten der Interessen von Investoren
Frankfurt als Stadt für alle verschwindet zunehmend im Schatten der Interessen von Investoren

Foto: Odd Andersen/AFP/GettyImages

Ihr Mietshaus wurde an eine Investmentgesellschaft verkauft. Was bedeutet das für Ihr Leben?
Ich habe kein Recht, genau zu wissen, was mit diesem verkauften Haus in naher Zukunft geschieht. Verunsicherung gehört zum Prinzip. Für ein Haus werden übrigens nicht unbedingt Bewohner gebraucht. Es gibt das Recht, Wohnungen leer stehen und verrotten zu lassen. Meine Mietwohnungist zwar nach wie vor mein Zufluchtsort, aber zugleich auch eine Falle.

Sie haben mit Ihren journalartigen Aufzeichnungen über die Wohnsituation 2018 begonnen. Was hat sich seitdem alles getan?
Seitdem die Besitzerin plötzlich ihr Haus an einen Immobilienspezialisten verkaufte, der in Frankfurt schon sehr viele Häuser geschluckt hat, änderte sich rein äusserlich nichts. Doch mir und den anderen Bewohnern wurde durch einen Objektmanager mitgeteilt, dass das Haus weiterverkauft werden wird. Wann und an wen bleibt bis heute rätselhaft. Ausserdem ist die Art des Verkaufs unklar. Denn es wurde angedeutet, dass vor dem Weiterverkauf des denkmalgeschützten Hausesirgendwelche Luxusrenovierungen getätigt werden oder auch nicht, und dass das ganze Haus weiterverkauft wird oder einzelne Wohnungen. Möglicherweise folgen Eigenbedarfsforderungen des neuen Käufers oder auch nicht. Im Moment kann man nur das Orakel fragen. Vermutungen führen nicht weiter, doch das Ziel der Renditesteigerung schwebt über allem. Inzwischen stehen von zehn Wohnungen drei leer, ein Mieter ist gestorben.

Luxusfestung an Luxusfestung

Hilft Ihnen das Schreiben beim Ertragen der Ungewissheit?
Schreiben stützt mein Immunsystem. Und ich kann eine scheinbar private Angelegenheit zu einer politischenmachen.

Bereuen Sie es, Mieterin zu sein?
Ich kann mir gut vorstellen, den sicheren Zustand einer Wohnungsbesitzerin zu genießen. Außerdem würde ich dann sogar im Schlaf immer reicher, ohne dafür zu arbeiten. Aber vielleicht hätte ich weniger geschrieben, wenn ich meine Miete nicht bezahlen müsste, und das ist doch auch gut.

Worin liegt Ihrer Meinung nach die Ungerechtigkeit der Mietsteigerungen?
Sie schließen eine immer größere Gruppe Wohnungssuchender und Mieter vom allzu freien Wohnungsmarkt aus,der das „gehobene Segment“ mit „Premiumobjekten“ (so die Investorensprache) füttert. Immer mehr Menschen schauen bei der Wohnungssuche mit dem Ofenrohr ins Gebirge. Die Politiker halten die Schäden durch die Gentrifizierung scheinbar für natürlich. Das verharmlosende Wort Gentrifizierung wirkt seriös und bedeutet einfach: Weniger Wohlhabende müssen den Reicheren Platz machen, besonders auch für deren Geldanlagen. Endlich sollen die anderen an den Stadtrand verschwinden, wo sie ja sowieso hingehören.

Ein begehrter Stadtteil wird Anlageobjekt

Sorgt es für das Entstehen von priviligierten Vierteln?
Ja, in Frankfurt und allen Metropolen. Wenn sich eine Luxusfestung an die andere reiht und Mieten kaum mehr zu zahlen sind, geht die bunte Vitalität verloren. Doch es gibt noch Milieureste neben den Happy Homes.

Ihre Wohnung liegt im Frankfurter Nordend. Beschreiben Sie uns bitte kurz diesen Stadtteil.
Das Nordend entstand um 1850 in unmittelbarer Nähe zur Frankfurter Innenstadt, die aus allen Nähten platzte als Viertel der Gründerzeit mit vielen bürgerlichen Mehrfamilienhäusern und auch kleinenVillen. Die einfachen und repräsentativen vierstöckigen Mietshäuser mit den roten Sandsteinen und hohen Fenstern machen auch heute noch den Charme des Nordends aus. Das dicht bewohnte Nordend und seine durchmischte Bevölkerung entschleunigt mit den vielen Vorgärten das städtische Leben. Seit einigen Jahren wurde es immer mehr zum begehrten Viertel, in dem Mietwohnungen in Eigentumswohungen umgewandelt werden und es entstehen durch Luxussanierungen Luxusfestungen. Sogar zwei Krankenhäuser verschwanden zugunsten neuer Premiumobjekte. Immobilienbürovermehrung. Man sieht sehr oft Umzugsschilder auf den Straßen. Ein begehrter Stadtteil, der immer mehr Anlageobjekte hervorbringt.

Was macht ihn für Sie so lebenswert?
Das Kino um die Ecke, Cafés, Parks, die Deutsche Bibliothek, die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, kleine Läden und Restaurants, Buchhandlungen, Vorgärten, Märkte, die Wasserhäuschen. Ich kann zu Fuß alles erreichen, was ich zu meinem Leben brauche. Ins Theater im Zentrum laufe ich in 20 Minuten. Zum Hauptbahnhof ist es für mich mit der U-Bahn eine knappe halbe Stunde. Ich vergeude keine Lebenszeit mit langen Strecken. Die Nachbarn kennen sich. Der Weg zu meinen Freunden ist nicht weit. Ein Auto ist nicht notwendig.

„Ich bin doch keine Pflanze“

Wie oft sind Sie umgezogen in Ihrem Leben?
Fünf mal.

Wie definieren Sie Heimat?
Vielleicht wissen meine Gene, was Heimat ist. Ich lebe nicht schlecht in dieser gemieteten Heimat.

Was bedeutet Ihre Wohnung für Sie?
Seit über 40 Jahren ist sie für mich das Zentrum meines Lebens und Schreibens.

In welchem Teil Ihrer Wohnung wohnt Ihre Seele?
Meine Seele versteckt sich gerne in den Zimmern.

Ist der ständig der Erwerbsarbeit nachziehende Mensch der Spätmoderne seiner inneren und äußeren Heimat selbst abhanden gekommen?
Leider.

„Meine innere Welt schützt mich“

Wieviel trägt das Nordend zur Identität von Ria Endres bei?
Wer ist schon identisch mit sich selbst, wenn sich die Erfahrungen in seiner Stadt ständig ändern und sie im Widerspruch miteinander stehen. Ich weiss schon lange, wie äussere Situationen Alltagsstimmungen unterwandern können, aber meine innere Welt schützt mich.

Was würde ein Umzug in die Vorstadt für Sie bedeuten?
Das will ich mir lieber gar nicht vorstellen, ich bin doch keine Pflanze, die man in einen Plastikkübel oder Betonkasten umtopft.

Wohnen zieht heute oft die Singularisierung des Subjekts nach sich. Ist der Mensch zum lebenswerten Alleinsein geboren?
Niemand will allein sein, wir sind nicht fürs Alleinsein gemacht. Allein sind wir im Tod und der ist nicht sehr weit weg. Doch das will niemand hören. Durch den drohenden Tod erscheint das Leben nicht nur für Albert Camus absurd.

Würden Sie für das Bleiben alles auf eine Karte setzen?
Ja.

Ria Endres promovierte über Thomas Bernhard und lebt seit 1980 in Frankfurt am Main. 2019 erschien zuletzt ihr Buch Weltuntergänge.

Ria Endres: Nordend. Ein Stadtteil wird verkauft. Westend Verlag 2020, 16€

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