„Ich bin ein trauriger Mensch“

Philosophie Michel Friedman ist vom diskursiven Krawallmacher zu einem philosophischen Denker avanciert. Das zu ignorieren, wäre töricht

Er attackierte Helmut Kohl im CDU-Bundesvorstand und zahlte den Preis, nicht wiedergewählt zu werden, er kokste und hatte Umgang mit Prostituierten. Dieser Tornado in Form eines Skandals im Jahre 2003 sei seine Lebensrettung gewesen, verlautbarte er Jahre später. Die Einsamkeit nach dem Tod seiner Eltern und seines Mentors Ignatz Bubis hätte ihn sonst umgebracht. Und umbringen wollte Friedman auf keinen Fall: So blieb er seiner traumatisierten Eltern wegen in Deutschland, dem Täterland, statt nach New York zu gehen. Noch heute darauf angesprochen, spürt man seine Wehmut, hiergeblieben zu sein.

Seine lebenslange Trauer ist immer latent präsent. Seine Nachdenklichkeit, was das ist, dieses Leben, in welches er stürzte und in dem auch Koks nicht half, der traurigen Realität entfliehen zu können. Ihm fehle das Urvertrauen, er könne sich auf das Leben nicht verlassen. So ist Friedman ein immer misstrauischer Mensch, was man bereits im distanzierten Umgang mit ihm merkt.

Friedman hat es aber über Dekaden geschafft, seine Schwächen in Stärken umzumünzen. Eine positive Transformation des Selbst gelingt wenigen, denn es bedeutet viel Arbeit mit sich selbst und über sich selbst. Manche Menschen nervt er; in der Regel sind sie ihm und seiner Eloquenz hemmungslos unterlegen. Sie keifen Verbalinjurien und reden dabei öfter von Koks als Friedman es vielleicht konsumiert hat.

Er ist überaus neugierig und liebt es, im Dissens mit Dritten zu sein. Er hält das aus, wahrscheinlich, weil er gelernt hat, Dissens mit sich selbst auszuhalten. Der größte Kampf des Lebens, sei der Kampf gegen sich selbst, sagt Peter Handke. Friedman hat in diesem Kampf einige Niederlagen wegstecken müssen, ist aber durch die Asche gegangen, um jetzt als Phoenix aus selbiger zu entsteigen. Er studierte, durch seine Frau Bärbel Schäfer motiviert, endlich Philosophie, promovierte darin und hat seit 2016 (pünktlich zu seinem sechzigsten Geburtstag) eine Honorarprofessur in Immobilien- und Medienrecht an der Frankfurt University of Applied Science inne. Zudem leitet er dort als einer von vier Direktoren das „Center for Applied European Studies“.

Ohne Neugier kein Lebenswille

Wenn man Friedman über längere Zeit medial verfolgt, sieht man, dass die berufliche Weiterentwicklung ein Sinnbild für seine persönliche ist. 1999 portraitierten Gero von Boehm und Felix Schmidt Friedman für die Arte-Reihe „ma vie“. Wenn man fast 20 Jahre später diese Aufnahmen sichtet, sieht man einen todunglücklichen, in ständiger Verteidigungshaltung lauernden Menschen. Friedman war ein Inbegriff der grimmigen Verbitterung. Bereits zehn Jahre später wirkte Friedman viel agiler, freundlicher, in sich ruhender. Dennoch, er sei ein trauriger Mensch, betonte Friedman in einem aktuellen Interview mit dem MDR.

Seine Traurigkeit wirkt dabei aber viel gebundener, kontrollierter. Vielleicht so wie die traurige Melancholie, die das große Gemälde eines Kindergesichtes in seinem Büro ausstrahlt, welches seine Frau in einer Galerie in Frankreich für ihn erstand. Das Kind ist die Tochter eines Holocaust-Überlebenden und wenn man an Friedmans Büro im Frankfurter Westend vorbeifährt, ist es diese körpergroße, mit Honig konservierte Zeichnung, die man erspähen kann, neben den schwarz-weiß Bildern des Jardin des Tuileries, den er aus tiefem Herzen liebt.

Glück kann ein Mensch, wenn überhaupt, nur zeitlich stark begrenzt empfinden. Dennoch ist es Friedman inzwischen gelungen, Glück überhaupt zu empfinden. Privat mit seiner Frau Bärbel Schäfer und ihren gemeinsamen zwei Söhnen. Aber auch die Arbeit mache ihn zutiefst glücklich und meinen tut er damit insbesondere seine Gespräche über die ganz großen Dinge des Lebens. Trauer, Liebe, Demokratie, Tod, Auschwitz, Zeit, Sterben, ...

Mit seinen intensiven Gesprächen mit den großen Denkerinnen und Denkern unserer Zeit hat er am Frankfurter Schauspiel und nun am Berliner Ensemble bewiesen, dass man noch Denken kann und vor allem, das einem dabei auch sehr viele Menschen zuhören, zuhören wollen. Abgedunkelter Raum, ein Thema, ein ruhiger Friedman und ein gebanntes Publikum sind alles, was man braucht. Doch waren und sind diese Theater-Gespräche immer ausverkauft, bleibt der Wirkungsradius dennoch verhältnismäßig klein.

Die Deutsche Welle holte ihn zuerst, um im Wechsel mit Tim Sebastian das Format „Conflict Zone“ als „Host“ zu erweitern. Hier kann Friedman nun auch in englischer Sprache seine krawallige Seite ausleben, doch deutlich intellektueller und ansprechender als bei Studio Friedman auf Welt (ehemals N24). Vielleicht liegt das aber auch am internationalen Standing seiner Gäste?

Lovechair reloaded

Wiederum bei der Deutschen Welle reüssiert Friedman nun mit seiner Gesprächssendung „Auf ein Wort“ und bringt damit sein erfolgreiches Theaterformat auf den Bildschirm. Von Fernsehen zu sprechen, wäre überholt und so hat die Deutsche Welle zurecht entschieden, ihre Formate auch über iTunes, Youtube und Website abrufbar zu machen. Eine Wiedergeburt der Vergangenheit erlebte hingegen das Sitzmöbel für die Sendung. Nutzt Friedman im Theater ein halbrundes, weinrotes Samtsofa, so ist es für die Sendung der „Lovechair“ in gleicher Farbe. Es zwingt seine beiden Nutzer dazu sich zuzuwenden, ein Ausweichen ist schier unmöglich. Dabei gibt es einen Unterschied zu früher, zur Friedman-Sendung im Ersten in dem dieser „Lovechair“ treue Dienste leistete: bei dem neuen Format will keiner der beiden mehr ausweichen. Es ist ein stetes Ringen um Erkenntnis.

Die Gespräche finden wieder in absoluter Ruhe statt – noch gesteigert, weil nicht mal ein leises Publikum beiwohnt. Es ist verblüffend, wie unterschiedlich derselbe Mensch auf demselben Möbel in ähnlichem Setting agieren kann. Der befriedete Friedman hört seinen Gästen nun aufrichtig zu, er will lernen, er will denken und damit verstehen. Bei „Auf ein Wort“ ginge es um intellektuelle Neugier, um Rationalität statt Emotionalität, die Sendung sei eine Gedankenreise mit Geisteswissenschaftlern, lässt Friedman für diesen Artikel ausrichten. Einige alte Bekannte kann der geneigte Theatergast wiedersehen (z.B. Hartmut Rosa, Wolfgang Huber), aber auch andere Intellektuelle nehmen auf dem Möbel Platz und antworten dem stets gut vorbereiteten Friedman.

Bisher wurden zwei Staffeln mit zwanzig Folgen der Gesprächssendung produziert. Ab Herbst dieses Jahres beginnt die Produktion der dritten Staffel mit insgesamt acht Sendungen. Europa, Glaube, Grenze, Wut, Gier, Fremd, Macht, Sexualität werden die Themen sein. Die Sendereihe wird auch vom Bildungskanal „ARD alpha“ ausgestrahlt.

Eine einzige Adaption für das Fernsehen hat Friedman getätigt, stockt stolpernd aber selbst in den Sendungen darüber: er begrüßt den Gast mit Namen. Im Theater spart er sich diese Floskel.

Jan C. Behmann ist freier Autor aus Frankfurt am Main. Er beschäftigt sich seit zehn Jahren mit dem Wirken Michel Friedmans.

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