Guter Rat ist Meyer

Lebenshilfe Eigentlich schreibt Thomas Meyer kluge Romane - nun erscheinen seine hochreflektierten Ratgeberkolumnen als philosophisches Kompendium

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Guter Rat ist Meyer

Foto: Joel Saget/Getty Images

Guter Rat müsse etwas kosten, meint Kai Diekmann. Nunja. Bei Thomas Meyer hingegen ist ein guter Ratschlag ersteinmal in der Länge begrenzt (weil Zeitungskolumne) und damit in der Sache ad extensio verdichtet. Mit Erfolg. Was auch immer ihn die Lesenden des schweizerischen Sonntags-Blick fragen, Meyer hat eine konzise, höchstreflektierte Antwort, die sich zu lesen und bedarfsweise auf sich selbst zu transferieren lohnt. Seine eigene Psychoanalyse liest man daraus aus fast jeder Zeile und das ist - anders als viele denken - eben ein Zauber in einer Welt der oft unreflektierten Glücklosen. Sich selbst in einem dreidimensionalen Raum mithilfe eines bereits reflektierten Menschen sehen zu lernen, hilft. Auch wenn es kein eigenes Allheilmittel ist - aber das hat ja auch keiner versprochen. Wenn man diesen exzellenten Texten noch etwas raten kann, dann wäre es, dass der Verlag eher ein normales Taschenbuch für 12€ daraus machen sollte, als ein Taschenbuch Deluxe. Denn das passt in keine Jackentasche. Und wo liest man einen Rat lieber als in der Bahn oder dem Bus. Und somit wäre mit einem schmaleren Werk die Chance näher, Menschen zwischen den Stationen wieder in ein papiernes Exemplar blicken zu sehen. Martin Suter würde das sicher auch freuen.

Jan C. Behmann: Welchen Rat haben Sie mal teuer bezahlt?
Thomas Meyer: Mir hat mal jemand Eigenwerbung in einem Telefonverzeichnis als enorm gewinnbringend angepriesen, als ich noch Freelance-Texter war. Das kostete mich ein Vermögen und brachte überhaupt nichts.

Wie wurden Sie zu einem Ratgeber?
Ich mag diesen Begriff nicht. Meine Kolumnen sind eher philosophische Verhandlungen: Warum tun wir, was wir tun? Warum tun wir nicht, was wir tun müssten? Warum sind wir uns so oft Feind und so selten Freund?

Gibt es überhaupt einen guten Rat?
Ja, aber der ist nicht teuer, sondern lediglich radikal.

"Vielleicht habe ich mehr Mut"

Warum sind Ihnen andere Menschen eben nicht egal?
Keine Ahnung. Das war schon immer so. Wie bei meiner Mutter.

Wer gute Tipps hat, hat selber keine Probleme?
Natürlich stehe ich vor den genau gleichen Herausforderungen wie alle anderen auch. Vielleicht habe ich mehr Mut, Dinge zu verändern. Oder weniger Angst davor.

2019 sind Sie an Ihrer eigenen Beziehung gescheitert. Warum soll man beim Daten ehrlich sein? Und, ist das ein sinnvoller Ratschlag?
Scheitern ist bei Beziehungen das falsche Wort. Es impliziert, dass es hätte klappen können, hätte man sich mehr bemüht. Aber wenn es nicht passt, gibt es klare Gründe dafür, und an denen lässt sich nichts ändern. Genau darum ist es so wichtig, gleich zu Beginn über Wünsche, Pläne, Traumata und dergleichen zu reden.

Am Stehpult entsteht Bedenkbares

Gerhard Schröder sagte einmal, öffentlich gegebene Ratschläge seien mehr Schläge als Rat. Wie geben Sie Ratschläge außerhalb der Zeitung?
Ich frage erst, ob ich einen erteilen darf. Übrigens enthält auch der Vorschlag den Schlag, dort stört es aber niemanden.

Ihre Zeitungsratschläge haben immer die gleichen Längen. Ist jeder Rat schlussendlich gleich lang zu fassen?
Im persönlichen Dialog kann man immer wieder nachfragen, das ergibt meist ein längeres, aber auch wesentlich gehaltvolleres Gespräch.

Welcher Ratschlag hat Sie selbst mal gerettet?
Die Aufforderung eines Bekannten, meinen schlechten Selbstwert professionell behandeln zu lassen. Ich hatte eine abwertende Bemerkung über mich selbst gemacht, das hatte ihn dazu animiert, offen darauf zu reagieren. Ich bin ihm sehr dankbar dafür, es war ein klarer Weckruf in einem guten Moment.

Wer sind Ihre Lesenden?
Philosophisch Interessierte zwischen Anfang 20 bis zum Ende ihres Lebens. Die Reaktionen sind immer sehr offen, klug, dankbar und ermunternd. Sie geben mir sehr viel.

Wo und wie schreiben Sie genau?
Frühmorgens, hier, am Stehpult in meinem Wohnzimmer. Ich habe mir jetzt aber ein MacBook angeschafft, um auch mal auswärts arbeiten zu können. Man wird doch etwas schrullig, wenn man nur zuhause arbeitet.

Wie lange brauchen Sie für einen Text dieser Art?
Manchmal 30 Minuten, meist 2 Stunden, manchmal 4 Tage.

Welche Reaktionen erhalten Sie auf Ihre Tipps?
Fast ausschließlich positive. Die Redaktion filtert die wirklich krassen Dinge aber raus.

Welche Antwort bereuen Sie bis heute?
Keine. Einmal habe ich zum Thema Organspende etwas gesagt, das ich angesichts kritischer Reaktionen später revidiert habe, in einem eigenen Text. Aber das bereue ich nicht, dafür bin ich dankbar.

Welchen Text haben Sie verworfen?
Das weiß ich nicht mehr, die fraglichen Beiträge sind ja eben verworfen. Es waren aber wenige.

"Eine Menge hat mich sprachlos gemacht"

Was ändert Ihre Schlussredaktion an den Texten?
Meist nichts. Ich redigiere selbst sehr streng.

Was hat Sie bisher sprachlos gemacht?
Eine Menge! Wie der Mensch mit seinen Kindern umgeht. Wie er mit seinen Untergebenen umgeht und mit seinen Partnerinnen und Partnern. Wie er mit der Natur umgeht. Da wird jeden Tag Fürchterliches verbrochen, und mir fehlen tatsächlich oft die Worte. Bei den Kolumnen finde ich aber immer welche. Manchmal braucht es halt etwas länger, weil die richtigen gefunden werden müssen.

Können Menschen a priori gut zueinander sein?
Wir haben beides in uns, das Gute und das Schlechte. Die Frage ist vor allem, wie wir zu uns selbst sind. Wer sich selbst verachtet, wird kaum Gutes tun.

Gibt es die „guten Freunde“, die einem einen „guten Tipp“ geben können?
Wirklich gute Freunde reden Klartext. Ich halte es für feige, wenn jemand Jahre später mit einer ehrlichen Meinung herausrückt.

Sehen Sie sich als Therapeut, Coach oder Autor?
Ich sehe mich als Menschen, der gern denkt und hilft.

Was sagt Ihr*e eigene*r Therapeut*in dazu?
Die freut sich, dass ich gewillt bin, auch dort hinzusehen, wo es unangenehm wird. Darum geht es ja.

Und, jetzt? Auch einen Rotwein?
Nein, danke. Ich habe in jungen Jahren mit Freude getrunken, mittlerweile empfinde ich es als langweilig. Und im Fall von Rotwein sogar als deprimierend.

Thomas Meyer: Hat sie recht? Unbequeme Antworten auf Lebensfragen. 100 Ratgeberkolumnen. Diogenes, 2021, 17€

Thomas Meyer wurde 1974 geboren und arbeitete lange Jahre als Redakteur und freier Texter. Seit 2012 ist er freier Schriftsteller. Seine Wolkenbruch-Romane wurden zu Bestsellern.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden