"Ich will kein Rolling Stone sein"

Fotokunst Micha Steinwachs ist analoger Fotograf aus Leidenschaft. Mit seiner Schwarz-Weiss-Serie über den Frankfurter Stadtteil Bockenheim, überrascht er

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"Ich will kein Rolling Stone sein"

Foto: Micha Steinwachs

Haben Sie ein Smartphone mit guter Kamera?
Ich habe ein Smartphone, aber eine gute Kamera ist da leider nicht dran. Es war mir beim Kauf ehrlich nicht so wichtig. Allerdings stört es mich nun.

Warum?
Eine gute Kamera am Smartphone zu haben ist sicher großartig. Die Kamera ist dann ja nur einen Griff in die Hosentasche entfernt. Ich mache auch Bilder mit meiner Handykamera, aber über das Verschicken von schönen Fotos an meine Freunde geht das bei mir nicht hinaus. Die Bilder auf meinem Smartphone sind für mich nicht wirklich Teil meiner Fotokunst. Das bedeutet natürlich nicht, dass es nicht richtig gute Fotos geben kann, die mit so einem Telefon geknipst wurden.

Was bedeutet für Sie der Stadtteil Frankfurt-Bockenheim?
In Bockenheim habe ich für vier Jahre gelebt. Der Stadtteil war mir ein richtiges zu Hause. Es ist für mich ein spannender Stadtteil, der fast eine Kleinstadt am Rand der Großstadt bildet. Bockenheim ist so durchmischt von Menschen aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und mit unterschiedlicher Herkunft. Im Grunde ist dieser Stadtteil allein schon ein Abbild der ganzen Frankfurter Gesellschaft. Hier wohnen und arbeiten Bankangestellte, Studierende, Leute, die auf Hartz leben und andere, die normale Jobs haben. Dazu kommt die universitäre und politische Geschichte des Stadtteils. Hier wurde die Kritische Theorie erfunden, die Studentenbewegung war hier groß. Am Campus Bockenheim fühlt man sich da schon ein bisschen dran erinnert.

"In Bockenheim wurde die Kritische Theorie erfunden"

In Ihrem Fotoprojekt (Bockenheim – Ein Stadtteilportrait) haben Sie Bockenheim und dessen Menschen in Schwarz-Weiß vorgestellt. Warum?
Das hat verschiedene Gründe. Zum einen bin ich einfach ein Fan von Schwarz-Weiß Fotografien. An das Fotografieren bin ich durch die dokumentarischen Serien diverser Fotograf*innen der Magnum Agentur gekommen. An deren Arbeiten habe ich meinen fotografischen Blick geschult. Die meisten ihrer Aufnahmen waren Schwarz-Weiß. Insofern ist es eine ästhetische Entscheidung.
Außerdem sehe ich beim Fotografieren eher in hell-dunkel Kontrasten als dass ich Farben bemerke. Praktisch ist auch, dass der Entwicklungsprozess von Schwarz-Weiß Filmen einfacher als der Farbprozess ist. So kann ich meine Filme selbst entwickeln. Eine weitere Inspiration für gerade die Serie in Bockenheim ist das Werk von Abisag Tüllmann, die viel in Frankfurt fotografiert hat.

Was haben Sie von diesem Stadtteil gelernt?
Von Bockenheim habe ich gelernt, dass man dörflich Leben kann, ohne einen Gartenzaun um seine Stirn ziehen zu müssen. Damit meine ich, dass man hier sicher Menschen über den Weg läuft, die vielleicht gerade beruflich in New York waren oder in anderen Weltstädten, aber das nicht so nach außen gekehrt werden muss. Das fühlt sich einfach anders an als in vergleichbaren Stadtteilen z.B. in Berlin, wo so viele Leute unbedingt etwas großes sein wollen. Man kann sagen, dass Bockenheim eine entspannte Form des Understatements vorlebt.

Sie fotografieren in Schwarz-Weiss und entwickeln analog. Klingt nach viel Arbeit.
Es ist schon aufwendiger analog zu fotografieren, als alles digital zu machen. Das liegt vor allem daran, dass es wenig öffentliche Dunkelkammern gibt, in denen man selbst arbeiten kann. Ich fahre dazu immer nach Heidelberg in den „Kalamari Klub“, das ist ein Verein für analoge Fotografie, den ich mit ins Leben gerufen habe. Wir haben da nun eine große, kommunale Dunkelkammer. Die Hürde analog zu arbeiten, ist definitiv etwas höher. Allerdings lohnt es sich für mich. In die Bearbeitung meiner digitalen Bilder stecke ich auch sehr viel Arbeit. Trotzdem bin ich irgendwie näher an meinem Bild, wenn es analog entstanden ist. Ich denke, auch die Vorfreude auf das Bild spielt hier eine Rolle.

"Es gibt eine Instagram-Ästhetik"

Als Laie und Instagram-Nutzer hat man das Gefühl, jeder schwingt sich auf zum Fotokünstler. Berechtigte Demokratisierung oder Elend der technischen Enthürdung?
Natürlich ist es klasse, wie einfach man mit Instagram eine Resonanz für seine Fotos bekommen kann. Und es gibt wirklich gute Künstler*innen, die diese Plattform nutzen. Es war sicher nie so leicht als Fotograf in die Öffentlichkeit zu kommen wie jetzt und das ist auf jeden Fall eine Demokratisierung der Fotografie. Ein Elend kann ich darin auch nicht erkennen. Allerdings muss man den Blick schärfen. Es ist bestimmt nicht alles gut, was auf Instagram zu finden ist. Die originelle Fotografie, die es definitiv auf diesen Plattformen gibt, kann man dann von einer oft kopierten Instagram-Ästhetik unterscheiden.

Was machte Sie zum Künstler?
Dazu muss ich erst mal die Frage stellen, ob ich überhaupt ein Künstler bin. Ich fotografiere seitdem ich ca. 17 Jahre alt bin und stelle meine Bilder manchmal aus. Da steckt sicher etwas künstlerisches drin. Aber trotzdem bin ich vorsichtig damit, mich einen Künstler zu nennen.

Brauchen Künstler ein Kollektiv?
Mir hilft es auf jeden Fall, mit anderen Leuten zusammen Ausstellungen zu machen und über unsere Fotos zu reden. Gerade haben wir vom Kalamari Klub die erste Ausgabe eines Magazins auf den Weg gebracht. In einem Kollektiv kommen einfach viele verschiedene Talente zusammen. Das Fotografieren ist ja nur ein Teil der Arbeit. Um eine Ausstellung durchzuziehen braucht es auch Leute, die die Organisation anpacken. Wenn ich fotografiere, bin ich trotzdem lieber allein unterwegs.

"Mit ein bisschen mehr Zeit für das Fotografieren, wäre ich schon zufrieden"

Reden wir über Geld: Kann man von Fotokunst leben?
Bestimmt. Da müssen sie mit so Menschen wie Wolfgang Tillmanns reden. Ich kann sicher nicht von meiner Fotokunst leben, habe aber tatsächlich auch nicht den Anspruch, das zu können. Mit ein bisschen mehr Zeit für das Fotografieren wäre ich schon zufrieden.

Wer sind Ihre Käufer?
Bisher habe ich Bilder an Freunde und Verwandte verkauft.

Was bedeutet Copyright für Sie?
Mir ist es wichtig, dass ich entscheiden kann, wem ich meine Bilder zur Verfügung stelle und dass mein Name unter meinen Fotos steht, wenn sie beispielsweise im Internet zu sehen sein.

Ihre Bilder hingen im berühmten Café Crumble in F-Bockenheim. Was bringen solche Ausstellungen in Cafés?
Mir macht es einfach Spaß meine Bilder zu zeigen. Die Bilder sahen in dem Café Crumble sehr ästhetisch aus und passten wirklich daher. Einige der gezeigten Personen gehen vielleicht selbst mal dorthin, um Kaffee zu trinken. Manche Leute, die meine Bilder im Café gesehen haben, sagten hinterher, dass sie das Gefühl des Stadtteils in den Fotografien wirklich wieder erkannt haben. Das freut mich dann. Gerade, wenn es von mir fremden Personen kommt.

Was darf Fotokunst kosten?
Von eins bis unendlich. Wenn Werke von Künstler*innen wie Gursky oder Tillmanns für horrende Summen über die Auktionstische gehen, wie und warum sollte man das unterbinden? Die Frage, die dann aber bleibt, ist, ob die Bilder auch so viel wert sind. Ich nehme mir nicht heraus, riesige Summen zu verlangen. Mir ist es wichtig, dass ich ein gutes Gefühl bei dem Preis habe, den ich verlange. In jedem Bild steckt ja auch meine Arbeit und die möchte ich wertgeschätzt wissen.

"Ich finde es cool, eine Serie als abgeschlossen zu betrachten"

Martin Schoeller hat mit seinen Closeups bewiesen, dass man mit einem „simplen“ Setting Welttrends setzen kann. Ist es die beständige Suche nach so einem Lebensprojekt?
Nein, ein solches Lebensprojekt suche ich nicht. Mich würde es auch nerven, wenn ich z.B. Mitglied der Rolling Stones wäre und Jahrzehnte immer die gleichen Hits spielen müsste. Die Portraits von Schoeller sind gut, aber mir wäre es zu langweilig nur dafür bekannt zu sein und ständig diese Bilder produzieren zu müssen. Ich nehme an, dass diese Serie, die sie ansprechen nie ein Ende finden kann, weil es immer wieder Leute geben wird, die den Fotografen anfragen, genau so ein Portrait zu schießen. Ich finde es auch cool, eine Serie als abgeschlossen zu betrachten.

Gerhard Steidl genießt Weltruf mit seinen visuellen Büchern. Welche Ihrer Serien wünschten Sie sich in einem grandios gedruckten Buch?
Ein Buch aus meinem Bockenheim-Portrait zu machen, fände ich schon klasse. Es muss nicht unbedingt ein grandios gebundenes Buch sein. Ich stelle mir ein solches Buch eher klein, aber schön vor. Mit so einem Buch würde ich das Bockenheim Projekt für mich abschließen.

Sie sind kürzlich nach Dresden gezogen. Haben Sie dort ein neues Bockenheim für sich entdeckt?
Ich lebe mich gerade ein. Es gibt hier kein Bockenheim, aber das muss man ja auch nicht duplizieren. Richtig gut finde ich es hier trotzdem. Dresden ist ganz anders als Frankfurt und es macht mir richtig Spaß nun hier zu leben und einen neuen Fleck kennenzulernen. So langsam kommen mir auch Ideen, wie ich meine neue Umgebung auch fotografisch entdecken kann.

Micha Steinwachs wurde 1989 im ländlichen Niedersachsen geboren. Ein Auslandsjahr in Indien zu Schulzeiten brachte ihn zur Fotografie. Von 2010-2017 studierte er Politikwissenschaften und Politische Theorie mit Stationen in Heidelberg, Neu Delhi, Frankfurt und New York. In Heidelberg gründete er den „Kalamari Klub – Freiraum für analoge Fotografie e.V.". Seine dokumentarischen Fotografien sind vor allem der Straßen- und Portraitfotografie zuzuordnen. Heute lebt er in Dresden. www.kalamariklub.org

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