In Allmens Bad

Schweinsteiger/Suter Eigentlich ist das Ganze doch putzig: Unbelesener Fußballweltmeister stimmt Romanbiografie über sich zu, Bestsellerautor schreibt sie. Und dann gibt es sogar noch ein Buch

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In Allmens Bad

© Marco Grob

Was am Ende bei rauskäme, sei wichtig, meinte mal ein Politiker. Nun, wenn man positiv an die Sache rangeht, kann man sagen: Alle Beteiligten sind in einer giggelig-aufgeregten Weise glücklich. Und was will man in Zeiten von Corona und Existenzsorgen mehr? Nun ja, die beteiligten Personen sind alle finanziell maßgeblich arriviert und vermutlich eher nicht von solchen grundsätzlichen finanziellen Sorgen betroffen. Aber vielleicht doch von der Existenz? Ein Spitzensportler sagte einmal, er habe begriffen, dass er keine Sache wieder so gut könne wie seinen Sport. Nun ist es beim Spitzensport wie mit der jugendlichen Schönheit: Sie ist doch sehr an das Alter gebunden. Was kommt also, nachdem man der Beste in etwas gewesen ist? Bei der aktuellen durchschnittlichen Lebenserwartung bleiben da noch viele Dekaden, die es mit Sinn und nicht mit Konsum zu füllen gilt.

Er sei vorher kein wirklicher Leser gewesen, so Schweinsteiger fast schüchtern. Er müsse Martin mal fragen, was er lesen solle, der kenne sich ja damit aus. Man kann es mit blindem Vertrauen beschreiben, auf was Schweinsteiger sich da eingelassen hat. Denn es ist nach seinen Aussagen anzunehmen, dass er nicht wirklich einen Hauch von Ahnung vom Literaturbetrieb hatte und sicher weiterhin nicht hat. Als die Meldung kam, Martin Suter schreibe eine „Romanbiografie“ über Bastian Schweinsteiger, kann man nicht verhehlen, dass es schon ein wenig nach Marketingplot klang und auch nach dem Wunsch, ordentlich Umsatz zu machen. Wer könnte es Verlag und Autor verübeln, im immer knapper werdenden See der Lesenden die Diamantenmine in Form von engagierten Fußballfans zu suchen, die vielleicht durch die Weiche dieses einen Buches in die Welt des Lesens geleitet werden?

Das neue Genre

So sitzen also an diesem Morgen in einem Berliner Hotel Suter, Schweinsteiger und Marcel Reif als Moderator auf der Bühne. Später kommt noch Schweinsteigers Frau Ana Ivanović, eine ehemalige Profitennisspielerin, dazu. Der Saal mit mosaikgefliestem Boden und der Anmut eines edlen Hallenbades aus dem neunzehnten Jahrhundert wirkt wie eine Filmkulisse für Suters Protagonisten Allmen. Und so schaut man sich um, ob im Publikum Heino Ferch mit angeklebtem Haarteil seiner Rolle als dauerklammem Bonvivant nachgeht und die Pressekonferenz seines Schöpfers mit einer Auktion für seltene Galetschalen verwechselt hat. Man wähnt Allmens Diener Carlos leisen Schrittes seinem Patron hinterhereilend, noch mit Schürze um: „Don John, das ist nicht die Auktion, zu der Sie wollten.“ „Ah, lieber Carlos, aber der Herr da vorne im Dreiteiler, scheint etwas von Stil zu verstehen.“ Man bleibt derweil sehr nett zueinander auf der Bühne und es schwingt eine inneres Timbre der eigenen Begeisterung mit. Spannend ist dabei, wenn jemand hofiert wird, den man selber nicht als „Star“ definiert. So wird das generelle Verehren von Menschen in diesem Setting ad absurdum geführt. Wenn jemand von seiner Schulzeit erzählt und man sich denkt: Wen interessiert das? Es ist also, wie so vieles im Leben, der Blickwinkel, der die Relevanz ausmacht.

Wenn man Suter beobachtet, weiß man, warum ihn dieses Projekt so gereizt hat. Suter will sich an immer neuen Genres probieren. Auf die Frage, ob es so eine Art Romanbiografie schon mal gegeben habe, ist er sich unsicher. Sicher ist aber: Suter hat lange und viel für diesen Wandel aus Wahrheit und verbindender Fiktion recherchiert, so wie er das für alle seine Werke tut. Auch wenn Recherche bei ihm nicht selten bedeutet, sich seinen privaten Interessen hinzugeben und diese in die Handlungen zu verweben. Es ist wohl sein dickstes Buch geworden, mit 384 Seiten Umfang. Das ist auch das erste, was er nachschaut, als er die Fahne nach Hause geschickt bekommen hat. Festgehalten auf Video auf seiner Website, mit der der Autor versucht, auf den digitalen Bildschirmen seiner bisherigen und zukünftigen Leserschaft einzuziehen.

Sind Follower auch Lesende?

Beim Umfang hatte Suter sich vertan: Er schätzte, es würde der Umfang eines klassischen Allmens werden, was 200 Seiten bedeutet hätte. Doch die knapp vierhundert Seiten und ein Sujet in dem Suter nicht wie in Kunst, Kultur und Gastronomie beheimatet scheint, forderten ihren Tribut. Die Veröffentlichung wurde von Herbst 2021 auf jetzt verschoben – asynchron zu jeder Buchmesse, doch dieses Werk mit seinem für die Masse bekannten Protagonisten braucht wohl keine Messe von Lesenden und Verlegenden. So verweist der Schweizer Diogenes Verlag im Presseblatt auf Schweinsteigers Reichweite in den sozialen Medien: zweistellige Millionenfollower, da wird die Luft weltweit dünn für die meisten Autor*innen. Ob denn diese Follower auch folgen, wenn es um das Lesen geht, bleibt abzuwarten.

Ob ein Buch gut oder schlecht ist, auch das ist eine Frage, die sich eigentlich nicht stellt, denn sie ist nicht beantwortbar. Wenn das Buch Menschen zum Lesen bringt, die bisher nur wenig oder sogar nie gelesen haben, ist schon viel gewonnen. Und wenn es Lesende glücklich macht, umso mehr. Das würde auch die Autonomie dieses Werkes vom Literaturmarkt unterstreichen und die unangenehme Bildungsarroganz schadlos machen, die im Literaturbetrieb häufig wabert. Suter wurde bereits heftig angegangen seitens der Literaturkritik. Er schreibe „Tutti-Frutti-Romane“, er könne nicht schreiben usw. Aber was, wenn er einfach sein Handwerk beherrscht und Menschen ihm dafür Teile ihrer Lebenszeit geben, weil seine Bücher sie glücklich machen? Und glücklich macht dieses Werk anscheinend schon die vier Menschen, die Donnerstagmorgen im Allmen-Bad auf der Bühne sitzen. Und wer würde Menschen eine gute Zeit vergrämen wollen?

Info

Martin Suter: Einer von euch. Bastian Schweinsteiger. 384 Seiten. Diogenes Verlag 2022, 22€
Website des Autors: martin-suter.com

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